Während die noch im April 2021 für Januar von Destatis gemeldeten Unternehmensinsolvenzen Raum ließen für die Annahme, dass die sich seit November 2020 abzeichnende Trendwende bei den Unternehmensinsolvenzen nachhaltiger wäre, als die vorherigen (hier), deuten die neuesten Zahlen an, dass eine Trendwende noch nicht absehbar ist. So meldete Destatis nicht nur einen (weiteren) Rückgang der Insolvenzanträge für Unternehmen von 21,8% für Februar 2021 (im Vergleich zum Vorjahresmonat), sondern auch einen Rückgang der eröffneten Regelverfahren um 17% im April 2021 im Vergleich zum Vormonat (aber immer noch +10% im Vergleich zum Vorjahresmonat, hier).
Insgesamt bleiben also die Unternehmensinsolvenzen bislang noch hinter den Erwartungen angesichts der beispiellosen Krise zurück. Die Frage ist aber, ob das so bleiben wird. Die Antwort „nein“ ist zunächst relativ banal: Die (sowieso nur noch in Teilbereichen gültige) Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist (mit großem Echo in den Medien) zum 30. April 2021 ausgelaufen. Die Insolvenzantragspflicht gilt nunmehr unbeschränkt. Schon diese Änderung dürfte zu einem (wenn vielleicht auch geringen) Anstieg der Insolvenzanmeldungen auch von Unternehmen führen, zumal Stimmung und Lage in der deutschen Wirtschaft auch nur „moderat“ sind (hier).
Kommt „die“ Welle?
Die Frage ist also eher, ob es über die reine Erhöhung der Zahlen hinaus tatsächlich zu einem merklichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen kommen wird, wenn nicht sogar zu einer „Welle“ – mit entsprechenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen (s. auch hier). Nachdem ich diese Frage bereits Ende April mit einem noch zaghaften „Ja“ beantwortet, mir aber die weitergehende Betrachtung nach einer „Dominowelle“ offengehalten hatte (hier), habe ich zwischenzeitlich zumindest vier potentielle Auslöser identifiziert, die sich schlimmstenfalls zu vier Wellen auftürmen könnten:
- Erster Auslöser – Keine / zu späte Corona-Hilfen, Lockdown – „Leises Sterben“
- Zweiter Auslöser – Unternehmen, die am Neustart nach dem Lockdown scheitern
- Dritter Auslöser – Fälligkeit von KfW-Hilfskrediten Unternehmen, und dann ggf. noch ein
- Vierter Auslöser – sobald die von einer neuen Bunderegierung gesetzten regulatorischen Parameter greifen oder Vorwirkungen zeigen.
Die erste Welle dürfte bereits laufen, aber im Großen und Ganzen kleinere Betriebe, Geschäfte und Gastronomen betreffen, die entweder keine Corona-Hilfen erlangt haben oder bei denen diese zu spät ausgezahlt werden (s. dazu hier). Der Auslöser zur zweiten Welle betrifft solche Unternehmen, die über nicht mehr genügend Liquidität verfügen, um die Investitionen für das anziehende Geschäft zu finanzieren. Diese Welle könnte insbesondere durch das Auslaufen des Schutzschirms für Warenkreditversicherer Ende Juni 2021 und der dann zu erwartenden Umstellung auf Vorkasse ausgelöst werden (s. erneut hier, Ziffer 4). Zumal die Eigenkapitaldecke im deutschen Mittelstand im Zuge der Corona-Pandemie möglicherweise dramatisch abgeschmolzen ist (hier zu einer vorläufigen Erhebung). Ein weiteres Indiz für die angespannte Finanzdecke deutscher Unternehmen dürfte die starke Zunahme der Anträge auf Steuerstundungen sein (hier). Dazu kommt bei Unternehmen, die weiterhin Kurzarbeitergeld beziehen, die Verpflichtung, ab Juli 2021 immerhin 50% der Sozialversicherungsbeiträge ausgleichen zu müssen (hier). Und in dieser Lage dürfte es für betroffene KMU angesichts höherer Prüfungsstandards der Banken und Sparkassen (hier und hier) sehr schwer werden, an Kredite für das Wiederanfahren zu kommen.
