Im Rahmen der zu Beginn des Jahres 2021 in Kraft getretenen Reformen des Insolvenzrechts durch das „Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG, s. dazu schon hier)“ wurden neben der Überarbeitung der Insolvenzgründe und -antragspflichten sowie der Haftung bei unterlassener Antragstellung (s. dazu hier) auch die Regelungen zur (vorläufigen) Eigenverwaltung einer grundlegenden Überarbeitung unterzogen. Das damit die Einleitung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung nicht unbedingt einfacher werden dürfte, zeigen die folgenden Erwägungen.
Inhalt der Neuregelungen
Antragstellung
Die Reform der Regelungen zur (vorläufigen) Eigenverwaltung folgte prinzipiell den Ergebnissen der Evaluation des ESUG aus dem Jahre 2018 (hier, s. dazu die kritischen Kommentierungen hier und vertieft hier). Dementsprechend wurden die Eingangsvoraussetzungen für die (vorläufige) Eigenverwaltung erheblich verschärft, vgl. § 270a InsO (neu). Während zuvor für die Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung gesetzlich lediglich gefordert war, dass „keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird“ (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO (a. F.)) und der „Antrag nicht offensichtlich aussichtslos“ ist (§ 270a Abs. 1 InsO (a.F.)), so ist nach der Reform bereits bei Antragstellung die Vorlage
- eines Finanzplanes für sechs Monate,
- eines Sanierungskonzeptes,
- einer Darstellung der Stakeholder-Verhandlungen,
- einer Darstellung der Vorkehrungen zur Sicherstellung der Erfüllung insolvenzrechtlicher Pflichten sowie
- eines Vergleiches der Kosten der Eigenverwaltung gegenüber dem Regelverfahren.
erforderlich. Daneben muss der Schuldner nach § 270a Abs. 2 InsO bestimmte Erklärungen, etwa zu Rückständen von Zahlungen an Arbeitnehmer oder zu (gescheiterten) Restrukturierungen nach StaRUG, abgeben. Bei Angabe derartiger in der Vergangenheit liegender Verstöße ist die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270b Abs. 2 InsO nur dann zulässig ist, wenn trotz dieser „Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten.“
Auch wenn sich in der Praxis gerade bei größeren Verfahren die Vorlage derartiger Unterlagen und Erklärungen häufig schon als eine Art Best Practice etabliert hatte (s. z. B. schon zur sog. „Vergleichsrechnung“ bei Buchalik u.a., ZInsO 2016, 1445), so verwundert zumindest die nach § 270b Abs. 2 Nr. 2 InsO mögliche Ablehnung einer Eigenverwaltung, wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren vor Antragstellung schon ein StaRUG-Verfahren durchlaufen hat.
Allerdings hat der Gesetzgeber in § 270b Abs. 3 InsO die Gläubigerautonomie wesentlich gestärkt, denn an „einen die vorläufige Eigenverwaltung unterstützenden einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses ist das Gericht gebunden. Stimmt der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig gegen die vorläufige Eigenverwaltung, unterbleibt die Anordnung.“ Die Formulierung des Absatzes lässt allerdings vermuten, dass das Gericht durch eine schnelle Entscheidung („zwei Werktage“) die Gläubigerautonomie umgehen kann (wenn es überhaupt einen vorläufigen Gläubigerausschuss gibt, s. dazu auch unten bei der Bewertung).
Schutzschirm
Entgegen der Empfehlungen der Kommission zur Evaluation des ESUG wurde allerdings das Schutzschirmverfahren nicht abgeschafft, sondern lediglich mit unveränderten Anforderungen (Vorlage einer Bescheinigung über die Zahlungsfähigkeit durch qualifizierte Angehörige bestimmter Berufsgruppen) in § 270d InsO verschoben. Nimmt der Schuldner diese weitere – im Vergleich zu den sonstigen Anforderungen zumindest formell geringe Hürde – kann er weiterhin grundsätzlich „seinen“ vorläufigen Sachwalter mitbringen.
Nach Anordnung
Ordnet das Gericht die (vorläufige) Eigenverwaltung an, so kann es diese nach § 270e InsO (neu) während des Eröffnungsverfahrens und nach § 272 InsO (neu) im eröffneten Verfahren aufheben. Auch hier wurde die Gläubigerautonomie gestärkt, indem entweder der (vorläufige) Gläubigerausschuss, die Gläubigerversammlung (mit qualifizierter Mehrheit) oder ein absonderungsberechtigter Gläubiger oder ein Insolvenzgläubiger die Aufhebung beantragen kann, wobei bezüglich letzterer gilt, dass „die Voraussetzungen der Anordnung der Eigenverwaltung des § 270f Absatz 1 in Verbindung mit § 270b Absatz 1 Satz 1 weggefallen sind und dem Antragsteller durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen.“
Dem vorläufigen Sachwalter wird mit den weitreichenden Berichtsplichten in § 270c Abs. 1 InsO (neu) darüber hinaus eine gegenüber dem ESUG vertiefte eigene Ermittlungspflicht aufgebürdet – wenn das Gericht dies anordnet. Aber auch der Schuldner wird damit – quasi spiegelbildlich – mit einer erhöhten Dokumentationspflicht belastet. § 270c Abs. 3 InsO sieht ferner die Möglichkeit der Anordnung einer Zustimmungspflicht durch den vorläufigen Sachwalter nur noch für die Fälle, vor, in denen der Schuldner noch an den „behebbaren Mängeln“ der Eigenverwaltung arbeitet. Auch ist nunmehr die Möglichkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten in der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270 Abs. 4 InsO gesetzlich geregelt. Schließlich kann das Gericht nach § 274 Abs. 2 InsO (neu) anordnen, dass dem vorläufigen Sachwalter neben seiner Überwachungstätigkeit auch bestimmte unterstützende Tätigkeiten zugewiesen werden können, etwa im Rahmen der Insolvenzgeldvorfinanzierung.
