Die Trendwende des für Insolvenzrecht zuständigen IX. Senats des Bundesgerichtshofs (BGH) könnte sich – nach anfänglich nur schwer zu deutenden Zeichen lediglich beim Recht der Insolvenzanfechtung (hier und hier) – nunmehr zu einer wahren „Zeitenwende“ auswachsen: Bislang als sakrosankt geltende Bereiche des Anfechtungsrechts, der Verwalterbestellung, wie auch der Verwaltervergütung werden durch den sprichwörtlichen „Federstrich“ des obersten deutschen Zivilgerichts gerade neu ausgerichtet. Nachfolgend sollen deswegen die an anderer Stelle bereits ausgewerteten aktuellen Entscheidungen zusammenfassend eingeordnet werden.
1. Insolvenzanfechtung
Mit zwei aktuellen Entscheidungen hat der BGH seine Korrektur in Bezug auf die sog. „Kettenvermutungsregelungen“, die zu einer immensen Ausweitung des Rechts der Vorsatzanfechtung geführt hatten, fortgesetz (s. dazu erneut hier) und folgt damit wohl endgültig der gesetzgeberischen Leitlinie der Reformen aus dem Jahre 2017 (s. dazu hier).
a) Mit seiner Entscheidung vom 22. Februar 2022 („Vorsatzanfechtung – Das Ende der „Kettenvermutungen“) durchbricht der BGH (erneut) seine bisherige, unselige, als „Kettenvermutungsregel“ bezeichnete Doktrin (s. zur Kritik bereits Beissenhirtz, ZInsO 2016, 1778, 1785, abrufbar hier) und kehrt zu den Basisregeln der Beweislastverteilung im Zivilrecht zurück. Insbesondere kann laut BGH aus einem schleppenden Zahlungsverhalten des Schuldners nicht auf eine später eingetretene Zahlungseinstellung geschlossen werden, wenn die gesamte Geschäftsbeziehung durch solch schleppendes Zahlungsverhalten charakterisiert war.
b) Für die Entscheidung zur Anfechtung von Beraterhonoraren im Fall QCells hat sich der BGH fünf Jahre Zeit gelassen, die Entscheidung ist dafür mit 49 Seiten sehr umfang- und facettenreich ausgefallen. Herausgekommen ist ein Urteil mit Licht und Schatten. Im Hinblick auf die Sanierungspraxis ist zu begrüßen, dass der BGH nunmehr der Geschäftsführung einen breiteren Ermessenspielraum einräumt und die Auswüchse der vormaligen Frankfurter Rechtsprechung zu QCells ersatzlos einkassiert. Auch die weitere Eindämmung der Kettenvermutungsregeln erscheint sinnvoll, wenngleich die Eröffnung neuer Vermutungsregelungen durch Einstufung von Sanierungsberatern als „nahestehende Person“ diesen Effekt gleich wieder konterkariert. Auch die Verneinung des „bargeschäftsähnlichen Charakters“ der Honorarzahlungen scheint arg konstruiert, wenn auch dogmatisch verständlich und auf Grund der Neuregelung des § 142 InsO sowieso nur noch für Altfälle relevant. Die Einstufung von Sanierungsberatern als nahestehende Person (die sich wohl auf fast jede Beratungskonstellation in Krisennähe übertragen lässt) relativiert aber mit den damit einhergehenden Vermutungsregelungen zum Teil gerade die in derselben Entscheidung außer Kraft gesetzten Vermutungsregelungen wieder. Dogmatisch vielleicht sauberer, in der Sache nicht richtig hilfreich.
2. Vorauswahl Verwalter – Setzt sich Qualität durch?
Die Bestellung des Verwalters spätestens seit Ernst H. Jäger als „Schicksalsfrage“ des Insolvenzverfahrens. Nach § 56 InsO ist zum Insolvenzverwalter „eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen„. In der Gerichtspraxis hat sich dazu die Führung von sog. „Vorauswahllisten“ herausgebildet, die aus Bewerbern für das Amt zusammengestellt und für die Bestellung im konkreten Verfahren herangezogen wird. Das Insolvenzgericht Berlin hatte dazu eine Liste erstellt, die an Hand der Verfahrensart (mehr oder weniger als 20 Unternehmensinsolvenzen / nur Verbraucherinsolvenzen) und – basierend auf „allgemeinen“ und „verfahrensbezogenen“ Einzelmerkmalen – eine Gesamtbewertung an Hand einer Punktevergabe berechnete.
