Nachdem das OLG Frankfurt bereits im Jahre 2016 über den Sachverhalt zur Anfechtung von Beraterhonoraren bei einem gescheiterten Sanierungsversuch (konkret „QCells“) geurteilt hatte (s. schon hier), ließ sich der BGH über fünf (5!) Jahre Zeit, über die Revision zu entscheiden. Allein dieser Umstand verwundert. Die Entscheidung scheint sich darüber hinaus mit ihren 49 Seiten zudem zumindest in Teilen in die länger werdende Reihe für die Praxis nur schwer umsetzbarer Entscheidungen zu reihen (s. zuvor schon hier). Nachfolgend der Versuch einer ersten Bewertung.
Zunächst ist dem Urteil zuzugeben, dass es den bisherigen Maßstab der Erfolgswahrscheinlichkeit der angestrebten Sanierung praxisnah ausgestaltet und damit indirekt die in dieser Hinsicht völlig überzogenen Urteile der Vorinstanzen korrigiert. So hatten LG und OLG Frankfurt in ihren jeweiligen Entscheidungen betont, dass „der Schuldner die sichere Erwartung haben (muss), dass die Restrukturierung in Bälde abgeschlossen wäre“. Damit steigerten die Vorinstanzen den Wahrscheinlichkeitsgrad des Erfolgseintritt gegenüber der bisherigen BGH-Line erheblich (von: „ernsthafte und begründete Aussicht“ auf „sichere Erwartung“). Nunmehr lässt sich aus den Formulierungen des BGH z.B. ableiten, dass schon bei einer „optimistischen Einschätzung“ der Fähigkeit, eine bestehende Liquiditätslücke in absehbarer Zeit auszugleichen, der Benachteiligungsvorsatz durchaus entfallen lassen kann (Rz. 23). Ferner hat der Insolvenzverwalter nunmehr darzulegen und zu beweisen, dass ein Sanierungsversuch des Schuldners untauglich war und der Schuldner dies erkannt oder billigend in Kauf genommen hat (Rz. 74). Für den Schluss auf einen Benachteiligungsvorsatz ist ferner maßgeblich, dass für den Schuldner keine begründete Aussicht bestand, seine übrigen Gläubiger zukünftig vollständig befriedigen zu können (Rz. 75). Durch diese Parameter wird das Einschätzungsermessen der Geschäftsführung in Krisensituationen nicht unerheblich gestärkt. Auch dass u.a. bei Zahlungen an einen Sanierungsberater unter bestimmten Umständen der Sanierungsversuch noch nicht in den „Anfängen in die Tat umgesetzt“ worden sein muss (Rz. 72, 79), um einer Anfechtbarkeit zu entgehen, ist aus Sicht der Sanierungspraxis sehr zu begrüßen.
Wie die Vorinstanzen, so geht auch der BGH allerdings davon aus, dass eine den positiven Sanierungsaussichten entgegenstehende, nicht letztinstanzliche (!), Rechtsprechung (LG Frankfurt, Urt. v. 15.11.2011 – 3-5 O 45/11, hier) zum endgültigen Scheitern des Sanierungsversuchs führt (Rz. 34). Dieser Ansatz ist sehr kritisch zu beurteilen, da der BGH selber der beratenden Anwaltskanzlei in der Sache letztinstanzlich Recht gegeben hatte, also die rechtlichen Prämissen des damaligen Sanierungsversuchs schlussendlich korrekt waren (BGH, Urt. v. 01.07.2014 – II ZR 381/13, hier). Auf einem anderen Blatt steht allerdings, ob man in der Beratungspraxis angesichts eines derartigen Urteils nicht schon aus Vorsichtsgründen von einer Weiterführung des Sanierungsversuches abraten sollte. Genau an diese Überlegung knüpft der BGH – im Grundsatz wohl zu Recht – an, indem er ausführt (Rz. 36), dass es nicht auf nur auf die Erfolgsaussichten eines noch möglichen Rechtsmittels ankomme, „sondern auch darauf, ob dem Schuldner die für die Durchführung eines Rechtsmittels erforderliche Zeit noch zur Verfügung steht.“ Und weiter: „Das Zeitfenster [für einen Sanierungsversuch] endet, wenn der Insolvenzantrag aus der Perspektive ex ante unabwendbar ist.“ (Rz. 88). Auch aus Beratersicht ist diesem Ansatz zuzustimmen, pikant dabei ist allerdings, dass die Rechtsprechung nicht nur in diesem Fall gerade selber das Beispiel dafür liefert, dass auf Grund des „langsamen Mahlens der Justiz-Mühen“ Sanierungen scheitern können, sprich die Justiz selber zum Scheitern von Sanierungen maßgeblich beiträgt.
