Aktuelle rechtliche Entwicklungen bei „Distressed M&A“

Zwar schwächelt generell der Markt für Unternehmenskäufe (s. aktuell hier), allerdings steigt das Grundrauschen im sog. „Distressed M&A“-Markt. Der Kauf eines Unternehmens in der Krise kann – je nach Stadium – neben dem zumeist günstigeren Kaufpreis einige weitere Vorteile bieten. Diese Vorteile haben allerdings auch ihren Preis – die der potentielle Erwerber durchaus auch in seine Überlegungen einbeziehen sollte. Nachfolgend sollen deswegen aus aktuellen Anlass einige wesentliche rechtliche Aspekte bei derartigen Akquisitionen praktisch beleuchtet werden.

Grundlagen

Beim „Unternehmenskauf“ ist zwischen dem sog. „share deal“, also dem Kauf von Unternehmensanteilen und dem sog. „asset deal“, also dem Kauf von Vermögenswerten, im Kontext von Distressed M&A zumeist dem Kauf der Einzelwerte, die zusammen den Geschäftsbetrieb des (insolventen) Unternehmens ausmachen, unterschieden. Aus Sicht des übertragenden Unternehmens wird bei der Veräußerung des Geschäftsbetriebes (also der Vermögenswerte, die die Aktivseite der Bilanz bilden) in Krise und Insolvenz häufig auch von einer „übertragenden Sanierung“ gesprochen.

Häufig übernimmt der Insolvenzverwalter nicht selber den Verkauf, sondern schaltet spezialisierte Berater ein. Die erste Hürde für potentielle Erwerber ist deswegen nicht selten, erst einmal Verbindung mit den „richtigen“ Ansprechpartnern aufzunehmen – zumal der Zeitdruck in diesen Situationen häufig enorm ist. Der Verwalter ist grundsätzlich verpflichtet, den bestmöglichen Preis bei der Veräußerung zu erzielen – was angesichts der Krisensituation natürlich ein schwieriges Unterfangen ist. Deswegen werden – teils strukturiert, teils „freihändig“ – Bieterverfahren durchgeführt. Der eigentliche Verkaufsprozess verläuft dann zumeist entlang der Verlaufslinien einer „normalen“ Unternehmensakquisition – LoI, Finanzierungsnachweis, Asset Purchase Agreement, Signing, Closing. Aber auch in diesen Schritten sind insolvenzspezifische Besonderheiten zu beachten, die nachfolgend noch näher erläutert werden.

Minimierung sog. „Erwerberrisiken“ beim Kauf aus der Insolvenz

a) Einer der großen Vorteile des Kaufes eines Betriebes aus der Insolvenz (im Wege des Asset Deals) stellt die Minimierung der sog. „Erwerberrisiken“, dar, denen ein Erwerber im Rahmen eines Kaufs außerhalb der Insolvenz normalerweise ausgesetzt ist. Dies betrifft insbesondere die Risiken aus der sog. „Haftung bei Firmenfortführung“ nach § 25 HGB, Die Haftung für Steuerforderungen gegen das übernommene Unternehmen nach § 75 AO und schließlich die den Übergang von Arbeitsverhältnissen nach § 613a BGB. Die Haftung bei Firmenfortführung nach § 25 HGB (die sowieso nur bei „Firmenfortführung“, also weiterer Nutzung des Namens des übernommenen Unternehmens, eingreift) gilt im Falle eines Kaufs aus der (eröffneten) Insolvenz nach herrschender Meinung nicht (so zuletzt BGH, Urt. v. 03.12.2019 – II ZR 457/18, hier, bei mir hier, unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung seiner bisherigen Rechtsprechung).

b) Eine Haftung des Erwerbs für Steuerverbindlichkeiten gilt nach  § 75 Abs. 2 AO ebenfalls nicht im Falle des Erwerbs aus der Insolvenz. Ferner ist eine Haftung für rückständige Sozialversicherungsleistungen (abgeleitet aus § 75 AO) wohl nicht zu befürchten.

c) Demgegenüber gelten die Regelungen des § 613a BGB zu den Rechten und Pflichten bei Betriebsübergang in der Insolvenz zumindest partiell (vgl. BAG, Urt. v. 20.06.2002 – 8 AZR 459/01, hier). So ist eine Kündigung von Arbeitnehmern alleine wegen des Betriebsübergangs unwirksam, das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt allerdings unberührt, vgl. § 613a Abs. 4 BGB.

