Mit Urteil vom 7. Mai 2015 hat das Landgericht Frankfurt im Falle der Insolvenzanfechtung eines Beraterhonorars im Umfeld der Insolvenz des Solar-Unternehmen Q-Cells dem anfechtenden Insolvenzverwalter Recht gegeben.
Auch wenn die Entscheidung für einige Furore in der Insolvenz- und Sanierungsszene sorgen dürfte, so stellt sie zunächst nur die konsequente Umsetzung der vom IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs über die Jahre entwickelten Rechtsprechung dar, zeigt damit aber auch die Untauglichkeit dieser Rechtsprechung für die Praxis auf. Im Endeffekt stellt die Entscheidung aber eine bedenkliche Beschneidung des Rechtsstaatsprinzips dar.
So bejaht das LG Frankfurt zunächst den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der beratenden Anwälte, weil die Indizwirkung der Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht ausgeschlossen werden könne. Bezüglich der Prognose, die bei der Prüfung drohender Zahlungsunfähigkeit anzustellen ist, verweist das Landgericht folgerichtig auf die ständige Rechtsprechung des BGH. Demnach muss für die Prüfung die gesamte Finanzlage des Schuldners bis zur Fälligkeit aller bestehenden Verbindlichkeiten einbezogen werden. Im Falle Q-Cells bedeutete dies, dass in die Prüfung, die wohl spätestens mit der ersten Zahlung an die Anwälte im November 2011 hätte beginnen müssen, auch die Fälligkeit einer erst am 20. Oktober 2015 fällig werdenden Wandelschuldverschreibung hätte einbezogen werden müssen. Der Prognosezeitraum sollte sich also über vier Jahre erstrecken. Unabhängig von der Frage, ob sich die Entscheidung des LG Frankfurt schlussendlich an dieser Frist festmachte, ist ein solch langer Prognosezeitraum in der Praxis mit derartigen Prognoseunsicherheiten belastet, dass er nicht mehr als seriös gelten dürfte.
Die einschlägigen Kommentierungen zu § 18 InsO – drohende Zahlungsunfähigkeit – gehen denn zwar auch grundsätzlich davon aus, dass zwar ein einheitlicher Prognosezeitraum nicht festgelegt werden könne, aber im allgemeinen ein Zeitraum von wenigen Monaten bis zu drei Jahren nicht überschritten werden solle. Ferner sollte man sich ins Gedächtnis rufen, dass der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit geschaffen wurde, um den Geschäftsführern eine risikolose Möglichkeit zu bieten, möglichst frühzeitig ein Insolvenzverfahren zu beantragen. Die nunmehr durch den BGH „geschaffene“ Ausdehnung sowohl des Prognosezeitraums wie auch der haftungsrechtlichen Konsequenzen bei fehlender Antragstellung pervertieren geradezu den ursprünglichen Gedanken der Reform.
Auch dürfte diese Rechtsprechung auf Dauer zu einer Aushöhlung des erst durch das ESUG eingeführte Schutzschirmverfahrens führen: Nach § 270b InsO ist die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens nämlich nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit zulässig. Da § 133 InsO ebenfalls an die die drohende Zahlungsunfähigkeit anknüpft, bestehen für Sanierungsberater – die für die Vorbereitung eines Schutzschirmverfahrens als unerlässlich anzusehen sind – nunmehr wesentlich erhöhte Anfechtungsrisiken.
Ohne weitere Auseinandersetzung mit diesen Argumenten nimmt das LG Frankfurt dann die drohende Zahlungsunfähigkeit sowie die Kenntnis des Schuldners und der Berater davon an. Mit Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BGH (zuletzt 2013, s. unten) stellt das Gericht in der Folge klar, dass die daraus folgende Indizwirkung bezüglich der Gläubigerbenachteiligungsabsicht dann ausgeschlossen werden könne, wenn die angefochtene Rechtshandlung als Bestandteil eines ernsthaften, letztlich aber gescheiterten Sanierungskonzepts von einem anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen geleitet war. Voraussetzung dafür sei aber, dass zu der Zeit der angefochtenen Handlung ein schlüssiges, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehendes Sanierungskonzept vorliege, das beim Schuldner die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigt und mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt worden ist, d. h. dass der Schuldner zum jeweiligen Zeitpunkt der Rechtshandlungen die sichere Erwartung haben durfte, dass die Restrukturierung in Bälde erfolgreich abgeschlossen wäre. Im Folgesatz geht das Gericht dann aber noch einen Schritt weiter und statuiert – aus einem anderen Urteil des BGH (2012) zitierend, dass „der Schuldner die sichere Erwartung haben (musste), dass die Restrukturierung in Bälde abgeschlossen wäre“. Damit steigert das LG den Wahrscheinlichkeitsgrad des Erfolgseintritt gegenüber der bisherigen BGH-Line erheblich (von: „ernsthafte und begründete Aussicht“ auf „sichere Erwartung“).
