Zumindest für die Fachwelt wenig überraschend hat der Bundesgerichtshof (BGH) im April 2018 entschieden, dass (zumindest) der „Sanierungsgeschäftsführer“ in der Eigenverwaltung gegenüber den Gläubigern, mit denen er unter Insolvenzschutz neue Verträge abgeschlossen hat, wie ein Insolvenzverwalter haftet.
Hintergrund
Im entschiedenen Fall hatte der für das im Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung befindliche Unternehmen agierende „Sanierungsgeschäftsführer“ ohne Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens neue Ware bestellt. Nachdem das Insolvenzverfahren nach Bestätigung des ursprünglichen Insolvenzplans am 28. Januar 2015 aufgehoben wurde, meldete das vorgeblich sanierte Unternehmen nicht einmal ein halbes Jahr später, nämlich am 18. Juni 2015, erneut Insolvenz an. Dem Sachverhalt ist der Grund für diese schnelle erneute Antragstellung allerdings nicht zu entnehmen. Der Lieferant verklagte den Sanierungsgeschäftsführer auf eine persönliche Haftung für den entstandenen Schaden. Nachdem die Vorinstanzen eine Haftung des Sanierungsgeschäftsführers nach den Grundsätzen über die Haftung des Insolvenzverwalters abgelehnt hatten, bejahte der BGH die grundsätzliche Anwendung der entsprechenden Regelungen der §§ 60, 61 InsO.
Kritische Würdigung
Zunächst verneint der BGH dabei eine Haftung, die lediglich auf der Stellung als „Sanierungsgeschäftsführer“ beruhen würde, wenn auf diese Funktion nicht besonders rekurriert wird, also eine Haftung auf Grund „Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens“ (Rz. 38 f.). In der Folge dann aber (Rz. 60 ff.) führt der BGH aus, dass es „nicht außer Betracht bleiben (kann), dass vielfach die vor Antragstellung tätigen und nunmehr die Eigenverwaltung betreibenden Geschäftsführer der Gesellschaft die unternehmerische Verantwortung dafür tragen, dass es zu der Insolvenz gekommen ist. (…) Wird den Geschäftsleitern ungeachtet früherer unternehmerischer Misserfolge dank der Eigenverwaltung die – sozusagen letzte – Möglichkeit einer Sanierung des insolventen Unternehmens in Eigenregie eingeräumt, ist mit der Fortsetzung der Geschäftsführung eine verschärfte Haftung nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen unweigerlich verbunden.“ Hier lässt der BGH außer Acht, dass sowohl im konkreten Fall, wie auch in den überwiegenden Fällen der Eigenverwaltung, die Insolvenz eben nicht durch die bisherige Geschäftsführung – die wohl tatsächlich häufig dafür (und für die vorherige Krise) verantwortlich ist – sondern von eigens berufenen „Sanierungsgeschäftsführer“ eingeleitet wurde, der die Sanierung in der Insolvenz vorantreiben sollte. Darauf beruhend zieht der BGH dann einen Ringschluss, indem er – ohne weitere Begründung – dann für den Sanierungsgeschäftsführer die „unweigerliche verschärfte insolvenzrechtliche Haftung“ konstatiert.
Der BGH schafft mit dieser Entscheidung ein Haftungsinstitut eigener Art, dass sich nicht nur neben die sonstigen Haftungstatbestände gesellt, die Geschäftsführer betreffen, sondern sogar darüber hinaus geht. Denn zwar hat der BGH in der Sache nicht entschieden. Aber die Erwägungsgründe („verschärfte insolvenzrechtliche Haftung“) deuten darauf hin, dass die Voraussetzungen, unter denen die Haftung eintritt, gegenüber den anderen – ebenfalls sehr haftungsfreundlichen Vorschriften – noch einmal abgesenkt werden könnten.
Ok, und was heißt das nun?
Dem BGH ist zunächst zuzugeben, dass die im Fall dargestellte Sanierung möglicherweise nicht nachhaltig war – wofür eine erneute Insolvenzantragstellung innert eines halben Jahres nach Aufhebung des vorherigen ein starkes Indiz bildet. Deswegen wäre ein Haftungsausschluss zugunsten des Sanierungsgeschäftsführers auch vermessen. Allerdings ist die Frage, ob es für die Inanspruchnahme tatsächlich eines neuen Instituts gebraucht hätte. Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass der IX. Zivilsenat sich bei Anwendung einer anderen Anspruchsgrundlage – etwa nach den Grundsätzen zu „Vertragsschluss bei Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens“- möglicherweise quasi selber seine Zuständigkeit entzogen hätte – für derartige Fälle wäre nämlich der II. Senat zuständig (s. Geschäftsverteilungsplan BGH, hier).
