Destatis meldet, dass die Zahl der Regelinsolvenzen (die auch die Unternehmensinsolvenzen beinhaltet) im Februar 2024 um weitere 18,1% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist und ergänzt, dass „seit Juni 2023 damit durchgängig zweistellige Zuwachsraten im Vorjahresvergleich zu beobachten [sind], wobei die Regelinsolvenzen für diesen Zeitraum insgesamt noch leicht unter dem Niveau des Vor-Corona-Zeitraums Juni 2019 bis Januar 2020 lagen.“ Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen stieg laut Destatis in 2023 um weitere 22,1% lag damit aber noch 5% niedriger als 2019. Schaut man auf die entsprechende Veröffentlichung zu Unternehmensinsolvenzen des IWH-Insolvenztrends, dürfte diese Marke dieses Jahr allerdings problemlos gerissen werden: „Die Zahl [der Unternehmensinsolvenzen im Februar] liegt 11% über dem Vormonat, 43% höher als vor einem Jahr und 28% über dem Februar-Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, also vor der Corona-Pandemie.„
Aktuelle Fälle
Dementsprechend wird es auch immer schwieriger, bei der Vielzahl der neuen Fälle nicht den Überblick zu verlieren. Wie immer liefern Juve (hier) und Finance-Magazin (hier und aktuell hier) einen guten Überblick über das aktuelle Insolvenzgeschehen.
Mit McTrek meldet der nächste (Mode-)Einzelhandels-Filialist Insolvenz an (hier). Interessante Erläuterungen zu den Hintergründen der Bereinigung im Mode-Einzelhandel finden sich hier. Aber auch im Immobilienbereich geht es weiter hoch her: Während Helma Eigenheimbau nach scheinbar gescheitertem StaRUG-Versuch Insolvenz anmeldet (hier), versucht sich der Immobilieninvestor Branicks (vormals: DIC Asset) aktuell an einer StaRUG-Restrukturierung (hier, konkret hier). Dagegen könnte das Bauprojekt „Fürst“ in Berlin über ein englisches Sanierungsverfahren gerettet worden sein (hier). Die WiWo zeigt in einem lesenswerten Artikel die Folgen der Immobilien-Insolvenzwelle auf (hier). Derweil meldet Signa-Gründer René Benko Privatinsolvenz an (hier und hier).
Im Automotive Sektor geht es ebenfalls rund: Der Automobilzulieferer Eissmann stellt Insolvenzantrag (hier) und mit Next.e.Go Mobile verabschiedet sich dann auch ein E-Auto Produzent in die Insolvenz (hier). Und die Flucht des Kreditvermittlers Creditshelf unter einen Schutzschirm (hier) dürfte nicht nur zu weiteren Schwierigkeiten bei Unternehmensfinanzierungen führen, sondern dürfte auch ein Fingerzeig in Richtung Finanzkrise sein (zuletzt bei mir hier, Aktualisierung folg).
Blick ins Ausland
Nicht nur, dass in den USA die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Februar 2024 um 22% über Vorjahresniveau lagen und damit 19 Monate in Folge angestiegen sind, nein, alleine die Zahl der Anträge auf Eröffnung eines Chapter 11-Verfahrens stiegen um sage und schreibe 118% (!) (hier). Im Januar stieg die Zahl der Insolvenzen in England und Wales um weitere 5% (hier) und im Februar um weitere 17% (hier). Aktuelle Zahlen für Österreich liegen derzeit nicht vor, allerdings scheint die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in 2023 um 13% gestiegen zu sein (hier) und für 2024 wird ein weiterer Anstieg von 9% erwartet (hier).
Prognosen anderer
Falkensteg meldet einen Rückgang der Großinsolvenzen im letzten Quartal 2023, aber auch einen Rückgang der „erfolgreichen Verfahrensausgänge“, sprich die Sanierung von Großunternehmen in der Insolvenz funktioniert seltener (hier). Die DIHK erwartet wenig überraschend für 2024 ebenfalls mehr Insolvenzfälle (hier).
Fazit: Im Café Krise (hier) erläuterte Prof. Dr. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, volkswirtschaftliche Hintergründe. Demnach war Deutschland bis 2017 wirtschaftlich gesehen Outperformer, deutsche Unternehmen haben in den letzten 20 Jahren hohe Resilienz entwickelt, verdeutlicht an der Erhöhung der Eigenkapitalquote von 20% auf 30%. Seit 2017 ist Deutschland eher Low-Performer auch im Vergleich mit einzelnen EU-Ländern. So ist Deutschland auf Platz 19 von 21 Industrienationen abgerutscht (18?, wohl ZEW-Studie, hier). Vor diesem Hintergrund erscheint die derzeitige Entwicklung im Insolvenzsektor wenig überraschend – überraschend ist eher, wie gering die Welle im Vergleich zu vergleichbaren Volkswirtschaften bislang ausfällt. Das mag aber auch daran liegen, dass viele Unternehmen „still“ vom Markt verschwinden. So vermeldet Destatis für 2023 zumindest 7,9% mehr Gewerbeaufgaben größerer Betriebe gegenüber dem Vorjahr (hier). So verlagert z.B. Meyer Burger die Produktion von Solarmodulen aus Deutschland nach Colorado (hier) – diese Verlagerung wird sich wohl nicht in der Insolenz- sondern nur der Liquidationsstatistik niederschlagen. Auch betrachte ich es skeptisch, dass der Saldo zwischen Gründungen und Liquidationen seit 2003 durchgehend positiv ist, denn die Frage ist, wie viele Neugründungen die „Qualität“ der zu ersetzenden liquidierten Unternehmen haben, was Umsatz, Ertrag, Mitarbeiterzahl, etc. angeht.
Nach einem Aufschrei der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte (hier) hat eine „außerordentliche Wirtschaftsministerkonferenz“ die Verlängerung der Einreichungsfrist für die Schlussabrechnungen der Corona-Wirtschaftshilfen bis zum 30. September 2024 beschlossen (hier). Damit ist nach einer vorherigen Eskalation durch Herrn Habeck (hier) wieder etwas (nötige) Ruhe in diesem Bereich eingekehrt. Denn bereits ohne den Zeitdruck dürften die Rückforderungen von Corona-Hilfen die Insolvenzzahlen nach oben treiben (s. nur hier zum Umfang der Rückforderungen in MVP, hier zu BaWü).
Die Kurve (der Unternehmensinsolvenzen) zeigt unvermittelt nach oben – und die wirtschaftlichen Daten sprechen nicht dafür, dass eine erneute Trendumkehr in nächster Zeit erfolgen könnte.