Passend zur aufkeimenden Wirtschaftskrise nach Corona, die wahrscheinlich auch etliche Wirtschaftsstraftaten „an die Oberfläche spülen“ dürfte (s. dazu schon hier und aktuell hier), hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) nach einem etwa achtmonatigen Abstimmungsprozess mit interessierten Gremien (s. dazu schon hier) am 22. 4. 2020 den Referenten-Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ veröffentlicht.
Das Gesetz soll das Ziel verfolgen, Straftaten, die von Verbänden (juristischen Personen und Personenvereinigungen), deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, nunmehr nicht nur lediglich mit einer Geldbuße nach dem OWiG zu ahnden, sondern die Sanktionierung solcher Verbände auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage zu stellen und sie dem Legalitätsprinzip zu unterwerfen. Dementsprechend sieht der Ref-E ein „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ (Verbandssanktionengesetz – VerSanG) vor.
Die aktuelle Version des Entwurfs wurde gegenüber der Abstimmungsversion dem August 2019 nach teils massiver Kritik dann doch etwas entschärft: So findet sich die bislang in § 18 Ref-E VerSanG enthaltene sog. „Todesstrafe für Unternehmen“ im aktuellen Gesetzesentwurf wieder. Somit sind als Sanktionen „nur noch“ die „Verbandsgeldsanktion“ und die „Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt“ vorgesehen, vgl. § 8 Ref-E VerSanG.
Darüber hinaus dürften die – scheinbar ebenfalls nach massiver Kritik eingefügten – Neuerungen im Bereich der Öffentlichen Bekanntmachung und der (potentiell strafmildernden) Folgen von Internal Investigations interessant sein:
Wie schon in der Vorversion vorgesehen, sollen „verbandsinterne Untersuchungen“ (neudeutsch: „Internal Investigations“) die Möglichkeit bieten, Sanktionen erheblich abzumildern. Das Gericht soll die nunmehr die jeweiligen Sanktionen mildern, wenn die nach § 17 Ref-E VerSanG vorgesehenen Anforderungen an die internen Untersuchungen eingehalten wurden, also insbesondere ein wesentlicher Aufklärungsbeitrag geleitet (Nr. 1), ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Ermittlungsbehörden kooperiert (Nr. 3), etwaige Mitarbeiterbefragungen „fair“ durchgeführt (Nr. 5) und die Ergebnisse der internen Untersuchung einschließlich Abschlussbericht den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt (Nr. 4) worden sind. Nach der nunmehrigen Fassung des § 18 S. 1 Ref-E VerSanG soll eine nach § 9 Ref-E VerSanG an sich zu verhängende Verbandsgeldsanktion im Höchstmaß um die Hälfte reduziert werden und ein Mindestmaß komplett entfallen. Dies aber auch nur dann, wenn nach den zahlreichen weiteren Ausschlusstatbeständen überhaupt noch eine Sanktion in Betracht kommt oder nach §§ 35 oder 36 VerSanG von einer (weiteren) Verfolgung des Verbands abgesehen werden kann oder zumindest, ob eine Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (vgl. § 10 VerSanG) nicht ausreichen würde.
Zudem soll nunmehr nach § 18 S. 1 Ref-E VerSanG die ansonsten mögliche öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung nach § 14 Ref-E VerSanG unterbleiben, wenn den Regelungen des § 17 Ref-E VerSanG genügende interne Untersuchungen durchgeführt wurden. Schon aus diesem Grund dürfte für diese als „Naming and Shaming“ gefürchtete Regelung wohl kein großer Anwendungsbereich verbleiben, denn die Unternehmen werden schon alleine aus diesem Grund wohl leichter einer internen Untersuchung zustimmen…
… die aber – um ihre strafmildernde Wirkung zu entfalten – nur von solchen „Dritten“ durchgeführt werden darf, die vom Verteidiger des Unternehmens oder eines konkreten Beschuldigten aus dem Verband unabhängig sind, vgl. erneut § 17 Abs. 1 Nr. 2 Ref-E VerSanG. Derweil gilt nach der in Art. 4 des Referentenentwurfs vorgesehenen Änderung der entsprechenden Regelung der Strafprozessordnung ein Beschlagnahmeverbot wohl nur für solche Dokumente, die „dem geschützten Vertrauensverhältnis“ zwischen Beschuldigtem und Verteidiger „zuzuordnen sind“ (vfl. SD. 137 f. des Ref-E). Unterlagen bei Beauftragten für die interne Untersuchung könnten dagegen jederzeit beschlagnahmt werden.
Schließlich wird in Teil 6, §§ 54 ff. Ref-E VerSanG ein Verbandssanktionenregister geschaffen, dass sich damit in eine Reihe von Registern einreiht (Transparenzregister (s. hier) oder das Wettbewerbsregister), die durchaus das Zeug haben, im Zusammenspiel Unternehmen faktisch aus dem Markt zu entfernen.
Fazit: Auch wenn den betroffenen Unternehmen nach dem überarbeiteten Referentenentwurf nun zumindest die „Todesstrafe“ nicht mehr droht, ist dem Entwurf deutlich die eigentliche Zielstellung des BMJV zu entnehmen: Die „Privatisierung der Strafverfolgung“. Zwar traut man den Strafverteidigern nicht, vertraut aber darauf, dass sich schon genügend „interne Ermittler“ auf bezahlter Basis finden werden, die dann die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden leisten. Angesichts zahlreicher Skandale in der Wirtschaft, genannt sei hier nur der Dieselskandal, sind die grundsätzlichen Ideen der Politik zwar durchaus nachvollziehbar.
Die – ziemlich offensichtlich – auf eine Arbeitserleichterung für die Strafverfolgungsbehörden gerichtete Ausgestaltung der Regelungen ist aber nur ein Kritikpunkt. Denn zum einen ist, wie auch schon an anderer Stelle ausgeführt (hier) dem deutschen Strafrecht mit seinem Sanktionsgedanken für „Schuld“ eine Strafbarkeit für Verbände an sich fremd. Zum anderen zeigt gerade die aktuelle Vermeidung eines Strafprozesses gegen Manager von VW (s. näher hier und hier), dass sich – an sich möglicherweise schuldige – Manager jetzt schon „freikaufen“ können. Daran wird das VerSan nichts ändern – oder es vielleicht sogar noch faktisch erleichtern. Damit aber wird das Strafrecht weiter ad absurdum geführt – droht doch der erneute Nachweis der Binsenweisheit „die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“.
BMJV: Ref-E „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ v. 22. April 2020