„Korruption ist die Autobahn
neben dem Dienstweg.“
Helmar Nahr
Nicht nur die Maskendeals des damaligen Bundestagsabgeordneten Nüßlein, der vom BGH vom Verdacht der Bestechlichkeit freigesprochen wurde, sondern auch die Immobilienkredite an den damaligen Bundesgesundheitsminister Spahn (hier) und den aktuellen Finanzminister Lindner (hier), werfen – 16 Jahre nach dem ebenfalls durch den BGH erfolgten Freispruch für Herrn Claassen für seine freigiebige Ticket-Vergabe an Politiker – durchaus Fragen auf.
Die Bestechung von Politikern ist spätestens seit der in den 1980er Jahren aufgedeckten sog. „Flick-Affäre“ (hier) – Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch nannte es „Pflege der politischen Landschaft – in der bundesdeutschen Öffentlichkeit angekommen. Gleichwohl gab es immer wieder entsprechende Fälle (man denke nur an die „CDU-Parteispendenaffäre“ (hier), die sog. „Hotelspenden-Affäre“ der FDP (hier) oder der „Modellbau-Affäre“ der CSU (hier)). Auch auf Druck der Europäischen Union wurde schließlich im Jahre 2014 die sog. „Abgeordnetenbestechung“ nach § 108e StGB unter Strafe gestellt (s. zur Reform hier). Trotz dieser Norm wurde Herr Nüßlein im Jahre 2022 vom Vorwurf der Abgeordnetenbestechung im Rahmen der Rechtsprechung zu den sog. „Maskendeals“ freigesprochen (s. dazu BGH u.a. unten). Wie kann das sein, fragt sich der geneigte Rechtskundige? Während die Tatbestände der Amtsträger-Korruption nach § 331 ff. StGB eine Unterscheidung danach enthält, ob sich der jeweilige Amtsträger einen Vorteil allgemein, ohne Bezug zu einer konkreten Handlung, versprechen lässt (dann Vorteilsnahme) oder ob der Vorteil konkret für eine Diensthandlung gewährt wird (dann Bestechung), wird der Tatbestand der Abgeordnetenbestechlichkeit nur erfüllt, wenn die Vorteilsgewährung, etc., „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ erfolgt. Diese enge Fassung des Straftatbestandes „rettete“ Herrn Nüßlein, denn die Maskendeals wurden nach Ansicht des BGH eben nicht bei Wahrnehmung des Mandates geschlossen.
Während die Strafbarkeit bei Herrn Nüßlein also bereits an diesem Merkmal scheiterte, wurde Herr Claassen freigesprochen, weil es an der sog. „Unrechtsvereinbarung“ – also einer inhaltlichen Verknüpfung von Vorteil und Dienstausübung – fehlen würde (s. BGH-Urteil, unten, Rz. 29 ff.; im Fall von Herrn Nüßlein wurde dieses Tatbestandsmerkmal nur gestreift, vgl. BGH-Urteil, unten, Rz. 71). Für den Rückschluss, dass Herr Claassen damit auch heute freigesprochen würde, wäre allerdings in diesem Stadium voreilig, denn die Anklage gegen Herrn Classsen wurde u.a. auch deswegen erhoben, weil die Freikarten u.a. „an den Ministerpräsidenten und fünf Minister des Landes Baden-Württemberg“ gerichtet waren (Rz. 6). Sprich, selbst heute würde sich die Frage der Strafbarkeit von Herrn Claaassen nach § 333 StGB richten, denn die Karten waren ja an „Amtsträger“ gerichtet (Minister des Landes Baden-Württemberg stehen nach § 1 MinG in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis und sind damit nach § 11 StGB Amtsträger iSv. § 333 StGB.
Aber heute wie damals dürfte die Unrechtsvereinbarung zu verneinen sein – aktuell zeigt sich das am Freispruch eines höheren Hamburger Beamten vor dem BGH aus dem Sommer 2023 wegen Annahme von Frei-Tickets für ein Rolling-Stones-Konzert. In der Pressemitteilung des BGH heißt es: „Die Feststellungen belegen schon nicht, dass der Überlassung der Freikarten und Kaufoptionen eine für die Erfüllung des Straftatbestands der Vorteilsannahme erforderliche sogenannte Unrechtsvereinbarung zugrunde lag.“ Folglich stünden die Chancen nicht schlecht, dass Herr Claassen (hypothetisch) auch heute noch „durchkommen“ würde. Ähnliches dürfte wohl für die eingangs genannten (ehemaligen) Bundesminister Spahn und Lindner gelten, die nach § 1 BMinG ebenfalls Amtsträger nach § 11 StGB sind.