Die Geltung der Regelung wurden vom BAG allerdings zum einen in Bezug auf sog. Versorgungsansprüche eingeschränkt, dass die Regelung bei Betriebsveräußerungen in der Insolvenz nicht auf diejenigen Ansprüche der Arbeitnehmer anzuwenden ist, die bei Insolvenzeröffnung bereits entstanden sind, sondern nur für die ab der Insolvenzeröffnung entstandenen Masseforderungen (vgl. BAG, Urt. v. 19.12.2006 – 9 AZR 230/06, hier, Rz. 28, s. zuletzt BAG, Urt. v. 26.01.2021 – 3 AZR 139/17, hier). Diese Privilegierung ermöglicht es, die oft erheblichen Versorgungsanwartschaften der Mitarbeiter beim insolventen Unternehmensträger zu belassen. Urlaubsansprüche werden davon allerdings nur insoweit erfasst, als dass sie einem Zeitpunkt vor der Insolvenz zugeordnet werden können, dasselbe gilt für etwaige Ansprüche auf Urlaubsgeld. Der Erwerber haftet allerdings gesamtschuldnerisch mit dem Insolvenzverwalter für Arbeitsentgeltansprüche, die im Zeitraum zwischen Verfahrenseröffnung und dem Stichtag für den Betriebsübergang entstanden sind. 

Daneben haben sich in der Praxis verschiedene Strategien herausgebildet, um einen Übergang der Arbeitsverhältnisse zu verhindern. Neben etwa „Widerspruchslösungen“, der Etablierung von (Qualifizierungs- und) Transfergesellschaften oder der sog. „Auflösung der betrieblichen Einheit“, wird regelmäßig das Modell eines sog. „Erwerberkonzepts“ genutzt, welches auch vom BAG (Urt. v. 20.03.2003 – 8 AZR 97/02, hier) als rechtmäßig angesehen wird. Demnach verstößt die Kündigung des Betriebsveräußerers auf Grund eines Erwerberkonzepts „dann nicht gegen § 613a Abs. 4 BGB, wenn ein verbindliches Konzept oder ein Sanierungsplan des Erwerbers vorliegt, dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bereits greifbare Formen angenommen hat.“ Dementsprechend sollte – zumindest zur Risikominimierung – tatsächlich ein verbindliches Erwerberkonzept zwischen Verwalter und Erwerber geschlossen werden.

Weitere Besonderheiten beim Kauf aus der Insolvenz

Der Kauf eines Unternehmens aus der Insolvenz folgt insolvenzrechtlichen Besonderheiten, die von den Gepflogenheiten des „normalen“ M&A-Marktes zum Teil empfindlich abweichen: So wird der Erwerber feststellen, dass der Insolvenzverwalter jegliche Haftung für den verkauften Vermögenswert ablehnt; erst Recht wird er keine Garantien abgeben. Angesichts dessen, dass der Insolvenzverwalter das Unternehmen in einer existenzbedrohenden Krise übernommen hat, durchaus verständlich und in diesem Bereich marktüblich und nur selten verhandelbar. Die positive Seite dieser Medaille ist der gegenüber einem „normalen“ Unternehmensverkauf zumeist erhebliche Kaufpreis.

Grundsätzlich hat der Insolvenzverwalter nach § 160 InsO ferner die Zustimmung des Gläubigerausschusses, wenn dieser nicht bestellt ist, die der Gläubigerversammlung zur Veräußerung des Unternehmens einzuholen. Das Unterlassen der Einholung der Zustimmung ist zwar für die Rechtskraft des Verkaufs nicht maßgeblich, vgl. § 164 InsO. Da aber der Verwalter bei einer Versagung der Zustimmung erneut ein Haftungsrisiko eingehen würde, stellt er die Wirksamkeit des Kaufvertrages zumeist unter die (aufschiebende oder auflösende) Bedingung der Zustimmung der Gläubigerversammlung. Auch wenn die entscheidende Gläubigerversammlung auch von Gesetzeswegen zügig einzuberufen ist (vgl. § 29 InsO), so vergehen gleichwohl zwischen Vertragsschluss und Vertragswirksamkeit nicht selten Wochen der Unsicherheit. Die daraus resultierenden Risiken kann man nur bedingt minimieren – etwa durch Regelungen zum (verzögerten) Gefahrübergang und zu Zahlungen des Kaufpreises erst bei Wirksamkeit des Kaufvertrages. Das Hauptproblem – keiner, bzw. noch kein durchgreifender Einfluss auf das übernommene Unternehmen – lässt sich damit aber nicht beheben. Hier helfen nur Abreden mit dem Insolvenzverwalter, die im Einzelfall ausgehandelt werden müssen.

Fazit: „In jeder Krise gibt es nicht nur eine Chance, sondern auch eine Möglichkeit“ (Martin Luther King) – man muss sie nur professionell ergreifen, ist man geneigt, im Hinblick auf den Erwerb aus Krise & Insolvenz hinzuzufügen. Denn gerade das Insolvenzverfahren bietet nicht nur die Chance, einen unterbewerteten Vermögenswert ganz im Sinne der Buffett’schen Investitonsstrategie zu erwerben. Zur Wahrnehmung dieser Chance sind aber etliche juristische und praktische Klimmzüge erforderlich, deren Tragweite man sich vor Einleitung des Prozesses schon bewusst sein sollte. Die Mühen, die nach dem Closing in den neu erworbenen Geschäftsbetrieb investiert werden müssen, sind häufig ebenfalls beachtlich. Es benötigt gutes unternehmerisches Gespür, die Entscheidung zum Erwerb unter Zeitdruck zu treffen. Aber der Erfolg kann beachtlich sein.

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