Nachdem ich mich in verschiedenen Beiträgen an dieser Stelle bereits mit der Haftung des Sanierungsberaters (hier) oder des (eigenverwalteten) Geschäftsführers (hier) auseinandergesetzt habe, gibt mir ein aktuelles Grundsatz-Urteil des Bundesgerichtshofs Gelegenheit, die Haftungsrisiken des Insolvenzverwalters, mit Fokus auf den Bereich der Unternehmenssanierung, zu beleuchten (dementsprechend gehe ich nachfolgend nicht auf Haftungsfragen des vorläufigen Verwalters oder Haftung bei der Nichterfüllung von Masseschulden nach § 61 InsO ein).
1. Haftung bei Straftaten
Klar ist, dass ein Insolvenzverwalter für vorsätzlich begangene rechtswidrige Handlungen, etwa den „Griff“ in die von ihm betreuten Kassen, strafrechtlich (aktuell s. hier) und zivilrechtlich belangt werden kann. Wie der BGH 2018 urteilte, verliert er darüber hinaus in solchen Fällen aber regelmäßig seinen Vergütungsanspruch, .
2. Haftung bei sonstigen Pflichtverletzungen
a) Allgemein
Soweit, so klar. Weniger eindeutig ist die Situation bei der Frage fahrlässiger Pflichtverletzungen. Grundsätzlich gewährt § 60 InsO einen Schadenersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter, wenn er schuldhaft gegen seine Pflichten verstößt. Der Pflichtenmaßstab ist nach § 60 Abs. 1 S. 2 „die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters.“ Zur Ausfüllung dieses Maßstabes hat der Gesetzgeber gleich mehrere Handreichungen erteilt. So „sind die Besonderheiten zu beachten, die sich aus den Aufgaben des Insolvenzverwalters und aus den Umständen ergeben, unter denen er seine Tätigkeit ausübt. Bei der Fortführung eines insolventen Unternehmens steht der Verwalter regelmäßig vor besonderen Schwierigkeiten. Außer den Problemen, die sich unmittelbar aus der Insolvenz des Unternehmens ergeben, ist z.B. zu berücksichtigen, daß der Verwalter eine Einarbeitungszeit benötigt, wenn er ein fremdes Unternehmen in einem ihm möglicher-weise nicht vertrauten Geschäftszweig übernimmt, und daß er häufig keine ordnungsgemäße Buchführung vorfindet. Er übt sein Amt also in aller Regel unter erheblich ungünstigeren Bedingungen aus als der Geschäftsleiter eines wirtschaftlich gesunden Unternehmens.“ (BT-Drs. 12/2443, S. 129). Dementsprechend taten sich die Gerichte in den Anfangsjahren der InsO schwer, Verwalter überhaupt in die Haftung zu nehmen.
b) Von der „Vermögenserhaltungspflicht“ zum „allgemeinen Wertmehrungsgebot“
Seit einigen Jahren wächst jedoch die Rechtsprechung in diesem Bereich, so dass sich der Haftungsmaßstab konkreter zu füllen beginnt. So entschied der BGH im Jahre 2014, dass die Pflicht, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu bewahren und ordnungsgemäß zu verwalten („Vermögenserhaltungspflicht“), auch umfassen könne, bis zur endgültigen Verteilung der Masse nicht benötigte Gelder nicht nur sicher, sondern auch zinsgünstig anzulegen. In einer Folgeentscheidung aus dem Jahr 2017 steigerte der BGH diese Vermögenserhaltungspflicht sogar zu einem „allgemeinen Wertmehrungsgebot“.
c) „Unternehmerische Entscheidungen“
In derselben Entscheidung aus dem Jahr 2017 äußerte er sich aber auch zum Pflichtenmaßstab bei unternehmerischen Entscheidungen des Insolvenzverwalters. So sei der Maßstab aller unternehmerischen Entscheidungen des Insolvenzverwalters im Rahmen einer Betriebsfortführung der Insolvenzzweck der bestmöglichen gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger sowie das von den Gläubigern gemeinschaftlich beschlossene Verfahrensziel – Abwicklung des Unternehmens, Veräußerung oder Insolvenzplan – als Mittel der Zweckerreichung. Selbst unter Anlegung eines großzügigen Maßstabs an unternehmerische Entscheidungen des Insolvenzverwalters, der in einer für das Unternehmen schwierigen Lage eine von vielen, teils unbeherrschbaren Faktoren abhängige Prognoseentscheidung zu treffen hat, und des ihm zukommenden weiten Ermessensspielraums, muss der Verwalter demnach zur Haftungsvermeidung solche Geschäfte, welche die Masse ohne sonderlichen Aufwand und ohne großes Risiko erheblich vermehren, für die Masse abschließen.
