Mit Urteil vom 17. September 2020 hat der BGH erneut seine „Flexibilität“ bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Insolvenzanfechtung angedeutet – und die vom Verfasser zuvor aus vorherigen Entscheidungen entnommene „Entschärfung“ der Anfechtungsrechtsprechung (s. dazu hier) zumindest nicht fortgeführt, wie die nachfolgenden Erläuterungen zeigen:
Die Leitsätze des Urteils lauten:
a) Die Indizwirkung einer inkongruenten Deckung für den Benachteiligungsvorsatz setzt nicht voraus, dass der Schuldner bei der Rechtshandlung bereits drohend zahlungsunfähig war.
b) Gewährt der Schuldner eine inkongruente Deckung, mit der er nahezu seine gesamte Liquidität einem beherrschenden Unternehmen überträgt, liegen finanziell beengte Verhältnisse vor, die ernsthafte Zweifel an der Liquiditätslage des Schuldners begründen, wenn der Schuldner aufgrund der Rechtshandlung nicht mehr in der Lage ist, bestehende Verpflichtungen aus einem Werkvertrag zu finanzieren.
c) Ob die Indizwirkung einer inkongruenten Deckung gemindert ist, weil die Rechtshandlung längere Zeit vor dem Insolvenzantrag liegt, hängt davon ab, inwieweit der Schuldner nach der Rechtshandlung weiter geschäftlich tätig gewesen ist und regelmäßig Einnahmen und Ausgaben zu verbuchen hatte.
Kommentar: Die Begründung des IX. Zivilsenats deutet darauf hin, dass dem entschiedenen Fall eine besondere, nicht verallgemeinerungsfähige Konstellation zu Grunde lag. Fatal ist jedoch, dass der BGH hier erneut die Grenzen der Absichtsanfechtung nach § 133 InsO entgegen der Reform-Intention des Gesetzebers aus dem Jahre 2017 (s. dazu schon hier) nach außen verschiebt. Denn zum einen werden Inkongruenz und drohende Zahlungsunfähigkeit voneinander getrennt und zum anderen hat der BGH (in der konkreten Sondersituation vielleicht begründet) aber auch eine Anfechtung ermöglicht, bei der die Rechtshandlung acht Jahre vor dem Insolvenzantrag lag. Zudem dehnt er mit dem (von ihm selbst entwickelten) Tatbestandsmerkmal der „finanziell beengten Verhältnisse“ den Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit noch einmal in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise aus.