Zwar hat der Gesetzgeber letztlich (vernünftiger Weise) davon abgesehen, das sog. „Fiskusprivileg“ im Recht der Insolvenzanfechtung wieder einzuführen (hier), nachdem er diese Privilegien mit der Einführung der InsO 1999 abgeschafft hatte. Allerdings hatte er sich bereits im Jahr 2011 durch die Zuordnung von Steuerforderungen als sog. „Masseforderungen“ ein solches Privileg wieder „genehmigt“. Im Rahmen der Einführung des SanInsFOG (s. dazu grundlegend bereits hier) hat er die entsprechende Regelung des § 55 Abs. 4 InsO überarbeitet. Anlässlich des nun im Januar 2022 veröffentlichten „Schreibens“ des Bundesfinanzministeriums (BMF) zur Anwendungspraxis der Norm soll nachfolgend kurz auf die Auswirkungen der Regelung eingegangen werden.
Hintergrund
Bereits mit der Reform des Insolvenzrechts durch das ESUG hatte der Gesetzgeber ab dem Jahre 2012 mit der Regelung des § 55 Abs. 4 InsO (a. F.) wieder ein (beschränktes) Fiskusprivileg eingeführt, indem er unter bestimmten Umständen Steuerforderungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden, als sog. „Masseforderungen“ deklarierte. Demnach galten „Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.“ Die Privilegierung der Forderungen des Fiskus ergibt sich nun daraus, dass bestimmte, vor Verfahrensbeginn begründete, Steuer-Forderungen, die eigentlich als sog. (einfache) „Insolvenzforderungen“ nach § 38 InsO nur mit der sog. Insolvenzquote zu befriedigen wären, durch die Einstufung als sog. „Masseforderungen“ nach den Regelungen des § 55 InsO vorrangig gegenüber den Insolvenzforderungen zu befriedigen sind.
Nicht erst seit dem der BGH (2018, hier) und der BFH (2020, hier) die fehlende (analoge) Anwendbarkeit der Regelung auf die vorläufige Eigenverwaltung festgestellt hatten, wurde die daraus resultierende Ungleichbehandlung zwischen Eigenverwaltungs- und Regelverfahren kritisiert. Der Gesetzgeber hat diesen weiteren Kritikpunkt allerdings nicht zum Anlass genommen, seine Haltung zum Fiskusprivileg allgemein zu überdenken, sondern er hat – so gesehen konsequent – die Regelung auf die vorläufige Eigenverwaltung ausgedehnt, dabei allerdings die Arten der erfassten Steuern beschränkt, so dass z.B. Einkommens- und Körperschaftssteuer nicht mehr erfasst sind. Die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO in der Fassung des SanInsFOG lautet:
„Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Den Umsatzsteuerverbindlichkeiten stehen die folgenden Verbindlichkeiten gleich:
1. sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben,
2. bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern,
3. die Luftverkehr- und die Kraftfahrzeugsteuer und
4. die Lohnsteuer.„
Diese Regelung ist erst durch die Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 15. Dezember 2020 (hier, S. 92) und den dazu gehörigen Bericht des Ausschusses vom 16. Dezember 2020 (hier) überhaupt ins Gesetzgebungsverfahren gelangt – also einen Tag vor der finalen Abstimmung über das SanInsFOG (hier). Unabhängig von der Sinnhaftigkeit dieser Regelung kann man diese späte Einbringung ins Verfahren schon nicht als Ruhmesblatt für die parlamentarische Demokratie bezeichnen.
Das BMF-Schreiben
Das zwölfseitige BMF-Schreiben setzt sich – neben Äußerungen zur Steuerschuldnerschaft und zu den Erklärungspflichten – nur mit Fragen der Umsatz- und Lohnsteuer im Insolvenzverfahren, nicht jedoch mit den sonstigen in § 55 Abs. 4 InsO nunmehr geregelten Steuerarten auseinander.
Grundsätzlich gilt für die Erklärungspflichten, dass § 55 Abs. 4 InsO den rechtlichen Status des vorläufigen Insolvenzverwalters oder des vorläufigen Sachwalters bzw. Schuldners nicht ändert und das Steuerrechtsverhältnis somit unberührt bleibt. Die steuerlichen Pflichten verbleiben damit bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Schuldner. Auch der vorläufige Sachwalter wird vom BMF nicht als Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 AO angesehen und ihn treffen somit keine Steuererklärungspflichten für den Insolvenzschuldner. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens trifft den Insolvenzverwalter eine Mitwirkungspflicht, die unter § 55 Abs. 4 InsO fallenden Besteuerungsgrundlagen dem Finanzamt mitzuteilen. In der Eigenverwaltung trifft diese Pflicht weiterhin den eigenverwaltenden Schuldner.
Die Ausführungen des BMF zur sog. „Umsatzberichtigung wegen Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen“ (ab Rz. 14) nach dem entsprechenden Urteil des BFH aus dem Jahre 2014 (BFH, Urt. v. 24.9.2014 – V R 48/13, hier) dürften Anlass zu weiteren Rechtsstreitigkeiten geben, da nun auch die Umsatzsteuerschuld aus solchen Lieferungen und Leistungen als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO zu qualifizieren sein soll, die bereits vor Bestellung eines vorläufigen Sachwalters ausgeführt wurden, wenn die hierauf entfallenden Forderungen vom eigenverwaltenden Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters vereinnahmt werden. Gerade dies ist aber in der Literatur nach wir vor umstritten.
Fazit
Unabhängig von der Frage, ob die Privilegierung des Fiskus dem Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 GG entspricht, dürfte die daraus folgende Entreicherung der Insolvenzmasse nicht nur die Befriedigungsaussichten einzelner Gläubiger nachhaltig verschlechtern, sondern auch die Sanierungsaussichten für das schuldnerische Unternehmen nachhaltig mindern (s. dazu mit eindrücklichem Beispiel Ries, INDat-Report 2/2022, Verweis hier). Insoweit konterkariert sich der Gesetzgeber, der mit Einführung und Reform der InsO sowohl durch das ESUG als auch das SanInsFoG ja ausdrücklich die Sanierung von Unternehmen fördern wollte, selbst.
Die Praxis wird sich gleichwohl mit diesen Regelungen arrangieren müssen. Allerdings dürfte auch das Schreiben des BMF zumindest in einzelnen Punkten die Rechtssicherheit noch nicht gefestigt haben. Insoweit bleibt die weitere Rechtsprechung der obersten deutschen Gerichte abzuwarten.
BMF, Insolvenzordnung; Anwendungsfragen zu § 55 Abs. 4 InsO vom 11.01.2022