Fünf Jahre nach In-Kraft-Treten des mit reichlich Vorschusslorbeeren ausgestatteten „Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ („ESUG“) Anfang März 2012, wurde – wie gesetzlich vorgesehen – nun seine Praxisrelevanz evaluiert. Der über 350-seitige Abschlussbericht des dazu von der Bundesregierung herangezogenen Expertenteams kommt zu dem Ergebnis, dass die durch das ESUG eingeführten Änderungen von der Praxis weitgehend positiv angenommen worden seien und dass eine Rückkehr zum früheren Recht nicht veranlasst sei. Allerdings schlägt der Bericht zu Einzelfragen Änderungen vor, welche aber die grundsätzliche Ausrichtung des ESUG nach Ansicht der Bundesregierung nicht in Frage stellen. Soweit, so gut – und wenig überraschend. Was aber bedeutet das nun für die weitere Entwickung der angestrebten Sanierungskultur in Deutschland?
Rein zahlenmäßig stellen die ESUG-spezifischen Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung und des Schutzschirms zwar immerhin nicht mehr Rundungsfehler in der Statistik dar, aber mit 1.609 entsprechende Verfahren an insgesamt 46.539 Insolvenzverfahren zu Personen- und Kapitalgesellschaften wiesen die Eigenverwaltungsverfahren nach der Evaluation einen Anteil von auch nur 3,46% aus. Wie schwer allerdings trotz Einführung des Insolvenzstatistikgesetzes (InsStatG) die Datenerhebung bei Insolvenzverfahren zu sein scheint, belegt anschaulich ein Blick auf die jährliche ESUG-Studie der Boston Consulting Group, die bis zum 31. Januar 2018 insgesamt von 1.513 Verfahren in Eigenverwaltung und damit einer Quote von lediglich 2,7% ausgeht. Beide Auswertungen stimmen allerdings darin überein, dass die ESUG-Verfahren überproportional häufig bei sog. „Großinsolvenzen“ zum Tragen kamen. Juve geht sogar davon aus, dass von den 200 größten Unternehmensinsolvenzen zwischen 2014 und 2017 die Hälfte in Eigenverwaltung, ein Drittel sogar unter dem Schutzschirm nach § 270b InsO abliefen (hier).
Mit Blick auf das Ziel des Insolvenzverfahrens nach § 1 InsO – nämlich die Sicherstellung einer größtmöglichen Gläubigerbefriedigung – stellt sich die Frage, warum die Evaluation weder die (Entwicklung der) Insolvenzquote (also der im Endeffekt an die Gläubiger ausgekehrte Anteil an der ursprünglichen Forderung) noch die der Verfahrensdauer auswertet oder in Relation zur Gesamtzahl der Verfahren und/oder zur Zeit vor der Einführung des ESUG setzt.
Nicht wirklich überraschend sieht die Evaluation die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270a InsO gegenüber dem – in der Praxis skeptisch gesehenen und deswegen eher selten angwandten – sog. „Schutzschirmverfahren“ nach § 270b InsO als vorteilhafter an und regt eine Verschmelzung beider Vorschriften an. Die durch das ESUG ermöglichte Ausweitung von Planlösungen sowie die Einführung des – nicht sehr häufig genutzten – Debt-Equity-Swaps nach § 225a InsO werden als positiv hervorgehoben. Ebenfalls nicht wirklich überraschend wird das Zusammenspiel zwischen Richter- und Rechtspflegerschaft als „bewährt“ angesehen. Schließlich ist es mit Blick auf den abrupten Schwung des Gesetzgebers von der Einführung eines „vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens“ hin zum ESUG in 2011/2012 auch nicht verwunderlich, dass der Bericht der Bundesregierung „kein zwingendes Bedürfnis“ für die Einführung eines solchen Verfahrens sieht (s. dort S. 5). Zum ein hat sich diese Haltung aber auf Grund des Drucks der EU-Instititutionen im Rahmen des Projekts zu Einführung eines „präventiven Restrukturierungsrahmens“ (s. näher dazu hier) bereits erledigt. Zum anderen wird diese Stellungnahme aber auch der durchaus differenzierten Betrachtung in der Evaluation (dort ab S. 134) nicht gerecht. Gerade der dort als dritte Option vorgeschlagene Weg eines „schlanken“ aber vom Insolvenzverfahren strikt getrennten Sanierungsverfahrens könnte einiges Sanierungspotential heben. Vor dem Hintergrund der ablehnenden Haltung nicht nur der Bundesregierung sollte man hiermit aber nicht zu viele Hoffnungen verbinden, auch wenn diese Ablehnung nur schwerlich mit der viel beschworenen „Sanierungskultur“ in Deutschland zusammenzupassen scheint.
Vor diesem Hintergrund sollte sich der Gesetzgeber fragen, warum das ESUG-Verfahren zwar bei großen Unternehmen zu „funktionieren“ scheint, nicht aber beim in Deutschland überwiegenden Bereich der mittelständischen Unternehmen unter Euro 50 Mio. Umsatzvolumen. Schon weil das Projekt der Europäischen Union für die Schaffung eines „präventiven Restrukturierungsrahmens“ (s. näher dazu hier) den Fokus der Maßnahmen auf KMU legen will, bieten sich hier möglicherweise Ansatzpunkte, Sanierungsbemühungen bei mittelständischen Unternehmen zu erleichtern. Ob die weitere Formalisierung des Verfahrens und die Einführung weiterer Hürden, wie etwa die Schaffung konkreter Gründe für und gegen die Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung, hier der richtige Weg sind, darf mit einem Blick auf das (zugegebener Maßen auch hauptsächlich bei großen Unternehmen erfolgreiche) englische scheme of arrangement allerdings bezweifelt werden. Denn gerade die englische Rechtsprechung zu diesem Rechtsinstitut zeichnet sich durch konsistente Entscheidungen bei hoher Pragmatik und Flexibilität aus.
The Boston Consulting Group – Sechs Jahre ESUG – Durchbruch erreicht