Offensichtlich führt die sich verschlechternde Wirtschaftslage (s. nur hier) bereits jetzt zu einer schlechteren Zahlungsmoral. Als Unternehmer hilft es Ihnen allerdings wenig, den allgemeinen „Sittenverfall“ zu beklagen (wie hier). Vielmehr muss man weit vor einem etwaigen Zahlungsausfall proaktiv tätig werden, um nicht dem Motto „vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“ zum Opfer zu fallen oder gar selber zum Kandidaten für eine der berüchtigten „Dominoinsolvenzen“ zu werden, wenn ein großer Kunde in die Insolvenz fällt. Auch ich bin in den letzten zwölf Monaten oft zu der Frage konsultiert worden, wie man auf ausstehende Zahlungen reagieren soll – bis hin zur Beauftragung zur Implementierung eines kompletten Forderungsmanagement-Systems.
Im ersten Teil dieses Artikels skizziere ich aus rechtspraktischer Sicht dementsprechend Möglichkeiten eines proaktiven Forderungsmanagements. In einem nachfolgenden zweiten Teil werde ich dann Möglichkeiten des Vorgehens beschreiben, wenn das Schiff doch auf „hohe See“ gerät – sprich eine streitige Durchsetzung der eigenen Ansprüche unausweichlich wird.
Einige der nachfolgenden Tipps scheinen offensichtlich und viele Unternehmen werden sie beherzigen. Aber die Ratschläge entspringen alle meiner täglichen Praxis, eben weil häufig die „Basics“ nicht beachtet werden.
Teil 1: Forderungsausfälle proaktiv vermeiden
Augen auf bei der Partnerwahl
„Know Your Customer“ (KYC) ist nicht nur bei Banken mittlerweile eine rechtlich vorgeschriebene Konstante, wenn es um Verträge mit neuen Kunden geht. Potentielle Vertragspartner werden „gescreent“ oder auf gut deutsche: „durchleuchtet“. Sprich, man holt sich vor dem Vertragsschluss Auskünfte über den potentiellen Vertragspartner ein. Der Aufwand hierzu sollte selbstredend in einer vernünftigen Relation zum erwarteten Ertrag stehen. Allerdings erlebe ich in meiner Praxis nicht selten Fälle, in denen Lieferanten erst bei Nichtzahlung feststellen, dass sie ihren Vertrag z.B. mit einem Unternehmen mit dem Sitz in Luxemburg abgeschlossen haben.
Angesichts zunehmender wirtschaftlicher Spannungen und Handelskriegen, die etwa in einen weiträumigen Boykott gegen Waren aus dem Iran münden, ist daneben auch die regelmäßige Überprüfung von Geschäftspartnern im Hinblick auf etwaige Sanktionslisten zu empfehlen. Bei einem Verstoß gegen derartige Sanktionslisten drohen dem Unternehmen empfindliche Strafen. Darum: „Augen auf bei der Partnerwahl“.
Für die Durchleuchtung von Geschäftspartnern stehen mittlerweile unzählige Dienstleister parat, die aber auch ihren Umsatz machen wollen und müssen. Nicht immer ist der Einsatz derartiger Spezialisten sinnvoll oder erforderlich. Wenn aber einige Tausend Euro Umsatz auf dem Spiel stehen könnten, sollte man – neben einer sowieso zu empfehlenden Online-Recherche – das nötige Kleingeld zumindest für einen aktuellen Handelsregister-Auszug und eine Wirtschaftsauskunft erübrigen, sozusagen als Basis-Schutz. Das schadet übrigens auch nicht bei Bestandskunden…
Der Gewinn liegt im Einkauf – der Verkauf zahlt
Spätestens seit dem Wirken von José Ignacio López bei Volkswagen ist es auch für den Nicht-Unternehmer eine kaufmännische Binse, dass der Gewinn im Einkauf liegt. Das bedeutet aber umgekehrt für den Verkäufer gerade im B2B-Bereich, dass er als potentielles Objekt der Gewinnmaximierung des Kunden angesehen wird. Nicht nur Juristen kennen die endlosen Versuche, der jeweiligen Gegenseite die eigenen AGBs (mit dem besseren, weil näheren, Gerichtsstand) „unterzuschieben“. Oder, der Verkäufer – schon im Rausch seines zukünftigen Bonus – lässt sich ein langes Zahlungsziel „unterjubeln“. Aus der Praxis kann ich von einem Unternehmen berichten, dass im Anlagenbau vorfinanzierte und sich dann auch noch ein Zahlungsziel von 120 Tagen aufdrücken ließ. Ich muss, glaube ich, nicht weiter erläutern, warum dieses Unternehmen bei mir landete.
