Im Juli diesen Jahres entschied der zweite Zivilsenat des BGH, dass „die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung iSd. § 826 BGB [erfüllt], wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird.“ Diese Entscheidung ist schon deswegen interessant, weil sie zum einen möglicherweise im Widerspruch zu einer Entscheidung des sechsten Senats des BGH steht, aber auch, weil einige Kommentatoren in der Entscheidung (fälschlicherweise?) ein probates Mittel gegen „Unternehmenszombies“ sehen.
Sachverhalt
Der Geschäftsführer einer GmbH nahm im Jahre 2015 einen Auftrag zur Erledigung von Fassadenarbeiten an und erhielt einen Vorschuss von Euro 13.000,-. Nachdem er auch auf Nachfristsetzung hin die Arbeiten nicht abgeschlossen hatte, ergab ein selbstständiges Beweisverfahren, dass die GmbH lediglich 5% des vereinbarten Auftrages tatsächlich abgearbeitet hatte, jedoch durch die Arbeiten einen (weiteren) Schaden von rund Euro 6.400,- am Gebäude verursacht hatte. Im Jahre 2016 erging gegen den Geschäftsführer ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Erst danach stellte er einen Insolvenzantrag über das Vermögen der GmbH. Das Insolvenzverfahren wurde 2017 eröffnet. Der Auftraggeber für die Fassadenarbeiten machte Schadenersatzforderungen gegen den Geschäftsführer für die verauslagten Kosten für das selbstständige Beweisverfahren direkt geltend. In den Vorinstanzen wurde der Geschäftsführer zum Schadenersatz aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 15a InsO verurteilt.
Die Entscheidung des BGH
Letztinstanzlich verurteilte der BGH den Geschäftsführer wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB zum Schadenersatz gemäß dem oben angeführten Leitsatz und führte weiter aus, dass „der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung Personen erfasse, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.“ Der entscheidende Senat ließ aber die Frage nach einer Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 15a InsO in der Sache unbeantwortet.
Bewertung
Die Entscheidung des zweiten Zivilsenats des BGH erscheint zunächst in Bezug auf die – im Gegensatz zu den Vorinstanzen – unterlassene Begründung über die Regelung des § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 15a InsO etwas konstruiert. Die Frage, ob der BGH hier eine Diskussion über den sog. „Quotenschaden“ oder „Neugläubigerschaden“ vermeiden wollte, (s. aber Rz. 51 des Urteils) oder ob er schlicht seine Erwägungen zu § 826 BGB in den Vordergrund stellen wollte, ist nicht zu beantworten.
Das Urteil ist aber gerade wegen der Begründung über § 826 BGB im Vergleich zu einem anderen Urteil des BGH aus dem Mai 2019 interessant, das allerdings aus der Feder des sechsten Zivilsenates stammt. Darin hatte der BGH nämlich einen Direktanspruch von Gläubigern einer insolventen GmbH gegen den Geschäftsführer nach § 826 BGB – nach einem „Griff in die Kasse“ – gerade abgelehnt (s. Kurzmeldung hier). Während der sechste Zivilsenat eine Haftung aus § 826 BGB also ablehnt, weil den Geschäftsführer keine Treuepflicht ggü. den Gesellschaftsgläubigern treffe (vgl. Rz. 10 des Urteils), prüft der zweite Zivilsenat dieses Tatbestandsmerkmal augenscheinlich gar nicht, sondern nimmt die entsprechenden Gläubiger schlicht in den Schutzbereich des § 826 BGB auf (vgl. Rz. 35 des Urteils). Diese Divergenz in der Rechtsprechung erscheint nicht gerade förderlich für die Rechtssicherheit.
Schließlich ist fraglich, ob diese Rechtsprechung tatsächlich – wie einige Kommentatoren behaupten (z.B. hier und hier) – zur Eindämmung der sog. „Zombie-Problematik“ (s. zu dem Phänomen hier und hier) führen kann. Denn – jenseits aller Definitions-Unterschiede – erwirtschaftet ein „Unternehmens-Zombie“ zwar keinen Gewinn mehr, seine Zahlungsfähigkeit ist aber gesichert, in der Regel durch stetig prolongierte Kreditlinien. Damit soll – und wird in der Regel auch – gerade der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit / Überschuldung verhindert werden. Im hier diskutierten Fall war aber das betreffende Unternehmen schon so weit insolvent, dass der Geschäftsführer selbst ohne Insolvenzverfahren wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung verurteilt werden konnte. An sich schon ein seltener Fall, entsprechend kann man aber davon ausgehen, dass es sich bei dem in Frage stehenden Unternehmen nicht (mehr) um einen Zombie handelte. Damit dürfte die Entscheidung des zweiten Zivilsenates wohl eher kein „Allheilmittel“ gegen Zombie-Unternehmen sein.
BGH, Urt. v. 27.7.2021 – II ZR 164/20
BGH, Urt. v. 7.5.2019 – VI ZR 512/17