Während ich in den letzten Monaten ja zumindest noch zumindest im Kaffeesatz der von diversen Instituten gelieferten Zahlenfriedhöfen lesen und versuchen konnte, einen Trend abzulesen (zuletzt hier), kommen mir jetzt teilweise die Zahlen abhanden (Destatis), teilweise scheinen sie etwas abgehoben zu sein (Creditreform). Na, dann machen wir uns mal an die Arbeit:
Denn während der IWH-Insolvenztrend 808 (eröffnete) Unternehmensinsolvenzen für November 2022 und damit eine Steigerung um 23% gegenüber dem Vorjahr meldet (hier), beschränkt sich Destatis auf die Meldung, dass die Zahl der beantragten Regelverfahren (die auch Unternehmensinsolvenzen umfassen) im selben Zeitraum um 1,2% zugenommen habe (hier). Zahlen zu eröffneten Unternehmensinsolvenzverfahren sucht man allerdings in diesem Monat bei Destatis vergeblich. Also schlecht fürs Kaffeesatzlesen.
Dies um so mehr, weil Destatis in der selben Meldung auch verlautbart, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in den ersten neun Monaten noch um 0,4% zurückgegangen ist. Nachdem der Rückgang der Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr 2022 noch -4% betragen hatte (hier), „holen“ die Unternehmensinsolvenzen im zweiten Halbjahr 2022 demnach zumindest auf. Aber ob daraus gleich ein Anstieg von (auch nur) 4% bis zum Jahresende folgt, wie Creditreform jetzt schon als sicher hinstellt (hier), dürfte trotz des geringen Ausgangsniveaus fraglich sein.
Aktuelle Fälle & Personalien
Wie immer kann man sich einen guten Überblick über die Szene durch einen Blick auf die Finance Restrukturierungsnews (hier) und den Juve Schwerpunkt Insolvenzen (hier) verschaffen. In diesem Monat sticht vor allen Dingen das Scheitern der außergerichtlichen Anleiherestrukturierung bei der Adler Group aus den aktuellen Fällen heraus (hier, hier, hier und hier). Würde mich nicht wundern, wenn ich im Januar dann über das erste große StaRUG-Verfahren berichten könnte. Nach Leiser und Goertz ist nun auch der Schuhhändler Salamander in die Insolvenz gegangen (hier). Aber auch beim Posterboy des Elektroantriebes, der Varta-Gruppe scheint nicht alles zum Besten zu stehen (hier). Mit der gemeinnützigen Krankenhausgesellschaft Diako in Flensburg, die sich in Eigenverwaltung restrukturieren will (hier), ist zudem ein weiteres Krankenhaus insolvent. Nicht gut in diesen Zeiten.
Beim Blick auf die Personalien in der Szene fällt neben dem neuesten Juve-Ranking (hier) vor allen Dingen der Wechsel von Eva Ringelspacher von Deloitte zu Wieselhuber (hier) ins Auge.
Blick ins Ausland
Der Blick ins Ausland offenbart derweil wieder mal ein Kontrastprogramm zur Kaffesatzleserei in Deutschland: Während wir hier aus minimalen An- oder Abstiegen irgendwelche Trends herauszulesen versuchen, zeigt uns das Ausland, wie klare Trendbildung aussieht: Wie in den letzten Monaten auch, so sind die Zuwachsraten bei Unternehmensinsolvenzen in England (+21% (YoY), hier), Schweiz (+21% (Jan-Nov 22, hier)) und Österreich (+57% (!) in 2022, hier). Ich wiederhole mich, aber SO sehen „Insolvenzwellen“ aus.
Fazit: Zwar „dümpelt“ Deutschland nicht nur beim Insolvenzgeschehen so dahin, aber gerade hier verdeutlicht der Vergleich mit dem europäischen Ausland den Rückstand Deutschlands. Eine Insolvenzwelle „à l’Autriche“ ist bestimmt nicht vergnügungssteuerpflichtig, führt aber eine nach den Finanzexzessen der vergangenen Jahre dringend erforderliche Bereinigung im Unternehmensbereich herbei. Unterbleibt diese Welle – und das dürfte immer deutlicher werden, dürfte die jetzt schon schwache Innovationskraft in Deutschland (hier) genau so weiter abnehmen, wie die jetzt schon geschwächte Produktivität (hier). Allerdings scheinen die Unternehmen in Deutschland nicht zu optimistisch in die Zukunft zu blicken, denn sie horten Liquidität in Rekordhöhe (hier), während die Zahlungsmoral abnimmt (hier). Zum Jahreswechsel ist eine Insolvenzwelle gleichwohl weiterhin nicht in Sicht, jedenfalls nicht in Deutschland.