Unternehmensfinanzierung: Anleihen (in der Krise)

In Anbetracht der Belastungen, die verschiedene Corona-Hilfspakete (s. dazu schon hier) in den Bilanzen gerade mittelständischer Unternehmen hinterlassen haben dürften, stellt sich vermehrt Frage nach Alternativen oder Ergänzungen zur klassischen Kreditfinanzierung über die Hausbank. Aber auch die Finanzierung der „Transformation“ der deutschen Wirtschaft hin zu einer „Green Economy“ erfordert bekanntlich Milliardeninvestitionen (s. nur hier). Gerade bei großen Unternehmen wird für derartige Finanzierungsvorhaben gerne der Kapitalmarkt durch die Emission von Anleihen „angezapft“. So hat beispielsweise die Lufthansa jüngst die gewährten staatlichen Hilfen mit Hilfe von Anleiheemissionen zurückzahlen können (hier). Vor diesem Hintergrund beleuchte ich in einem weiteren Artikel aus meiner Serie zu „Möglichkeiten der Unternehmensfinanzierung“ – nach Sale and Lease Back (hier), den Corona-Hilfen (s. dazu erneut hier) und zuletzt Schuldscheindarlehen (hier) – diesmal die Unternehmensanleihe, mit besonderem Augenmerk auf die sog. „Mittelstandsanleihe“, auch „Mini-Bond“ genannt. Zudem wird die die im letzten Sommer erfolgte Restrukturierung der Eterna-Anleihe einer ersten Analyse unterzogen.

1. Grundlagen

Die Unternehmensanleihe (tw. auch noch als „Unternehmensobligation“ oder auf englisch als „corporate bond“ bezeichnet) ist eine von einem Unternehmen begebene Anleihe. Anleihen sind rechtlich zunächst als sog. „Schuldverschreibungen auf den Inhaber“ einzuordnen, vgl. § 793 ff. BGB. Die nicht namentliche Bezeichnung des jeweiligen Besitzers der  Unternehmensanleihen (dann wäre es eine sog. „Namensschuldverschreibung“) ermöglicht die problemlose Übertragung des Papiers auf Dritte. Im Gegensatz z.B. zum Schuldscheindarlehen (s. dazu erneut hier) sorgt die Verbriefung der Forderung in einer „handelbaren“ Urkunde damit für die Verkehrsfähigkeit.

Unternehmensanleihen wurden vor der Finanzkrise zunächst lediglich von großen deutschen (börsennotierten) Unternehmen begeben, die Volumina der ausgegeben Anleihen lag grundsätzlich über Euro 100 Mio. (s. hier). Als nach der Finanzkrise die Finanzierungsbedingungen insbesondere für KMU verschärft wurden (Stichwort: „Basel III“, hier) setzte sowohl die nationale, als auch die europäische Politik auf alternative, bankenunabhängige, Finanzierungsformen. Bereits beginnend im Jahre 2010 etablierten sich deswegen – auch politisch gefördert – an zahlreichen deutschen Börsen Marktsegmente für den Handel von sog. „Mittelstandsanleihen“ (auch als „Mini-Bond“ bezeichnet), bei denen mit Mindestemissionsvolumina von Euro 10 bis 25 Mio. sowie ggü. dem regulierten Anleihemarkt geringeren Publizitätspflichten und Ratinganforderungen mittelstandsadäquate Bedingungen für Anleiheemissionen geboten wurden. 

