Wie schon im letzten Monat erwartet (hier), stieg die Zahl der beantragten Regelinsolvenzverfahren (die auch Insolvenzen von Unternehmen beinhalten) im Mai, und zwar laut Destatis um 8,4% im Vergleich zum April 2022 (hier). Auch wenn die Zahl der eröffneten Insolvenzverfahren über Unternehmen im ersten Quartal noch um 7,4% gegenüber dem Vorjahresquartal zurückging, so bewegt sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nunmehr in einem (durch statistische Ungenauigkeiten bedingten, hier?) „Sägezahnmuster“ aufwärts, wie die entsprechende Grafik in der Meldung von Destatis zeigt. Der IWH-Insolvenztrend (hier) stützt die Daten von Destatis. Ausgehend vorgenannten „Sägezahnmuster“ müsste die Zahl der (beantragten) Unternehmensinsolvenzen im nächsten Monat wieder fallen, allerdings nicht unter das Niveau der Vormonate und von da im Folgemonat wieder steigen.
Auch die sog. „Sentiment-Studien“, sprich Umfragen bei verschiedenen Marktteilnehmern, indizieren, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ihre Talsohle durchschritten haben dürfte. So geht die jetzt als „Allianz Trade“ firmierende Euler-Hermes-Gruppe in einer aktuellen Studie von einem Anstieg der Insolvenzen in Deutschland um 4% in 2022 aus (hier). Auf den ersten Blick mutet diese Steigerung tatsächlich „moderat“ an. Berücksichtigt man allerdings, dass laut Destatis (oben) die Unternehmensinsolvenzen im ersten Quartal 2022 noch um 7,4% gesunken sind, dann wird deutlich, dass der Anstieg für den Rest des Jahres auch sehr steil verlaufen kann. Passend dazu warnt Atradius bereits vor einem Anstieg der Insolvenzen im Automotive-Sektor um bis zu 20% in 2022 (hier). Während einige Institutionen zwar die Wachstumsaussichten für die deutsche Wirtschaft nach unten schrauben, aber noch von einem positiven Wachstum ausgehen und die Wirtschaftsdaten für April auch nicht schlecht ausschauen (s. zusammenfassend hier), schließen die Ergebnisse des 20. Finance-Restrukturierungsbarometers eine Rezession im laufenden Jahr zumindest nicht aus – mit entsprechend steigenden Restrukturierungs- und Insolvenzzahlen (hier). Auch die Ergebnisse der Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammern (hier) zeigen, dass sich die Geschäftserwartungen in der deutschen Wirtschaft massiv eingetrübt haben. Schließlich scheint sich der Distressed M&A Markt allgemein (hier) und den NPL-Markt (hier) wieder zu beleben .
Zu den schon im letzten Monat aufgelisteten Krisenbranchen (Automotive, Einzelhandel, etc.) gesellt sich (erneut) das Transportgewerbe (hier). Aber auch die bislang erfolgsverwöhnte deutsche Start-up-Branche scheint unter die Räder zu kommen („Apokalypse“, hier, zur aktuellen Kündigungswelles s. hier, s. aber auch schon die Warnungen des Handelsblatts (!) aus dem Januar, hier).
Die Meldungen zu einzelnen Unternehmen in der Krise fasst Finance gut zusammen: „Die Adler-Tochter Consus rechnet mit hohen Abschreibungen, Hess Automotive wird zerschlagen, Staples verschwindet vom Markt und Terragon will die Zahlung seiner Anleihezinsen stunden“ (hier). Dazu kann man noch die Fosen Yard addieren, die Ende Mai 2022 in die (erneute) Pleite schlitterte (hier). Ferner wird die Einzelhandelskette Orsay alle ihre deutschen Filialen schließen (hier). Und auch wenn die Nachricht vom Ende für das ehemalige Mannesmann-Röhrenwerk mit Betriebsstätten in Düsseldorf und Mülheim in den einschlägigen Krisenportalen nicht auftaucht, so dürfte gerade sie ein ziemlich großes Warnschild für die potentiellen Auswirkungen der Durchsetzung von ESG-Standards in Deutschland – und damit ein Krisenzeichen ganz eigener Art – sein (s. dazu hier).
Angesichts der unklaren Wirtschaftslage hatte bereits die TMA Deutschland eine Verkürzung des Prognosezeitraums für die Überschuldungsprüfung im Rahmen des § 19 InsO gefordert (leider nicht veröffentlicht) gefordert. Dieser Forderung hat sich nunmehr sogar der Gravenbrucher Kreis angeschlossen (hier). Angesichts des bereits durch das SanInsFoG mittlerweile gesetzlich auf generell bereits auf zwölf Monaten reduzierten Prognosezeitraums (s. dazu hier) eine schon ungewöhnliche Forderung – gerade von Seiten der Insolvenzverwalter. Aber sie verdeutlicht, wie schlecht die Erwartungen sind.
Fazit: Die für Deutschland nunmehr prognostizierte moderate Erhöhung der Zahl der Unternehmensinsolvenzen steht in starkem Kontrast zur Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen im übrigen Europa. So soll die entsprechende Zahl nach den oben genannten Schätzungen von Euler-hermes z.B. in Österreich um 63% steigen, aber auch in England um 37% und in den Niederlanden um 24%. Gerade im europäischen Vergleich und im Hinblick auf den erreichten historischen Tiefstand wäre der Anstieg der Insolvenzen in Deutschland damit wirklich „moderat“. Ein wesentlicher Grund für die im europäischen Vergleich weiterhin geringe Zahl von Insolvenzen dürfte die Überfinanzierung der deutschen Wirtschaft durch „Bazooka“ und ähnlich markig bezeichnete Instrumente während der Hochphase der Pandemie sein. Sprich, die geringe Zahl von Insolvenzen dürfte mitnichten einer gesunden deutschen Wirtschaft, sondern immer noch der europäischen Notenpresse und der Gießkanne der ehemaligen Großen Koalition zu verdanken sein. Damit dürften etliche „Zombies“ weitergeschleppt worden sein, deren „Ableben“ bereinigend für die Wirtschaft gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund könnte die seit Jahren zu niedrige Quote von nicht-lebensfähigen Unternehmen, die nicht aus dem Wirtschaftskreislauf ausgeschieden sind, sich noch zu einem veritablen Wettbewerbsnachteil für Deutschland auswachsen. Während andere europäische Staaten ihre Wirtschaft bereinigen, konservieren wir sie. Kein gutes Zeichen. Dies auch deswegen, weil sich die Finanzierungsbedingungen auf Grund des in Folge der nachhaltig anziehenden Inflationsraten (aktuell hier) zukünftig erhöhten Zinsniveaus deutlich verschlechtern dürften.