Der BGH hat dieses Punktesystem für rechtswidrig erklärt, weil schon die Basis der Punktevergabe keine Vergleichsgrundlage bilden könne. Aktuell wird in der Praxis die Frage diskutiert, ob damit das System der Vorauswahllisten an sich „gestorben“ sei oder nur die konkret in Berlin ausgebildete Form. Sie dürfte angesichts des Projekts einer bundeseinheitlichen Vorauswahlliste (s. nur hier) noch an Schwung gewinnen. Ausgehend von der Argumentation des Gerichts sollte zumindest ein System, das auf den vorgenannten „allgemeinen“ und „verfahrensbezogenen“ Merkmalen besteht, nicht per se unzulässig sein. Derartige Systeme sind in Form von Kennzahlensystemen schon seit Jahren im Einsatz (s. beispielhaft den Bericht von Deloitte über die Tätigkeit von Rombach Rechtsanwälte Insolvenzverwalter, hier).
Obwohl seit Jahren diskutiert, entwickelt sich das Thema der Qualitätsmessung bei Insolvenzverwaltern nur langsam weiter, aber nunmehr vielleicht in eine Richtung, die auch in anderen Wirtschaftsbereichen gang und gäbe ist: Vergleichbarkeit der Leistungen durch Kennzahlensysteme zu schaffen, um so die Qualität der Dienstleistung zu steigern. Für die Insolvenzverwalter würde diese Entwicklung – so sie in die hier angedeutete Richtung geht – natürlich ein Mehr an Wettbewerb bedeuten. Für die Gläubiger als „Kunden“ dagegen vielleicht eine Erhöhung der bislang „mauen“ Quoten.
3. Verwaltervergütung – da war auch mal mehr Lametta
Zwei relativ aktuelle Entscheidungen des BGH zu Vergütungsabrechnungen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters führten zu nicht unwesentlichen Kürzungen der jeweiligen Ansprüche.
a) Zunächst entschied der BGH, dass „die Bestimmungen über die Erhöhung der Mindestvergütung entsprechend der Anzahl der Gläubiger, die ihre Forderungen angemeldet haben, auf die Vergütung des Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person nicht anwendbar“ seien. Hinter der sperrigen Formulierung verbirgt sich der (nunmehr formulierte) Grundsatz, dass die schlichte Anzahl der Gläubiger in einem (vorläufigen) Verfahren nicht per se vergütungssteigernd berücksichtigt werden darf. Konkret betroffen war davon z.B. der vorläufige Insolvenzverwalter von Air Berlin der vergütungssteigernd mit Zahl von 1,3 Mio. Gläubigern argumentiert hatte.
b) In einem anderen Fall entschied der BGH: „Hat der Insolvenzverwalter einem Prozessfinanzierer einen Teil der streitigen Forderung abgetreten oder sich verpflichtet, einen bestimmten Teil des Erlöses an den Prozessfinanzierer auszuzahlen, erhöht nur der Teil des Erlöses die Berechnungsgrundlage, welcher der Insolvenzmasse nach Abzug der dem Prozessfinanzierer zustehenden Beträge zufließt.“ Sprich der – nicht selten über 25% liegende – Anteil der erfolgreich eingeklagten Forderung für den Prozesssfinanzierer ist bei der Vergütung der Verwalterhonorierung nicht anzusetzen.
Beide Entscheidungen führen natürlich zu einer – zunächst einmal formalen – Schmälerung der Berechnungsbasis für Verwaltervergütungen. Dabei dürfte die Entscheidung bezüglich der Berücksichtigung einer Vielzahl von Gläubigern tatsächlich nur wenige Fälle betreffen, die zweite Entscheidung zu Prozessfinanzierern dagegen einen nicht ganz unwesentlichen Teil der Verfahren. Grundsätzlich ist aber der Schluss aus beiden Entscheidungen nicht fernliegend, dass der BGH sich kritischer mit Vergütungsforderungen der Verwalter auseinandersetzt. In schon jetzt wirtschaftlich schwierigen Zeiten für Insolvenzverwalter keine gute Nachricht.
Fazit: Berücksichtigt man zu den vorgenannten Entscheidungen noch, dass der Gesetzgeber durch das SanInsFOG die zeitliche Ausdehnung der Insolvenzgründe – gerade gegenüber den nicht nur im Falle QCells zu beobachtenden Ausdehnungen seitens der Rechtsprechung – eingegrenzt hat (s. dazu schon hier), wird deutlich, wie stark sich das Recht der Insolvenzverwaltung aktuell wandelt: Die Insolvenzantragspflicht tritt in der Regel später ein, Sanierungsversuche können nunmehr mit einem „optimistischeren“ Ansatz geplant werden. In der Insolvenz sind die Anfechtungsmöglichkeiten eingehegt worden. Der potentielle Bewerber für das Amt eines Insolvenzverwalters wird sich möglicherweise zukünftig einem transparenteren Auswahlprozess stellen müssen, während seine Vergütungsbasis – nicht zuletzt auch durch die Beschränkung der Anfechtungsrechte – schmaler werden wird. Wenn das – 23 Jahre nach In-Kraft-Treten der InsO – mal keine Zeitenwende ist.