Völlig zu Recht dagegen weist der BGH darauf hin, dass sich ein „taugliches Sanierungskonzept“ nicht auf die finanzwirtschaftliche Seite beschränken [darf], sondern auch die Ursachen einbeziehen [muss], die zur Zahlungsunfähigkeit geführt haben.“ (Rz. 83 ff.). Die im hier zu Grunde liegenden Sanierungskonzept wohl lediglich vorgesehene Umwandlung von Anleiheforderungen in Eigenkapital trug damit, so der BGH, nicht ausreichend den „erheblichen Veränderungen in der Branche“ Rechnung. Erforderlich ist – soweit nicht klar abgrenzbare rein rechtliche Ursachen für die Krise vorliegen – ein umfassender betriebswirtschaftlicher Sanierungsansatz.
Zumindest dogmatisch kritisch zu sehen ist demgegenüber, dass der BGH das von ihm zur damaligen Rechtslage als Ausfüllung einer vorgeblichen Gesetzeslücke geschaffene Institut der bargeschäftsähnlichen Lage im Rahmen des § 133 InsO zunächst gerade nicht auf „Leistungen eines Sanierungsberaters“ angewandt sehen will (Rz. 45), nur um dann ab Rz. 49 auszuführen, dass „für eine anfechtungsfeste Bezahlung von Leistungen eines Sanierungsberaters ein Schutz nach den Grundsätzen der bargeschäftsähnlichen Lage zudem nicht erforderlich“ sei. Denn, so der BGH, „strebt der Schuldner eine erfolgversprechende Sanierung an und bezahlt er in diesem Rahmen die Leistungen des Sanierungsberaters, spricht bereits dies gegen einen Benachteiligungsvorsatz des Schuldners.“ Diese Rechtsprechung ist natürlich in Bezug auf die Rechtslage des § 142 InsO, der bis zur Reform von 2017 (erneut hier) die Anwendung des sog. „Bargeschäftsprivilegs“ für Vorsatzanfechtungen nach § 133 InsO explizit ausschloss, dogmatisch wesentlich stringenter. Denn der BGH hat mit der Anerkennung einer sog. „bargeschäftsähnlichen Lage“ im Rahmen des § 133 insO gerade selber ein – ja gesetzlich gerade nicht vorgesehenes – Bargeschäftsprivileg geschaffen. Dass er diese – auf Grund der Reform sowieso erledigte – Rechtsfigur nun noch in einem typischen Anwendungsfall zurückdrängt, mag dogmatisch ebenfalls verständlich sein. Derartige Volten der Rechtsprechung sind aber in der Praxis nur schwer nachzuvollziehen.
Danach (ab Rz 52) rekurriert der BGH zur Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung auf das bereits an anderer Stelle diskutierte Urteil vom 6. Mai 2021 (hier) und konstatiert, dass das OLG Frankfurt als Berufungsinstanz eben nicht diese neue Rechtsprechung beachtet habe, wonach „im Fall einer kongruenten Deckung allein aus einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht gefolgert werden kann, dass der Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz handelte.“ In der Folge erteilt der BGH mit seiner Rückverweisung an die Erstinstanz (der Fall war nicht entscheidungsreif) zahlreiche „Segelanweisungen“ insbesondere in Bezug auf den Umgang mit Forderungen von Sanierungsberatern.
Bedenklich sind dabei insbesondere die Ausführungen zur Frage, ab wann ein (außenstehender) Sanierungsberater eine „nahestehende Person“ iSv. § 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO sein soll. Der BGH geht davon aus, dass dies der Fall ist, wenn „der Sanierungsberater die entsprechenden Informationen uneingeschränkt zur Verfügung erhält“, „die nach ihrer rechtlichen und tatsächlichen Prägung den typischen Wissensvorsprung über die wirtschaftliche Lage des Mandanten vermittelte, den sonst nur damit befasste leitende Angestellte des Unternehmens oder dessen Vorstände haben.“ (Rz. 69). Genau diese Informationslage ist und sollte aber die Regel für die Arbeit eines Sanierungsberaters sein, wenn er ein Sanierungsgutachten erstellt. Sofern dem Sanierungsberater also nicht bewusst Informationen vorenthalten werden, ist er nunmehr als „nahestehende Person“ anzusehen. Angesichts der mittlerweile ausgeklügelten Prozessstrategien von Insolvenzverwaltern dürfte es zudem nun nur eine Frage der Zeit sein, bis z.B. der Abschluss eines Vertrages zur Sanierungsberatung als unmittelbar nachteiliges Rechtsgeschäft nach § 133 Abs. 4 InsO angefochten wird. Dementsprechend ist jetzt schon voraussehbar, dass der BGH in ca. fünf Jahren erneut bemüht sein wird, entsprechende Auswüchse bei den Anfechtungen wieder einzufangen. Um es klar zu sagen: Solche eine Volte ist für die Praxis schlicht ermüdend.
