Mittlerweile gilt die alte Volksweisheit „die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“ zumindest in der Insolvenz scheinbar nur noch bedingt: So nimmt der Insolvenzverwalter von Arcandor die ex-Vorstände in Regreß (hier), wie auch der Insolvenzverwalter von Neckermann (hier) und der von Air Berlin prüft Haftungsansprüche wegen Insolvenzverschleppung gegen den ehemaligen Vorstand (hier). Allerdings, auch wenn man die Großen nun hängt, bedeutet das nicht, dass die Kleinen ungeschoren davon kommen, wie die nachfolgende Verschärfung der Haftungrisiken für Geschäftsführer in der Insolvenz verdeutlicht:
Der für Haftungsfragen zuständige zweite Zivilsenat des BGH hat in aktuellen Urteilen den Haftungsrahmen für die Haftung der Geschäftsführer in der Insolvenz weiter verschärft: Während er zunächst in Urteilen aus dem Jahre 2014 und 2015 die bis dato geltende enge Interpretierung des Ausgleichs einer Masseschmälerung im Rahmen der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 64 S. 1 GmHG zumindest teilweise relativiert hatte (s. näher dazu hier), konkretisiert er die Voraussetzungen nunmehr – und verschärft damit die Haftungsrisiken erneut.
Allerdings, so der BGH, müsse auch die in die Masse gelangende Gegenleistung für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein, um die durch die Zahlung eingetretene Masseverkürzung ausgleichen zu können. Das sei aber bei Arbeits oder Dienstleistungen regelmäßig nicht der Fall. Dienstleistungen führten nicht zu einer Erhöhung der Aktivmasse und seien damit kein Ausgleich des Masseabflusses. Dasselbe gelte für Energieversorgungs- und Telekommunikationsdienstleistungen, Entgelte für Internet und Kabelfernsehen oder Getränkelieferungen. Insofern bejahte der BGH die Erfüllung des Tatbestandes des § 64 S. 1 GmbHG.
Er ließ in der Folge allerdings auch keine Exkulpation des Geschäftsführers nach § 64 S. 2 GmbHG zu, wonach der Geschäftsführer auch für solche Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife nicht haftet, solange diese „mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns“ vereinbar sind. Diese Sorgfalt gesteht der BGH dem Geschäftsführer regelmäßig nur dann zu, wenn die entsprechende Zahlung dazu dient, den „sofortigen Zusammenbruch eines auch in der Insolvenz sanierungsfähigen Unternehmens zu verhindern, und die Zahlung daher zur Abwendung eines größeren Schadens für die Gläubiger entschuldigt wäre.“ Auch wenn die Nichtbezahlung von Getränkelieferungen oder Kabelfernsehen mit Sicherheit nicht dazu geeignet sind, den sofortigen Zusammenbruch des Geschäftsbetriebes zu verhindern, so dürfte das bei der Bezahlung für Energieversorgungs, Telekommunikations- und Internetleistungen doch nicht ganz so offensichtlich sein.
Berücksichtigt man nun noch, dass derartige ausgleichspflichtige Zahlungen aktuell auch nicht mehr durch eine D&O-Versicherung gedeckt würden (dazu mehr demnächst), dann ist die Wirkung dieser Entscheidung auf die private Vermögenssituation von Geschäftsführern in Krisenunternehmen in der Praxis fast nicht mehr zu unterschätzen.