Bewertung
Die Reform der (vorläufigen) Eigenverwaltung weist Licht und Schatten auf: Die durch die Reform nunmehr eingeführten Vorlage- und Darlegungsanforderungen übersteigen die Anforderungen, die bislang an die Antragstellung bei einem sog. „Schutzschirmverfahren“ nach § 270 b InsO (a. F.) gestellt wurden. Auch wenn die Vorlage der entsprechenden Dokumente und Erklärungen bei größeren Verfahren wohl nicht (mehr) unüblich war, so dürfte einerseits die undifferenzierte Anwendung derartiger Kriterien unabhängig von der Unternehmensgröße die Anwendbarkeit der Eigenverwaltung bei KMU weiter einschränken. Andererseits dürften diese erhöhten Anforderungen auch die Ablehnung durch die Insolvenzgerichte wesentlich erleichtern. Und die bereits hier skizzierte Skepsis der Rechtsprechung gegenüber dem sich selbst sanierenden Schuldner nimmt auch der Gesetzgeber mit dem potentiellen Ausschlussgrund der Eigenverwaltung nach einem StaRUG-Verfahren auf – und dürfte damit die Skepsis der Rechtsprechung noch bestärken.
Problematisch ist letztlich auch nach der Reform, dass die Entscheidung zur Ablehnung der Eigenverwaltung durch das Gericht zwar schriftlich zu begründen ist, vgl. § 270b Abs. 4 InsO (neu), Rechtsmittel, also eine (sofortige) Beschwerde, gegen die Ablehnung der Eigenverwaltung jedoch seit BGH, Beschl. v. 11.1.2007 – IX ZB 85/05 (hier) nicht möglich sind. Damit kann sich auch keine allgemeingültige Rechtsprechung und damit erhöhte Rechtssicherheit in Bezug auf die Anordnung der Eigenverwaltung etablieren. Für den konkreten Fall kann der Schuldner sich aber – zumindest, wenn er die Größenkriterien des § 22a InsO erfüllt – nunmehr über die Regelung des § 10a Abs. 1 InsO (neu) eine gewisse Sicherheit über die Erfolgschancen eines Antrages auf Eigenverwaltung verschaffen, denn in der Norm hat der Gesetzgeber nun den rechtlichen Anspruch auf ein Vorgespräch mit dem zuständigen Gericht zumindest bei größeren Unternehmen konstituiert.
Auf Grund der immer noch „besseren“ Öffentlichkeitswirkung eines „Schutzschirmverfahrens“ und der Möglichkeit, die Einsetzung des vorläufigen Sachwalters besser zu steuern, dürften sich Schuldner angesichts der gegenüber einer „normalen“ vorläufigen Eigenverwaltung nicht mehr wesentlich höheren Hürde nunmehr häufiger für ein Schutzschirmverfahren entscheiden – wenn es denn der Liquiditätsplan zulässt.
Fazit
Angesichts der seit Jahren mehr oder minder steil fallenden Zahl von Unternehmensinsolvenzen (s. zuletzt hier) kann man noch nicht beurteilen, ob und wie genau sich die Verschärfung der gesetzlichen Zugangs-Voraussetzungen zur (vorläufigen) Eigenverwaltung in der Praxis auswirken wird. Aktuelle Fälle, wie etwa die scheinbar erfolgreiche Sanierung der Adler Modemärkte (s. dazu hier) dürften genau so wenig repräsentativ sein, wie die – möglicherweise aus anderen Gründen – abgelehnte Eigenverwaltung bei UDI (hier). Angesichts des nunmehr durch den Gesetzgeber geschnürten Pflichtenkanons für den eine Eigenverwaltung anstrebenden Geschäftsführer steht jedoch zu befürchten, dass sich das durch das ESUG gerade entwickelnde System der Eigenverwaltung wieder eher in Richtung eines „Schönwetter-Insolvenzrechts“ im Bereich der statistischen Rundungsfehler entwickelt, das nur in volkswirtschaftlich stabilen Zeiten angewandt werden kann, in wirtschaftlich turbulenten Zeiten (VUCA!) dagegen eher umfassend Sanierungen verhindert und deswegen – wie bei Corona – ausgesetzt werden muss.
Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22. Dezember 2020 (BGBl 2020, Teil I, S. 3256)