Bei dieser Kritik soll nicht verkannt werden, dass im hier vom BGH entschiedenen Fall die letzte Vergütungszahlung an die Anwaltskanzlei weniger als 24 Stunden vor Stellung des Insolvenzantrages erfolgte (Rz. 6/7), sprich zu einem Zeitpunkt, an dem auch der Anwaltskanzlei bewusst sein musste, dass die Sanierung gescheitert war. Allerdings dürfte man solchen Zahlungen auch ohne den Rückgriff auf die – erneut den Anwendungsbereich von Vermutungsregeln eröffnende – Einordnung als „nahestehende Person“ einer Anfechtbarkeit zuführen können. Denn der Nachweis der Tatbestandsmerkmale der sog. kongruenten Deckung nach § 130 InsO wird ja schon durch dessen Absatz 3 erleichtert.
Demgegenüber ist die – auch als Leitsatz veröffentlichte – Entscheidung des BGH, dass „der Rechtsanwalt mit seinem Mandanten vereinbaren [kann], dass er sein Honorar einfordern und durchsetzen kann, ohne dem Mandanten eine Berechnung mit näheren Angaben mitteilen zu müssen“ (s. auch ab Rz. 63) schon nicht nur wegen der hier angefochtenen Honorarsumme von rund Euro 4,5 Mio. für eine weniger als halbjährige Beratungstätigkeit eher als fehlgehend zu werten. Ferner entwertet diese Entscheidung die (ihrerseits eher praxisferne) Entscheidung desselben Senats (!) des BGH (Urt. v. 13.02 2020 – IX ZR 140/19 und 141/19, hier) wonach „die formularmäßige Vereinbarung eines Zeithonorars, welche den Rechtsanwalt berechtigt, für angefangene 15 Minuten jeweils ein Viertel des Stundensatzes zu berechnen“, nichtig sei. Die Konsequenz aus beiden Entscheidungen dürfte sein, dass Sanierungsberater ab jetzt keinerlei Nachweise mehr bezüglich ihrer Tätigkeit vorlegen werden. Damit ist der Geschäftsführung eine Kontrolle der häufig nicht unerheblichen Kosten der Sanierungsberatung im Grunde verwehrt.
Fazit: Ein Urteil mit Licht und Schatten. Im Hinblick auf die Sanierungspraxis ist zu begrüßen, dass der BGH nunmehr der Geschäftsführung einen breiteren Ermessenspielraum einräumt und die Auswüchse der vormaligen Frankfurter Rechtsprechung zu QCells ersatzlos einkassiert. Auch die weitere Eindämmung der Kettenvermutungsregeln erscheint sinnvoll, wenngleich die Eröffnung neuer Vermutungsregelungen durch Einstufung von Sanierungsberatern als „nahestehende Person“ diesen Effekt gleich wieder konterkariert. Auch die Verneinung des „bargeschäftsähnlichen Charakters“ der Honorarzahlungen scheint arg konstruiert, wenn auch dogmatisch verständlich und auf Grund der Neuregelung des § 142 InsO sowieso nur noch für Altfälle relevant. Die Einstufung von Sanierungsberatern als nahestehende Person (die sich wohl auf fast jede Beratungskonstellation in Krisennähe übertragen lässt) relativiert aber mit den damit einhergehenden Vermutungsregelungen zum Teil gerade die in derselben Entscheidung außer Kraft gesetzten Vermutungsregelungen wieder. Dogmatisch vielleicht sauberer, in der Sache nicht richtig hilfreich.
Der Verzicht auf eine „nähere Berechnung“ des Zustandekommens der anwaltlichen Kostennote öffnet dagegen Mißbrauch Tür und Tor. Der BGH sollte eher darüber nachdenken, die Taktung der Abrechnungszeiträume ins Belieben der Parteien zu stellen, anstatt komplett auf Nachweise zu verzichten.
In der Sache könnte sich die Entscheidung für die betroffene Anwaltskanzlei aber als Pyrrus-Sieg entpuppen, denn alles in allem dürften die Aussichten, die Honorarleistungen behalten zu können, die nach dem Bekanntwerden der Entscheidung des LG Frankfurt (zum SchVerschrG) geflossen sind, angesichts der Segelanweisungen des BGH nicht sehr hoch sein; für die Leistungen, die bis zu diesemm Zeitpunkt geflossen sind, wird sich die Frage stellen, inwieweit das vorgelegte Sanierungskonzept tatsächlich die „Ursachen der Zahlungsunfähigkeit“ bei der Wurzel packte. Nach den Ausführungen des BGH sind daran zumindest Zweifel angebracht. Von daher kann die zukünftige Beratungspraxis getrost „adé“ zu QCells sagen, aber die hier konkret betroffene Anwaltskanzlei wird daran gleichwohl noch eine Weile zu knabbern haben.