Anleiheemissionen stellen sich für das emittierende (mittelständische) Unternehmen auch deswegen häufig als gegenüber einem Bankkredit vorteilhaft dar, weil die mit letzterem verbundene Verpflichtung zur Stellung von Personal- und Sachsicherheiten nicht oder in wesentlich geringerem Umfang besteht und die zum Schutz der Anleihegläubiger in die Anleihe aufgenommenen Bestimmungen („Covenants“) in der Regel hinter der Wirkung entsprechender Kreditbedingungen zurückbleiben. Ferner sind die Kündigungsrechte der Anleger im Vergleich zu den den Emittenten schwächer, können Aufstockungen des Finanzierungsvolumens auch ohne Zustimmung der Anleger durchgeführt werden und konkrete Zweckbindungen der eingeworbenen Mittel sind kaum anzutreffen. Schließlich wird zum Teil bereits in den Emissionsbedingungen der jeweiligen Börsen nur ein beschränktes Nachrangverbot ausgesprochen (vgl. z.B. § 19 Abs. 1 lit. d) AGB FV Deutsche Börse AG („Scale“), hier). Deswegen werden Unternehmensanleihen in der derzeitigen Ausprägung – auch im Hinblick auf die Schwächen bei den für die Emission erforderlichen Einschaltung von „Capital Market Partners“ und dem Rating, auf deren Probleme hier nicht gesondert eingegangen werden soll – zum Teil als „First Loss Piece“ bezeichnet, bei dem die Anleger auf Grund der Konzeption der Anleihestruktur gegenüber den Altgläubigern und Gesellschaftern strukturell benachteiligt seien (s. zur Situation vor 2014 hier; zu Unternehmensanleihen in der Krise auch unten).

2. Marktentwicklung

Der neu geschaffene Markt für Mittelstandsanleihen wuchs in den ersten Jahren erheblich: So erhöhte sich das Emissionsvolumen der Mittelstandsanleihen von Euro 805 Mio. im Jahre 2010 auf Euro 2,352 Mrd. auf dem (ersten) Höhepunkt im Jahre 2013 (s. hier). Allerdings wurde dieses Marktsegment häufig von eher finanzschwachen Unternehmen genutzt, deren Geschäftsmodell sich bereits überlebt hatte (s. nur hier, u.a. mit dem Fall „German Pellets). Auf Grund der sich häufenden Ausfälle (im Nachhinein stellte sich heraus, dass 60% der am Stuttgarter „Bond M“ gehandelten Anleihen restrukturiert werden mussten oder ganz ausfielen (hier) wurden die – gegenüber der obigen Darstellung häufig noch laxeren – Emissionsbedingungen verschärft und die erst 2010 gegründeten entsprechenden Börsensegmente zum Teil „beerdigt“ (s. Handelsblatt zum Endes des „Bond M“-Standards, hier, s. auch die Analyse hier).

Während der Markt für Unternehmensanleihen allgemein auch nach 2013 weiter anstieg und 2018 die Euro 100 Mrd.-Marke durchstieß (hier), brach der Markt für Mittelstandsanleihen zunächst weiter ein und erholte sich erst ab 2017 wieder (hier). Trotz Corona stiegen – nach einem zwischenzeitlichen Einbruch – Zahl und Umfang der Emissionen sowohl allgemein (s. erneut hier) als auch im Mittelstandssegment (hier). Dies dürfte in erster Linie auf die Emission von sog. „Green Bonds“ zurückgehen, also Anleihen, die einer (wie auch immer gearteten) „nachhaltigen“ Unternehmensentwicklung dienen sollen (hier und insbesondere die Analyse der Deutschen Bundesbank hier).

3. Unternehmensanleihen in der Krise

Nicht nur vor dem Hintergrund der oben bereits angedeuteten Schieflagen von vor 2013 platzierten „Mittelstandsanleihen“, sondern auch auf Grund der aktuellen Restrukturierung der Unternehmensanleihe der Eterna Mode GmbH durch ein StaRUG-Verfahren (s. zu den Grundlagen dazu hier) vor dem AG München (Az.: 542 RES 2180/21) im Sommer 2021 (s. dazu nur hier und hier) stellt sich die Frage nach dem Schicksal von Unternehmensanleihen in der Krise. Eterna konnte nämlich den Anleihegläubigern letztlich einen Verzicht von 87,5% des Nominalwerts der Anleihe aufzwingen. Sprich, die Anleger erhalten nur 12,5% auf das von ihnen eingezahlte Kapital zurück. Wie war das möglich? Dazu zunächst einige grundsätzliche Ausführungen zur Restrukturierung von Anleihen in den einzelnen Verfahrensstadien, bevor kurz das Ergebnis der Eterna-Restrukturierung beleuchtet wird:

a) Außergerichtliche Restrukturierung der Anleihe

Gerät eine anleihefinanziertes Unternehmen in eine Krise, so stellt sich die Frage, wie angesichts häufig tausender Anleihe-Investoren die Anleihe in eine außergerichtliche konsensuale Restrukturierung / Sanierung einbezogen werden kann. Die hierfür in der Regel erforderlichen Stundungen oder Zinsverzichte können seit der Reform des Schuldverschreibungsgesetzes (SchVG) im Jahre 2009 nach § 5 Abs. 3 SchVG auch außerhalb eines Restrukturierungs- und Insolvenzverfahrens durch ein 75%ige Mehrheit der abstimmenden Anleihegläubiger beschlossen werden, wenn die Anleihebedingungen entsprechende Änderungen vorsehen. Fehlt die Möglichkeit zur Änderung der Anleihebedingungen, dann ist außerhalb förmlicher Verfahren eine 100%ige Zustimmung der Gläubigerversammlung erforderlich – die wohl eher illusorisch ist. Allerdings ist zu beachten, dass jeder Anleihe-Gläubiger, der in der Gläubigerversammlung (oder der nach § 18 SchVG möglichen „Abstimmung ohne Versammlung“) gegen einen entsprechenden Beschluss (z.B. zur Verlängerung der Laufzeit der Anleihe) gestimmt hat, nach § 20 Abs. 2 SchVG anfechtungsberechtigt ist. Wenn nicht eine gesonderte Freigabe durch das zuständige Oberlandesgericht erfolgt, vgl. § 20 Abs. 4 SchVG, dürfte alleine die hieraus resultierende zeitliche Verzögerung der Umsetzung des Gesellschafterbeschlusses etwaige Restrukturierungs- und Sanierungsbemühungen erheblich gefährden.

b) Anleiherestrukturierung im Rahmen des StaRUG

Nach dem seit 1. Januar 2021 geltenden § 19 Abs. 6 SchVG können Forderungen aus Anleihen in ein Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG einbezogen werden, wobei dann die in § 19 Abs. 1 bis Abs. 5 SchVG für Insolvenzverfahren enthaltenen Regelungen entsprechende Anwendung auf das StaRUG-Verfahren finden. Als problematisch könnte sich in diesem Zusammenhang noch erweisen, dass der BGH für die Bestimmung der erforderlichen Mehrheiten bei der Beschlussfassung die Bestimmungen der InsO anwendet und nicht die des SchVG (vgl. BGH, Urt. v. 16.11.2017 – IX ZR 260/15, Rz. 12). Diese Unterscheidung spielt schon bei einer Restrukturierung der Anleihebedingungen selbst eine Rolle, da nach § 5 Abs. 3 SchVG „nur“ eine 75%ige Mehrheit der „teilnehmenden Stimmrechte“ erforderlich ist, während § 25 Abs. 1 StaRUG dazu eine Mehrheit von 75% „der Stimmrechte in dieser Gruppe“ fordert. Sprich, es müssen 75% aller in dieser Gruppe zusammengefassten Gläubiger zustimmen, schon eine Nichtteilnahme an der Abstimmung wird als Ablehnung gewertet. Noch deutlicher können die Unterschiede im Ergebnis bei der Bestellung des gemeinsamen Vertreters ausfallen: Wendet man die Ansicht des BGH darauf an, so wäre für die Bestellung nach Maßgabe des StaRUG eine Mehrheit von 75% der Anleihe-Gläubiger als „Stimmrechte in dieser Gruppe“ erforderlich, vgl. erneut § 25 Abs. 1 StaRUG. Demgegenüber würde bei einer Bestellung unter Maßgabe des SchVG die einfache Mehrheit der abstimmenden Anleihe-Gläubiger zur Bestellung des gemeinsamen Vertreters ausreichen, vgl.  § 7 iVm. § 5 Abs. 4 SchVG. Eine richterliche Entscheidung zu dieser Thematik ist derzeit nicht bekannt, so dass die derzeit unklare Rechtslage zu erheblichen Unsicherheiten bei Restrukturierungen führen dürfte.

c) Anleiherestrukturierung nach InsO

Nach § 19 Abs. 2 SchVG hat das Insolvenzgericht nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Anleihe-Emittenten eine Gläubigerversammlung (nur der Anleihegläubiger!) zur Wahl eines gemeinsamen Vertreters einzuberufen, soweit dieser noch nicht bestellt worden war. Dieser Vertreter ist dann nach § 19 Abs. 3 SchVG allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Sprich, er ist zur Anmeldung der Forderung und zur Abstimmung in der Gläubigerversammlung (etwa über einen Insolvenzplan) berechtigt und verpflichtet.