Darum: „Holzauge sei wachsam“ – vielleicht auch mal mit dem eigenen Einkauf die anstehenden Vertragsschlüsse durchgehen. Ist ja möglich, dass ihr Einkäufer noch einige Gewinnmaximierungs-Strategien des potentiellen Kunden findet, die Ihrem Vertriebler entgangen sind.
„Ohne Schuss kein Jus“ – und was noch geht
Diese Grundregel für das juristische Tätigwerden – sprich, keine Tätigkeit ohne Vorschuss – habe ich in meinem Berufsleben mehrfach nicht beachtet, so auch gerade wieder. Und fast immer durfte ich dafür bluten, so auch gerade wieder. In anderen Branchen ist eine Vorkasse allerdings nicht immer üblich – oder zumindest erzählt man Ihnen das. Vielleicht haben Sie auch schlicht nicht die Marktmacht, um Vorkasse verlangen zu können. Trotzdem würde ich immer versuchen, zumindest eine Anzahlung zu bekommen, bevor ich mich in die Arbeit stürze.
Was können Sie alternativ unternehmen, um eine Zahlung abzusichern, gerade wenn Sie für einen Auftrag sogar z. B. Material vorfinanzieren müssen. Sie könnten z.B. die Stellung von Sicherheiten vereinbaren, etwa einen Avalkredit, sprich die Stellung einer Bankbürgschaft durch den Kunden (im Auslandsgeschäft üblich und bekannt als „Hermes-Kredit“). Auch hier gilt – je höher die Summen, die auf dem Spiel stehen, je eher sind auch etwaige Gewinnreduzierungen wegen der Finanzierung der Sicherheit zu verkraften.
Demgegenüber ist die Vereinbarung eines Zurückbehaltungsrechts häufig nur eine Scheinsicherheit. Bei Spezialanfertigungen etwa, für die es keinen allgemeinen Markt gibt, kann der Kunde Sie einfach an Ihrem Zurückbehaltungsrecht verhungern lassen, um so einen nachträglichen Rabatt herauszuschlagen.
Die Möglichkeiten der Absicherung der eigenen Zahlungen sind so mannigfaltig, dass eine umfassendere Darstellung den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Auch weil die Art der Absicherung von vielen Branchen-Usancen abhängt, sollten Sie sich immer mal wieder mit den Möglichkeiten beschäftigen. Gerade in letzter Zeit sind viele neue Dienstleister in diesem Bereich auf den Markt getreten.
Am Ende entscheidet das Bauchgefühl
Sie haben die vorhergehenden Hinweise sauber abgearbeitet und – wie die Werbung häufig suggeriert – sitzen Sie jetzt vor Ihrem aufgeräumten Schreibtisch nur mit dem Vertrag und einem teuren Füller bewaffnet und müssten einfach unterschreiben.
Aber, bei der von Ihnen aufgestellten Risikomatrix fällt Ihnen auf, dass der potentielle Kunde 2003 schon mal insolvent war und verkauft wurde. Auch hat ihr Einkäufer auf einige Stellschrauben im Vertrag (oder in den AGB des Kunden) hingewiesen, an denen er, wenn er der Kunde wäre, im Nachhinein drehen würde, um noch ein Quäntchen mehr herauszuholen. Sicherheiten gab es auch nicht – bei dem Wort „Aval“ machte der Einkäufer der Gegenseite sofort klar, dass die Verhandlungen kurz vor dem Scheitern stehen würden.
Guter Rat ist nun teuer. Oder auch nicht. Klar können Sie jetzt noch einen weiteren Berater zu Rate ziehen und ich als Jurist kann Ihnen wahrscheinlich noch weit mehr potentielle Fallstricke aufzeigen, als Ihnen lieb und teuer ist. Wenn Sie aber schon unabhängig vom konkreten Vertrag ein juristisch geprüftes Vertragsmanagement aufgesetzt hatten und die potentiellen Risiken in der Matrix aufgezeichnet sind – dann hilft Ihnen ein weiterer Berater auch nicht. Vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl. Es mag abgedroschen klingen, aber um „hinterher ist man immer schlauer“ sagen zu können, muss man vorher erst mal eine Entscheidung treffen, sprich den Vertrag eingehen oder nicht. Und, wer das sehr empfehlenswerte Buch „Blink! Die Macht des Moments“ von Malcolm Gladwellkennt, weiß, dass das berühmt-berüchtigte Bauchgefühl nichts anderes als die Konzentration all unserer Erfahrungen in einem Moment ist. Sprich, das Bauchgefühl speist sich aus unseren Erfahrungen – nicht aus Beratersprech. Also, immer voran, treffen Sie die Entscheidung.
Im nächsten Teil kümmern wir uns darum, was Sie tun können, wenn Sie hinterher dann schlauer geworden sind…