Unternehmensinsolvenzen im Februar 2023 – Fachkräftemangel allerorten….

Die Zahl der beantragten Regelinsolvenzverfahren ist im Januar 2023 um 2,3% gesunken, wie Destatis hier berichtet; die Zahl der eröffneten Insolvenzverfahren über Unternehmen ist im selben Zeitraum laut IWH-Insolvenztrend sogar um 12% gesunken (hier, jeweils im Vormonatsvergleich). So weit, so vorhersehbar, denn erfahrungsgemäß bewegt sich die Insolvenzstatistik im Zick-Zack-Kurs (s. bereits hier zu den offensichtlichen statistischen Anomalien bei der Erhebung / Bewertung der Daten). Ein weiterer linearer Anstieg der Insolvenzzahlen (im Monatsvergleich, s. hier zum Vormonat) wäre also auch eher verwunderlich gewesen.  Grund zur Entwarnung ist das aber nicht – das dicke Ende kommt nämlich schon jetzt, in Form des Vorjahresvergleichs:

So ist laut IWH-Insolvenztrend die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Vergleich zum Januar 2022 nämlich um 29% gestiegen, laut Destatis ist die Zahl der eröffneten Unternehmensinsolvenzen im November 2022 um 19,9% im Vorjahresvergleich gestiegen. Das sind dann schon nicht mehr so ganz kleine Steigerungsraten.

Aktuelle Fälle & Personalien

Finance (hier) und Juve (hier) liefern den gewohnten guten Überblick über die aktuellen Entwicklungen in diesem Sektor und zeigen einige bedenkenswerte Trends auf. So erwarten Bankmanager derzeit keine „NPL-Welle“ mehr, weil die – Sie haben es bestimmt erraten – die aktuellen Hilfsprogramme der Bundesregierung für weniger Zahlungsausfälle sorgen (hier). Diese Beobachtung sollte man für die Abschätzung der weiteren Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen im Hinterkopf behalten.

Derweil scheint die „anekdotische Evidenz“ der allgemeinen Zunahme von Krisen- und Insolvenzfällen zumindest nicht zu widersprechen: Auf der einen Seite werden die Konsequenzen der Exzesse am Immobilienmarkt immer deutlicher, was sich daran zeigt, dass nach der Adler-Group nun auch Corestate keinen Abschlussprüfer mehr findet (hier). Die Entwicklung am deutschen Immobilienmarkt dürfte auch 2023 entsprechend „spannend“ bleiben. Zum anderen strecken Startups wie Yababa (hier) die Flügel, weil sich die Finanzierungsbedingungen für Unternehmensgründungen nach dem (scheinbaren) Ende der „akkommodierenden Geldpolitik“ der Zentralbanken verschlechtert haben (hier). Auch laufende Restrukturierungen innerhalb und außerhalb der Insolvenz gestalten sich schwierig – wie die Fälle Leoni (hier, hier und hier) oder der des Flughafens Hahn zeigen, dessen Verkauf aus der Insolvenz sich auch aus politischen Gründen eher schwierig gestaltet (hier). Aber scheinbar kann man auch in dieser Krise Schnäppchen schießen, wie die Fälle Görtz (hier) und Borgers (hier) zeigen.

Auch wenn mit Leoni und Borgers hier wieder zwei Beispiele aus dem guten alten Krisenherd „Automotive“ und mit Görtz ein Bespiel aus dem darbenden Einzelhandelssektor genannt wurde, scheint sich gerade eine systemische Krise zu entfalten: „Wie krank sind Deutschlands Krankenhäuser„, fragt die WiWo (hier). Und nicht nur dort scheint die schon lang prognostizierte Krise zu eskalieren (s. bei mir zuletzt hier), sondern auch im Pflegesektor, wie die Fälle von Convivo (hier), Haus Eichenhof (hier) oder Kissinger Sonne (hier) aktuell zeigen. Und das sind nur ein paar (kleine und große Beispiele) aus der Pflege-Insolvenzwelle des vergangenen Monats.

Das Personalkarussell dreht sich derweil zwar noch nicht ganz so schnell, nimmt aber an Geschwindigkeit auf: Alix Partners übernimmt die Restrukturierungsboutique die von Michael Keppel geleiteten THM Partners (hier).  Derweil wechselt der Elsässer-Partner Ole Brauer zu Anchor (hier) Stühlerücken auch bei Kanzleien: Der Münchner Restrukturierer Dr. Josef Parzinger wechselt von Kirkland & Ellis zu Allan & Overy (hier), während Kirkland die Praxisgruppenleiterin von Clifford Chance, Dr. Cristina Weidner, holt (hier).