d) Restrukturierung der Eterna-Anleihe

Im Falle der Restrukturierung der Eterna-Anleihe war zwar eine Restrukturierung der Anleihe vor Einleitung des StaRUG-Verfahrens an der Verfehlung der erforderlichen Mehrheiten gescheitert, allerdings wurde bei der Gläubigerversammlung zumindest ein gemeinsamer Vertreter bestellt – nach den oben diskutierten Bestimmungen des  § 7 iVm. § 5 Abs. 4 SchVG. Dieser gemeinsame Vertreter konnte dann als Vertreter aller Anleihe-Gläubiger nach § 19 Abs. 3 SchVG (analog) der Restrukturierung der Anleihebedingungen nach § 2 Abs. 2 StaRUG zustimmen  (s. auch hier). Das oben diskutierte Problem der ggf. erforderlichen qualifizierten Mehrheiten kam damit gar nicht auf.

Der gemeinsame Vertreter hat dann der Restrukturierung der Anleihe im oben geschilderten Umfang zugestimmt. Zwar hat auch der bisherige Mehrheitsgesellschafter „Federn lassen müssen“, indem er auf ein Gesellschafterdarlehen iHv. Euro 32,3 Mio. verzichtete, weiteres Eigenkapital nachschoss und einen weiteren Gesellschafter akzeptierte (hier), aber auf Grund der Beibehaltung der Gesellschafterstellung kann er auch an einer „Upside“ der Restrukturierung, sprich der Wertsteigerung des Unternehmens bei einer erfolgreichen Sanierung partizipieren. Demgegenüber sind die Anleihegläubiger nach Zahlung der bezeichneten 12,5% (die auch die aufgelaufenen Zinsforderungen abgelten soll!) „raus“. Zwar dürften sie – wie die Fälle von Air Berlin (hier) und Wirecard (hier) eindrücklich zeigen – in einer Insolvenz möglicherweise noch weniger, bis nichts erhalten haben, aber in derartigen Fällen gehen die Altgesellschafter eben auch leer aus. Es spricht also einiges dafür, dass Eterna als ein weiteres Beispiel für Anleihen als das oben bezeichnete „First Loss Piece“ in der Finanzstruktur eines Unternehmens anzusehen ist.

Fazit

Die steigenden Emissions- und Volumenzahlen bei Unternehmensanleihen insgesamt, insbesondere bei Mittelstandsanleihen indiziert zumindest den durch die Umsetzung der Basel-III-Bedingungen auf mittelständischen Unternehmen lastenden Finanzierungsdruck (denn das an mittelständische Unternehmen ausgereichte Finanzierungsvolumen scheint (zumindest pandemiebedingt) zurückgegangen zu sein (hier).

Dieses verstärkte „Engagement“ in Unternehmensanleihen dürfte von der Politik zunächst gerne gesehen werden. Auch aus Sicht der Unternehmen dürfte die „Handelbarkeit“ der Finanzierung und die – gerade gegenüber einem „normalen“ Bankdarlehen – grundsätzlich einfachere Restrukturierung von Anleihen mit einer etwas höheren Verzinsung günstig erkauft sein. Denn dem emittierenden Unternehmen dürften Anleihen als „First Loss Piece“ genau so willkommen sein, wie den co-finanzierenden Banken.

Aus Sicht der Investoren dagegen ist die Risikobepreisung dieses „Anlageproduktes“ – selbst im aktuellen Negativzinsumfeld – als viel zu niedrig anzusehen. So wies z.B. die oben genannte Eterna-Anleihe einen Zinskupon von nur 7,75% auf (aber auch diese Zinsen wurden nicht gezahlt). Gleichwohl dürfte angesichts der nun allseits propagierten „Green Bonds“ Zahl und Volumen der emittierten Anleihen eher noch steigen – bei im Zweifel überschaubarer Transparenz und Qualität der Emittenten. Bei einer erneuten Schwächephase der Kapitalmärkte dürfte die erstaunte Öffentlichkeit dann erneut mit „überraschenden“ Neuigkeiten von Ausfällen bei Unternehmensanleihen konfrontiert werden.

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