Der Auslöser für eine dritte Welle könnte dann ab spätestens dem zweiten Quartal 2022 durch die dann eintretenden Fälligkeiten der Rückzahlungsverpflichtungen für die KfW-Hilfskredite schon gelegt sein. Und die vierte Welle könnte durch die zu erwartenden umfassenden regulatorischen Eingriffe ausgelöst werden, die zum Teil bereits in der Pipeline sind (hier) und die möglicherweise von einer kommenden Regierung noch gesteigert werden.
Wie hoch werden die Wellen?
Angesichts der genannten Auslöser ist es wenig verwunderlich, dass eine Mehrheit der im Restrukturierungsbereich tätigen Banker und Finanzierer eine Insolvenzwelle auf uns zukommen sieht (hier). Aber was bedeutet das in Zahlen? Glaubt man Creditreform und dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), haben sich bislang 25.000 nicht angemeldete Unternehmens-Insolvenzen aufgestaut (hier). Coface geht dagegen von „nur“ rund 4.000 zusätzlichen Unternehmensinsolvenzen für 2021/22 aus (hier). Aber, selbst wenn es keine große, sondern viele kleine oder eine gedehnte Insolvenzwelle geben sollte, dürften die Zahlen in den nächsten Monaten durchaus stark steigen. Ein Plus von 4.000 Unternehmensinsolvenzen alleine in 2021 gegenüber dem Vorjahr erscheint nicht unwahrscheinlich.
Was tun?
Die erste Welle rollt wohl schon und auch bei der zweiten Welle dürfte es schwer werden, noch geeignete Instrumente aufzustellen, die sie abmildern. Dafür ist die Zeit zu knapp. Die Politik könnte aber zumindest versuchen, den Auslöser für eine mögliche dritte Welle zu entschärfen. So schlagen die zuständigen EU-Institutionen etwa eine Umwandlung von Hilfskrediten in Zuschüsse um, damit überlebensfähige Unternehmen gerettet werden können (hier). Wenn man sich (mit guten Gründen) nicht auf derlei Ansinnen einlassen will, muss man hoffen, dass sich deutsche Politiker nicht auf den Lorbeeren der Einführung des StaRUG und der Reform der InsO ausruhen. Denn, wie die Erfahrungen mit der Modekette Adler zeigen (hier), dürfte auch bei sanierungswürdigen Unternehmen die Finanzierung des Neustarts ein, wenn nicht das, Thema sein. Dementsprechend wird sich die deutsche Politik rasch daran machen müssen, die Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wachstum der Wirtschaft allgemein und Anschubfinanzierungen im Besonderen positiv zu beeinflussen (s. hier). Aber vielleicht reichen die ersten zwei Wellen ja als Alarm.
Stell dir vor, die Welle kommt nicht
Wie so häufig könnte aber eine Alarmierung der Politik auch zu Aktionismus führen – mit langfristig erneut nicht positiven Auswirkungen auf die langfristige volkswirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Denn man sollte nicht vergessen, dass die Insolvenz – trotz des ganzen Boheis um die Sanierungen in der Insolvenz (die nur bei rund 10% der Unternehmensinsolvenzen überhaupt gelingt) – schlicht ein Instrument ist, um einen geordneten Marktaustritt von nicht (mehr) lebensfähigen Unternehmen zu gewährleisten. Man kann nicht einerseits von der Erforderlichkeit der Transformation der deutschen Wirtschaft reden und dann den Schumpeterschen Prozess der schöpferischen Zerstörung stoppen wollen. Es wird Zeit, die „untoten“ Unternehmen in Deutschland endlich aus dem Weg zu räumen. Sprich, die Politik muss die richtigen Werkzeuge finden, um lebensfähige Unternehmen an den Markt zurückzubringen, während nicht lebensfähige Unternehmen nicht – wie bei Corona (hier) – mehr künstlich am Leben gehalten werden. Dieser Bereinigungsprozess ist dringend erforderlich, um die deutsche Wirtschaft nachhaltig zu gesunden. Wie das funktioniert, illustriert sehr anschaulich die Pleite von Praktiker (hier).
Sprich, schlimmer als eine oder mehrere Insolvenzwelle wäre, wenn diese ausbliebe.