Diese hohe Hürde „reißen“ dann die Berater erwartungsgemäß: Das Gericht entschied, dass die Anwaltskanzlei „nicht hinreichend sicher davon ausgehen“ konnte, dass ihre Interpretation des SchVG – als Grundlage des Sanierungskonzepts – die „richtige“ sei, weil dieser Rechtsansicht ein Urteil eines anderen Senates des LG Frankfurt in der Frage der Anwendbarkeit des SchVG diametral entgegen gestanden habe. Selbst wenn der BGH letztlich (nach Scheitern der Sanierung) die Rechtsfrage im Sinne der Berater entschieden habe, sei dies für die Beurteilung der Erfolgsaussichten während der Sanierung unmaßgeblich. Vielmehr habe das Sanierungskonzept von den tatsächlichen Gegebenheiten – wozu auch die Rechtsprechung der ausschließlich zuständigen Gerichte gehöre – auszugehen. Nur, wenn diese Rechtsprechung „evident abwegig“ wäre, könne etwas anderes gelten.
Grundsätzlich ist dem LG Frankfurt zuzugeben, dass die Frage, ob die rechtliche Entscheidung eines Gerichts im Rahmen bestehender Antragsfristen erfolgreich angefochten und die für die Sanierung günstige Rechtsansicht durchgesetzt werden kann, für die Frage der Erfolgsaussichten der Sanierung durchaus maßgeblich ist. Auch Rechtsfragen sind zeitkritisch: Wie auch etwaige Sanierungsbemühungen die Drei-Wochen-Frist des § 15a InsO nicht zu verlängern vermögen, kann auch die Abklärung einer Rechtsfrage (hier als Vorfrage für die Sanierungsbemühungen) diese Frist nicht verlängern. Würde man dies zulassen, so wäre der Gläubigerschutzzweck der Insolvenzantragspflicht gefährdet. Insoweit hat das Recht (und die Pflicht) des Anwalts im Sinne seines Mandanten, auch für eine Änderung bestehender Rechtsprechung zu kämpfen, mit dem Beginn der Insolvenzantragsfrist seine Grenze erreicht.
Allerdings, und das ist der zu kritisierende Punkt an der Entscheidung des LG Frankfurt, bestand zum Zeitpunkt der Sanierungsplanung unstreitig noch gar keine Pflicht zur Insolvenzantragstellung, denn die Schuldnerin war nur drohend zahlungsunfähig. Vor diesem Hintergrund und der – ebenfalls diskutierten – Überdehnung des Prognosezeitraums der drohenden Zahlungsunfähigkeit wird die Rechtsansicht des LG Frankfurt unhaltbar: Wenn ein Anwalt schon bei Eintritt in die drohende Zahlungsunfähigkeit nicht mehr für die Rechte seines Mandanten kämpfen kann, auch wenn bis zum Eintritt der Antragspflicht vielleicht noch mehrere Jahre vergehen, stellt diese Rechtsprechung eine bedenkliche Beschneidung des Rechtsstaatsprinzips dar.
Fazit: Das LG Frankfurt hat in Sachen Q-Cells die Anforderungen an Sanierungen außerhalb der Insolvenz in unsachgemäßer Weise verschärft. Es bleibt abzuwarten, ob diese Rechtsprechung in den Folgeinstanzen aufrechterhalten wird. Sie dürfte aber zunächst für einige (weitere) Unsicherheiten bei außergerichtlichen Sanierungen sorgen.
LG Frankfurt, Urt. v. 7.5.2015 – 2-32 O 102/13
BGH, Beschl. v. 19.09.2013 – IX ZR 232/12