Nachdem ich Mitte März zunächst einen Überblick über den damaligen Diskussionsstand der anstehenden Sonderregelungen gegeben hatte (hier), hat der Gesetzgeber am 25. März eine Flut von Gesetzen zur Abmilderung der Folgen der Coronavirus-Pandemie erlassen („Corona-Folgen-Abmilderungsgesetz“). Im Rahmen eines – auf die insolvenzspezifischen Regelungen des „COVInsAG“ fokussierten – kurzen Überblicks sollen nachfolgend die ersten Erfahrungen bei der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ausgewertet werden.
Nach § 1 des „COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetzes“ (COVInsAG) ist die Pflicht zur Insolvenzantragstellung für Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften und juristische Personen ohne natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter zunächst bis zum 30. September 2020 für solche Gesellschaften ausgesetzt, deren Geschäftsbetrieb von den Folgen des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) betroffen ist. Eine Antragspflicht nach § 15a InsO besteht aber weiterhin, wenn
- die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2 (COVID-19-Pandemie) beruht oder
- wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
In diesem Zusammenhang wird (widerleglich) vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht, wenn der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war. Im Rahmen von § 3 COVInsAG wird weiterhin das Recht der Gläubiger zur Stellung eines Insolvenzantrages massiv eingeschränkt, müssen sie doch nachweisen, dass der Insolvenzgrund, auf den sie sich berufen, bereits am 1. März 2020 vorlag. Dieser Nachweis wird nur im Ausnahmefall gelingen.
Ferner wurde durch das COVInsAG die Haftung für etwaige Zahlungen der Geschäftsleitung selbst bei Vorliegen von Insolvenzgründen stark eingeschränkt: „Soweit die […] Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist, gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Sinne des § 64 Satz 2 [GmbHG] […] vereinbar.“, vgl. § 2 (1) Nr. 1 COVInsAG.
Schließlich wurden im Rahmen des COVInsAG große Teile der Anfechtungsregeln außer Kraft gesetzt, vgl. § 2 (1) Nr. 2 ff. COVInsAG, so dass gerade im Hinblick auf die Vergabe von Krediten in der aktuellen Krise das Risiko einer Anfechtung von Rückzahlungen relativ gering sein dürfte. Dies um so mehr, als dass – wohl als Konsequenz aus diversen vom BGH entwickelten „Kettenvermutungsregeln“ (s. dazu nur Beissenhirtz, ZInsO 2016, 1778, 1785) – auffallend viele Vermutungsregelungen zugunsten des Schuldners, Geschäftsleiters durch das COVInsAG eingeführt wurden.
Allerdings ist der Schutz der Schuldner und Geschäftsleiter nicht grenzenlos: So bestehen weitere (gläubigerschützende) Regelungen, wie z. B. die zur Kapitalerhaltung der GmbH nach § 30 GmbHG oder auch die Pflicht zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung bei Verlust der Hälfte des Stammkapitals nach § 49 Abs. 3 GmbHG, unverändert fort. Ferner ist ungeklärt, ob es in der gegenwärtigen Situation einen Eingehungsbetrug darstellen könnte, wenn ein Geschäftsführer neue Verträge abschließt, ohne eine coronabedingte Schieflage der Gesellschaft offen zu legen. Schließlich wird derzeit die Frage diskutiert, wie angesichts der aktuell nicht abschätzbaren Folgen der Corona-Pandemie mit der Fortführungsprognose nach § 252 HGB für die anliegenden Jahresabschlüsse zu verfahren ist.
Trotz dieser umfangreichen Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und „flankierender“ Regelungen haben bereits einige namhafte Unternehmen, wie etwa Galeria Karstadt Kaufhof (hier), Maredo (hier) oder Esprit (hier), Insolvenzantrag gestellt – und die Liste wird wöchentlich länger. So erwägt die Lufthansa die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens, um staatlicher Einflussnahme bei Inanspruchnahme von Notfall-Krediten zu entgehen (hier). Auch wenn die Lufthansa einen Sonderfall darstellt, so zeigen die Fälle insgesamt, dass angesichts der Unwägbarkeiten der Corona-Krise die Insolvenz – gerade in Form eines „Schutzschirms“ – etlichen Marktteilnehmern zumindest als „letzter Strohhalm“ erscheint.
Deutscher Bundestag, BT-Drs.: 19/18110, „Corona-Folgen-Abmilderungsgesetz
Zur Parlamentarischen Diskussion, s. hier
„Das müssen Unternehmer jetzt wissen, wenn ihr Betrieb zahlungsunfähig ist“, Interview ua. mit Dr. Beissenhirtz, Tagesspiegel, 25. März 2020