Obwohl der BGH in der zuvor genannten Entscheidung aus dem Jahr 2017 mit seiner ausdrücklichen Betonung eines „großzügigen Maßstabs“ und eines „weiten Ermessensspielraum“ bei „unternehmerischen Entscheidungen“ des Verwalters einen Schwenk in Richtung der aus dem Aktienrecht bekannten sog. „Business Judgement Rule„ des
§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG andeutete, vollzog er diesen Schritt in der Folge nicht, sondern erklärte – zur allgemeinen Überraschung der Fachwelt in einer aktuellen Entscheidung aus dem Jahre 2020, dass „die Business Judgement Rule und ihre gesetzliche Umsetzung § 93 Absatz I 2 AktG nicht für den Sorgfaltsmaßstab gelten, an dem unternehmerische Entscheidungen des Insolvenzverwalters zu messen sind.“ Vielmehr statuiert der BGH, dass der dem Insolvenzverwalter bei unternehmerischen Entscheidungen zustehende Ermessensspielraum überschritten sei, wenn die Maßnahme aus der Perspektive ex ante angesichts der mit ihr verbundenen Kosten, Aufwendungen und Risiken im Hinblick auf die Pflicht des Insolvenzverwalters, die Masse zu sichern und zu wahren, nicht mehr vertretbar ist.
d) Ferner: „Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens“
Neben diesem aus § 60 InsO folgenden Haftungsmaßstab kann der Insolvenzverwalter Gefahr laufen, in die persönliche Haftung genommen zu werden, wenn er bei Vertragsverhandlungen, etwa über fortgesetzte Lieferungen an den insolventen Schuldner, besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch nimmt. In einer Entscheidung aus dem Jahre 2005 hat der BGH aber entschieden, dass sich von einem besonderen Vertrauenstatbestand erst dann sprechen ließe, wenn der Verwalter beim Verhandlungspartner ein zusätzliches, von ihm persönlich ausgehendes Vertrauen auf die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärungen und die Durchführbarkeit des vereinbarten Geschäftes hervorgerufen hat. Dementsprechend hoch sind die Hürden, um hier eine entsprechende Haftung zu belegen.
3. Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen
Als weitere Hürde stellt sich die Regelung des § 92 InsO dar, wonach die materiellen Schadenersatzansprüche prozessual nur durch einen Sonderinsolvenzverwalter durchgesetzt werden können. Die Insolvenzgläubiger selber etwa verfügen nicht – auch nicht in ihrer Gesamtheit – über eine entsprechende Aktivlegitimation. Dieser Sonderinsolvenzverwalter ist wiederum durch das Insolvenzgericht zu bestellen. Die Praxis zeigt, dass die Insolvenzgerichte häufig geneigt sind, „ihre“ Verwalter zu schützen und die Anforderungen an die Bestellung eines entsprechenden Verwalters sehr hoch geschraubt haben. Da die Verwalterbestellung keiner (sofortigen) Beschwerde unterliegt, vgl. § 6 InsO, ist über dem Insolvenzgericht grundsätzlich der berühmt-berüchtigte „blaue Himmel“. Nur in krassen Ausnahmefällen soll es gleichwohl ein „Rechtsmittel bei greifbarer Gesetzwidrigkeit“ geben, vgl. nur hier.
Fazit: Die Krux kommt auch hier, wie so häufig, am Ende. Der schönste (verwirklichte) Haftungstatbestand nützt nämlich nichts, wenn das Insolvenzgericht schlicht die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters verweigert. Sprich, die langatmigen Diskussionen des BGH über Haftungsmaßstäbe werden (derzeit noch) in den seltensten Fällen relevant. Und dabei schafft der 9. Zivilsenat des BGH zusätzlich (und erneut) – ohne triftigen Grund – ein „Insolvenzsonderrecht“, diesmal in Bezug auf die Haftung von Insolvenzverwaltern. Denn obwohl sich die Statuierung einer „Insolvency Judgement Rule“ (so. Leichtle/Theusinger in NZG 2018, 251, als Maßstab einer potentiellen Enthaftung von Verwaltern geradezu aufdrängt, konstruiert der Senat mit – überkomplexen – Begründungsansätzen seinen eigenen Maßstab. Ähnliche Spitzfindigkeiten legt der Senat z.B. beim Insolvenzplan zu Grunde, den er nicht als „Vertrag“ im herkömmlichen Sinne ansieht, sondern ein „spezifisch insolvenzrechtliches Instrument, mit dem die Gläubigergesamtheit ihre Befriedigung aus dem Schuldnervermögen organisiert.“ (s. hier). So gefährdet der 9. Zivilsenat den Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsprechung – und erleichtert Verwaltern auch nicht gerade die Enthaftung.
In meinen Augen hat der Insolvenzverwalter zudem in der BGH-Entscheidung aus dem Jahre 2017 noch großes Glück gehabt, wenn er nicht noch wegen einer strafbaren Untreue nach der sog. „Geschäftschancenlehre“ (s. dazu näher hier) belangt wurde. Denn er hat das Geschäft nicht für die Masse, aber in der Folge für sich selbst abgeschlossen, also die entsprechende Geschäftschance „an sich gezogen“!
Sieht man von dem faktischen „Durchsetzungs-Veto“ der Amtsgerichte ab, so erscheint aber der der vom BGH mittlerweile erarbeitete Haftungsmaßstab für Insolvenzverwalter auch gerade in (haftungsträchtigen) Sanierungssituationen angemessen.
BGH, Urt. v. 12.03.20 – IX ZR 125/17
BGH, Beschl. v. 22.11.2018 – IX ZB 14/18
BGH, Urt. v. 16.3.2017 – IX ZR 253/15
BGH, Urt. v. 26.6.2014 – IX ZR 162/13
BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 114/01