Blick ins Ausland

Das Jahr 2022 war in England und Wales ein Rekordjahr – zumindest, was die Unternehmensinsolvenzen angeht, stiegen diese doch um 57% im Vorjahresvergleich auf den höchsten Wert seit der Finanzkrise (hier). In beide Ländern ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Dezember 2022 insgesamt zwar um über 3% (im Monatsvergleich) zurückgegangen, aber je nach Insolvenztyp gab es Steigerungen um bis zu 259% (hier). Auch im Januar fiel die Zahl der Insolvenzen erneut, diesmal um 15% im Monatsvergleich, im Jahresvergleich steigen die Insolvenzzahlen jedoch weiter (hier). Allerdings dürfte das kein Zeichen der Entspannung sein – befinden sich laut Begbies doch 60.000 Unternehmen auf der Insel in einer akuten Krise (hier). Die Antwort auf die bange Frage, ob die britische Wirtschaft dieses Jahr in eine Rezession rutscht (pro hier, contra hier) dürfte auch die weitere Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen bestimmen – dürfte doch der „deutsche Ausweg“ über üppige Hilfsprogramme nach dem „Mini-Budget“-Desaster von Liz Truss (hier) weitestgehend verbaut sein.

Zwar liegen für die Schweiz und Österreich noch keine aktuellen Zahlen für 2023 vor, aber die Eindrücke, dass in beiden Ländern 2022 eine Insolvenzwelle rollte, verstärken sich: So vermeldet Österreich einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen um mindestens 58% (hier und hier), die Schweiz einen um 35% für die ersten zehn Monate 2022 (hier). Für 2023 gibt es keine Entwarnung.

Prognosen anderer

Auch wenn das Jahr 2022 ein (weiteres) „annus horribilis“ für die Insolvenzbranche war (hier mit vertretbaren Analysen zu den Ursachen), könnte sich 2023  auch nicht (so viel) besser werden. Denn nicht nur der BDI warnt gemeinsam mit dem Wirtschaftsrat der CDU vor der De-Industrialisierung Deutschlands (hier) – und die könnte „leiser“ ablaufen, als sich die Insolvenzbrache wünschen könnte, z.B. schlicht durch die Schließung und Abwicklung von Werken und Firmen in Deutschland, wie sie Ford gerade vormacht (hier). Sprich, möglicherweise droht uns eher ein langes Siechen, denn ein Tsunami.

Fazit

Denn der Abbau von Arbeitsplätzen im Bereich Automotive dürfte sich nach dem von der EU beschlossenen Aus des Verbrenners (hier) noch beschleunigen – die Technik wird einfach ins Ausland verlagert. Dazu dürfte die Mutterkonzerne und potentielle Käufer eine Insolvenz vermeiden wollen, wie der Teufel das Weihwasser. Denn ein Insolvenzverwalter würde dann den Prozess kontrollieren.

Aber auch im Pflege- und Krankenhausbereich ist eine Insolvenzwelle alles andere als eine ausgemachte Sache. Gerade, weil es sich um eine systemische Krise handelt, dürfte die Politik alle Register ziehen, um das Anwachsen der derzeit zunehmenden Fälle zu einer „Welle“ zu verhindern. Ob damit eine tatsächliche Verbesserung nicht nur der Finanzen in diesem Bereich einhergehen wird, steht auf einem anderen Blatt.

Dagegen dürfte die Baubranche nicht unbeschadet durch diese Krise kommen – die Immobilienbranche dagegen möglicherweise schon. Denn weil die Inflation hoch bleiben dürfte, die Leitzins anziehen und im Zuge dessen auch die Baukosten weiter steigen werden, dürfte die Bautätigkeit in Deutschland weiter erlahmen. Gerade Wohnimmobilien sind aber jetzt schon ein rares Gut in Deutschland – der Mangel dürfte sich noch verschärfen. Das wiederum dürfte bremsend auf den Preisverfall wirken.

Zusammenfassend ist weiterhin also nur ein maßvolles Ansteigen der Unternehmenskrisen und -insolvenzen am Horizont zu erkennen, gerade, wenn man sich die Prognosen zu NPL anschaut. Das mag sich nicht mit der subjektiven „Workload“ von Sanierern, Restrukturieren und Insolvenzverwaltern – und deren Pendants in Banken und bei anderen Finanzierern – decken. Dabei sollte man allerdings berücksichtigen, dass schon der derzeitige maßvolle Anstieg der Unternehmenskrisen auf eine seit spätestens 2012 durchgehend ausgedünnte Branche trifft. Es gibt schlicht nicht mehr „allzuviele“ Spezialisten in diesem Bereich – halt Fachkräftemangel allerorten.

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