Interessant ist der im damaligen Freispruch von Herrn Claassen in Rz. 28 enthaltene Hinweis auf eine im Reformprozess zur Schaffung u.a. von § 333 StGB nicht aufgegriffene Idee der Länder, wonach „vorgesehen [war], auf die Unrechtsvereinbarung gleichsam zu verzichten und die Strafbarkeit wegen Vorteilsannahme und -gewährung davon abhängig zu machen, dass dem Amtsträger ein Vorteil „im Zusammenhang mit seinem Amt“ zugewendet werden soll. Auch dies sollte gewährleisten, dass Handlungen – wie etwa das sog. „Anfüttern“ – erfasst werden, die dazu dienen, das generelle Wohlwollen und die Geneigtheit des Amtsträgers zu sichern (vgl. BRDrucks. 298/95 S. 9; BTDrucks. 13/3353 S. 11). Ein die Strafbarkeit begründender Zusammenhang mit dem Amt sollte immer dann gegeben sein, „wenn die zuwendende Person sich davon leiten lässt, daß der Beamte ein bestimmtes Amt bekleidet oder bekleidet hat“ (BTDrucks. aaO).“ Diese weitergehende Strafbarkeit wurde – wie der BGH in der Folge ausführt – aber u.a. von der damaligen Bundesregierung als zu weitgehend abgelehnt.
Wohl nicht ganz unbeeinflusst von der Affäre um die damalige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Frau Eva Kaili (s. hier und hier), hat die EU Kommission im Mai 2023 eine Initiative zur Verstärkung der Korruptionsprävention gestartet (nähere Erläuterungen hier). Bezeichnenderweise hatte Frau Kaili nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnis wohl Gelder vom Staat Katar in nicht unwesentlichem Umfang angenommen und sich danach im und außerhalb des Parlaments positiv über den Staat auf der arabischen Halbinsel geäußert. Im Rechtsausschuss des Bundestages wird dieser Initiative mit einiger Kritik begegnet (hier). Insbesondere wird befürchtet, dass durch eine zu weite Fassung der Korruptionstatbestände das (im Gegensatz zu Amtsträgern) nach Art. 38 GG freie Mandat der Abgeordneten zu weit eingeschränkt würde.
Daneben hat eine Arbeitsgruppe junger Abgeordneter zusammen mit dem DICO – Deutsches Institut für Compliance e.V. eine weiteren Vorschlag erarbeitet, der in einen § 108 f StGB münden soll (hier). Transparency International empfiehlt dagegen im geltenden § 108 e StGB das Tatbestandsmerkmal „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ durch „unter missbräuchlicher Ausnutzung der Stellung als Mandatsträger“ zu ersetzen und insoweit einen Gleichlauf mit dem Wortlaut von § 44a AbgG herzustellen (hier, s. insgesamt zu den Vorschlägen hier).
Fazit: Auch 17 Jahre nach dem Sommermärchen ist davon auszugehen, dass die freigiebige Vergabe von Vorteilen an Abgeordnete, Minister und höhere Beamte nicht mit dem deutschen Korruptionsstrafrecht kollidiert. Damit droht zumindest derzeit weder Politikern noch ihren „Sponsoren“ eine Strafverfolgung – zumindest nicht nach den Bestechungsdelikten.
Eine andere Frage ist, ob Vorteile – gerade in den zuvor geschilderten Größenordnungen – von den Governance- und/oder Compliance-Richtlinien von klassischen Zuwendern, wie Unternehmen, noch gedeckt sein können. Gerade nach den Affären um die Vergabe von Tickets für Fußball-Events haben sich zahlreiche Unternehmen entsprechende Richtlinien für diese sog. „Hospitality“-Maßnahmen gegeben (s. z.B. auch die Ausführungen bei DICO zu diesem Bereich, hier, Ziff. 3.2).
Übrigens: Das Korruptionsstrafrecht für (u.a.) Ärzte, welches 2016 unter großem Bohei eingeführt wurde (hier), läuft scheinbar ebenfalls ins Leere (hier). Aber das ist das Thema für einen anderen Post.
BGH, Urt. v. 31.08.2023 – 5 StR 447/22 (noch keine schriftliche Urteilsbegründung, Pressemeldung hier, s. auch hier).
BGH, Beschl. v. 05.07.2022 – StB 7-9/22 (Georg Nüßlein, Pressemeldung hier, s. auch hier)
BGH, Urt. v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08 (Utz Claasen, Pressemeldung hier, s. auch hier)
EU Kommission, „Proposal for a DIRECTIVE OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on combating corruption […]“