Angesichts einer neueren Entscheidungen zum Recht der Insolvenzanfechtung stellt sich die Frage, ob der BGH gerade den Rückwärtsgang zu der von ihm selber 2021 eingeleiteten Zeitenwende (s. dazu näher hier) eingelegt hat.
Sachverhalt
In dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt kaufte die Schuldnerin Anteile an einer Gesellschaft, die Eigentümerin eines Hausgrundstücks in Berlin war. Die spätere Insolvenzschuldnerin beabsichtigte eine Aufteilung des Hauses in Wohnungseigentum sowie einen Abverkauf der Wohnungen mit Gewinn. Die spätere Anfechtungsgegnerin gewährte der Schuldnerin Darlehen zum Erwerb der Anteile. Die Schuldnerin war nicht in der Lage, das Darlehen (in Tranchen) fristgerecht zurückzuzahlen. Zum Teil erfolgten Zahlungen nach Mahnungen, zum Teil im Wege der Pfändungen. Die Schuldnerin fiel in die Insolvenz, der Insolvenzverwalter nahm die Darlehensgeberin letztinstanzlich erfolgreich auf Herausgabe der rückgezahlten Darlehenstranchen in Anspruch.
Rechtliche Würdigung
Der BGH unterstellt zunächst revisionsrechtlich, dass die Schuldnerin mit Benachteiligungsvorsatz handelte und die Darlehensgeberin die zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und die Gläubigerbenachteiligung kannte, mithin der Vermutungstatbestand des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO eingreife. „Liegen die Voraussetzungen des Vermutungstatbestands vor, muss der Anfechtungsgegner daher den Beweis des Gegenteils führen. Er muss darlegen und beweisen, dass er den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht kannte„, so der BGH weiter (Rz. 10 f.). Der Schuldner, der in dem nach § 140 InsO maßgeblichen Zeitpunkt zahlungsunfähig ist, handele demnach im Falle der Gewährung einer kongruenten Deckung nur dann mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er zumindest billigend in Kauf nimmt, dass er auch künftig nicht in der Lage sein wird, seine übrigen Gläubiger in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit zu befriedigen. Dementsprechend habe der Anfechtungsgegner keine Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners, wenn er von einer Befriedigung der übrigen Gläubiger in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit ausgehen durfte. Dabei muss es sich um eine aus objektiver Sicht gerechtfertigte Annahme handeln, die auf ausreichender Tatsachengrundlage beruht, eine bloße Hoffnung auf Befriedigung der übrigen Gläubiger ist nicht geeignet, die Vermutung der Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz zu widerlegen. Diese „ausreichende Tatsachengrundlage“ nimmt der BGH mit Verweis auf vorherige Entscheidungen etwa bei einem „ernsthaften, letztlich aber fehlgeschlagenen Sanierungsversuch“ an (s. dazu hier und hier).
Bemerkenswerter Weise führt der BGH danach eine zweite Fallgruppe der „ausreichenden Tatsachengrundlage“ auf, wonach die „Ursache der Krise des Schuldners, die zu seiner Zahlungsunfähigkeit geführt hat, vorübergehend sein“ könne, was nach Ansicht des BGH etwa bei einer Erkrankung des Einzelunternehmers oder Freiberuflers wie auch bei einer Verursachung der Krise durch äußere Umstände, die „in einer vorübergehenden (etwa pandemiebedingten) Schließung des Geschäftsbetriebs durch die zuständige Behörde“ der Fall sein könne. „In derartigen Fällen bedarf es keines Sanierungsversuchs, sondern eines Konzepts, welches das wirtschaftliche Überleben für die Dauer der Krise sichert und etwa in einer Stillhaltevereinbarung mit Gläubigern des Schuldners liegen kann.“ Auch wenn die Krise nicht nur vorübergehend sei, müsse der Schuldner nicht zwingend eine nachhaltige Sanierung anstreben, es reiche vielmehr aus, wenn er sich mit der Abwicklung des Unternehmens außerhalb eines Insolvenzverfahrens begnüge, wenn „diese aus der Sicht ex ante in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit zur Befriedigung seiner Gläubiger“ führe (Rz. 18).
Aus Sicht des BGH (Rz. 19) ist der Gläubigers / potentiellen Anfechtungsgegners „in der Regel“ auf Informationen des Schuldners angewiesen, um beurteilen zu können, ob mit einer Befriedigung der übrigen Gläubiger in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit gerechnet werden kann. Das Informationsbedürfnis wird laut BGH umso größer sein, je weiter der Anfechtungsgegner von den maßgeblichen Vorgängen im schuldnerischen Unternehmen entfernt ist. Beschaffe sich der Anfechtungsgegner die erforderlichen Informationen nicht, handele er mit Anfechtungsrisiko. Im besprochenen Fall beschränkte sich die der Darlehensgeberin vorliegenden entsprechenden Informationen auf einen Email-Verkehr, aus dem sich die Hoffnung der Geschäftsführung der Schuldnerin ergab, dass ein Verkauf von Geschäftsanteilen gelänge.