In Folge der Entscheidung des BGH können sich nun mehrere Szenarien entwickeln: Entweder, die Haftungsvoraussetzungen für Sachwalter, Insolvenzverwalter und Eigenverwalter bleiben jeweils gleich. Dann dürften die Fälle tatsächlicher Haftung des Eigenverwalters eher die Ausnahme bleiben. Denn, die Fälle tatsächlicher Haftung von Insolvenzverwaltern sind recht überschaubar, wenn der Insolvenzverwalter nicht gerade kriminell handelt (s. hierzu einen aktuellen Fall hier) oder zweifelhafte Eigengeschäfte vornimmt (s. hier). Oder die Haftungsvoraussetzungen für Insolvenzverwalter, Sachwalter und Eigenverwalter werden denen für die Geschäftsführer angeglichen. Dann dürften die Haftpflichtversicherungsbeiträge für Insolvenzverwalter explodieren. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der BGH auf Dauer eine gegenüber dem Sachwalter und Insolvenzverwalter verschärfte Haftung des Eigenverwalters entwickeln wird – ist die Justiz doch dem Institut der Eigenverwaltung gegenüber generell sehr kritisch eingestellt (s. näher dazu hier). Auch die vorliegende Entscheidung des BGH unterstreicht diese misstrauische Haltung.
Offene Fragen
Nicht beantwortet hat der BGH die Frage, ob auch Sanierer unterhalb der Geschäftsführungsebene von dieser Haftungsregelung betroffen sein werden. Denn, wohl auch vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden erhöhten Haftung, hat sich die Praxis herausgebildet, den Sanierungsexperten als „Generalbevollmächtigten“ (rechtlich also als Prokuristen) und damit nicht in die Geschäftsführung zu bestellen.
Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Entscheidung des BGH zur Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auf Grund einer (beweisbaren) Ressortverteilung (näher dazu hier), stellt sich die Frage, inwieweit dieses neue Haftungskonstrukt lediglich auf sog. „Sanierungsgeschäftsführer“ anzuwenden ist. Ferner dürfte interessant sein, die Haftungsvoraussetzungen des „Sanierungsgeschäftsführers“ mit denen von Insolvenzverwaltern in ähnlicher Lage (das Unternehmen fällt kurz nach der „Sanierung“ wieder in die Insolvenz) zu vergleichen.
Resümee
Auch wenn im aktuell entschiedenen Fall das Judiz gegen eine grundsätzliche Haftungsfreistellung des Geschäftsführers spricht, so ist doch die Frage, ob dem jeweiligen Gläubiger ein – sowohl das Gesellschafts-, als auch das Insolvenzrecht umgehender Direktanspruch gegen den „Sanierungsgeschäftsführer“ eingeräumt werden muss und, wenn ja, ob dann das Institut der „Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens“ nicht systematisch besser geeignet gewesen wäre.
Möglicherweise, führt die Entscheidung tatsächlich dazu, dass sich weiter Spreu vom Weizen trennen, also sich nicht professionelle Anbieter vom Markt zurückziehen, wie ein „eigenverwaltungserprobtes“ Sanierungsunternehmen in seinem Newsletter schreibt. Möglich ist aber auch, dass das Institut der Eigenverwaltung zwischen die Mahlsteine der Justiz (Haftung) und der Gesetzgebung (anstehende Reform der Eigenverwaltung nach der ESUG-Evaluation, s. dazu schon hier) gerät – und mithin erneut marginalisiert wird. Angesichts der am Konjunkturhimmel nicht mehr zu übersehenden dunklen Wolken, stellt sich dann aber die Frage, ob das sich immer mehr herauskristalliserende „Schönwetter-Insolvenzrecht“ ausreicht, um die für die deutsche Volkswirtschaft wichtigen Unternehmen im Krisenfall wirksam sanieren zu können.
Das LG Düsseldorf wird vor diesem Hintergrund insbesondere klären müssen, aus welchen Gründen das vorgeblich sanierte Unternehmen so schnell erneut scheitern konnte.