Fazit: In der hier kommentierten Entscheidung aus dem Oktober 2023 hat sich der BGH mit den Voraussetzungen für die Entkräftung der Vermutungsregel des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO beschäftigt. Demgegenüber hat er sich in den Entscheidungen, die zur Annahme einer „Zeitenwende“ beim BGH geführt haben (s. hier (2021) und hier (2022)), mit den Tatbestandsmerkmalen des § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO auseinandergesetzt. Bereits in der Kommentierung zur Entscheidung 2021 hatte ich auf diesen Umstand hingewiesen, aber auf eine „Abstrahlungswirkung“ der etwas gläubigerfreundlichen Rechtsprechung auf den Vermutungstatbestand des Satz 2 gehofft. Dieser Hoffnung hat der BGH nun einen Riegel vorgeschoben. Während der BGH noch 2022 entschied:
„Dem Anfechtungsgegner, der nur das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber kennt, fehlt es indes in der Regel an den Kenntnissen, die zur Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderlich sind“,
geht er in der aktuellen Entscheidung sehr schnell über diesen Punkt hinweg und konstatiert, dass der Anfechtungsgegner (nur dann) keine Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners habe, wenn er von einer Befriedigung der übrigen Gläubiger in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit ausgehen durfte. Sprich, der BGH konstatiert hier – im konkreten Sachverhalt wohl korrekter Weise – die Kenntnis des Anfechtungsgegners von „zur Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit“ erforderlichen Umständen.
Aus Gläubiger-Sicht wird man damit aber grundsätzlich nunmehr – bis zu einer möglicherweise klarstellenden Entscheidung des BGH – gerade bei (dokumentierten) Diskussionen zwischen Schuldner und Gläubiger davon ausgehen müssen, dass dem Gläubiger „Kenntnisse, die zur Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderlich sind“, vorliegen. Dementsprechend wird man aus Gläubigersicht dann die vom BGH geforderte „ausreichende Tatsachengrundlage“ schaffen müssen – etwa in Form eines Sanierungsgutachtens, eines von der ausdrücklichen Feststellung des vorübergehenden Charakters der Zahlungsunfähigkeit (etwa wegen Krankheit oder Betriebsschließung bei Pandemie) getragenen Stillhalteabkommen, oder einer Liquidationsplanung – um möglichst sicher zu stellen, dass die Vermutungswirkung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO widerlegt werden kann.
Fraglich ist, inwieweit angesichts dieser Lesart der Entscheidung die vom BGH in den vorhergehenden Entscheidungen ausdifferenzierten Kriterien für das Vorliegen der Voraussetzungen des Satz 1 aus Gläubigersicht überhaupt noch relevant sind. Zumindest in der konkreten Situation – Schuldner zahlt nicht oder nur schleppend – dürfte dies nur der Fall sein, wenn der Gläubiger sich nicht auf Diskussionen mit dem Schuldner einlässt, sondern schlicht etwaig verspätete Zahlungen stillschweigend vereinnahmt. Sobald er sich auf Diskussionen einlässt, vom Schuldner mit dessen Zahlungsproblemen konfrontiert wird oder die Forderung vollstreckt, wird man ihm aus Beratersicht anraten müssen, ein Sanierungsgutachten, eine Liquidationsplanung oder zumindest ein Stillhalteabkommen (bei nur vorübergehender Zahlungseinstellung) anzufordern, um das Anfechtungsrisiko zu minimieren.
Es scheint, dass der BGH die bisherige „Kettenvermutungsregel“ durch einen kleinteiligen Prüfprozess ersetzt, der aber in der vorgegebenen Form in der konkreten Situation so gar nicht stattfinden kann, bzw. von Zufällen abhängt. Zahlt der Schuldner beispielsweise einige Male, aber ohne weitere Gespräche mit dem Gläubiger, verspätet, dürfte die Zahlung nicht anfechtbar sein, da der Gläubiger keine Kenntnis vom übrigen Zahlverhalten des Schuldners hat. Diskutieren die Parteien aber über das Zahlverhalten, droht die Anfechtung, wenn der Schuldner nicht gezwungen werden kann, umfangreiche Dokumentationen zur (nachhaltigen) Sanierung, Liquidation unter Zahlung aller Gläubiger oder zur Kurzfristigkeit seiner Zahlungseinstellung vorzulegen. Dementsprechend bleibt im Endeffekt wenig von der Zeitenwende. Die Dogmatik der Norm des § 133 InsO streitet für den BGH, so viel muss man anerkennen. Die Frage ist nur, ob damit die Ziele der Reform des Anfechtungsrechts von 2017 (s. dazu hier) noch erreicht werden – sprich eine Entlastung der Gläubiger von Anfechtungsrisiken.