Am 12. Januar 2022 hat der BGH zur von mir hier besprochenen Entscheidung des OLG Dresden vom 24. Februar 2021 zur Corona-bedingten Mietenkürzung Stellung genommen und entschieden, dass die vom OLG Dresden im streitigen Fall mehr oder minder pauschal vorgenommene Reduzierung um die Hälfte so nicht zulässig sei. Der BGH urteilt differenzierter. Grund genug, sich diese auch für die Liquiditätsplanung von Unternehmen wichtige Entscheidung genauer anzuschauen.
Erst am Ende (ab Rz. 61) seines mit 31 Seiten sehr ausführlich begründeten Urteils lässt der BGH die sprichwörtliche Katze endgültig, aber prägnant, aus dem Sack:
„Dabei obliegt es grundsätzlich der Vertragspartei, die sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage beruft, nachzuweisen, dass ihr ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist […]. Im Falle einer pandemiebedingten Geschäftsschließung muss daher der Mieter darlegen und gegebenenfalls beweisen, welche Nachteile ihm aus der Betriebsschließung entstanden sind, die ihm eine vollständige Mietzahlung für diesen Zeitraum unzumutbar machen […], und welche zumutbaren Anstrengungen er unternommen hat, um drohende Verluste auszugleichen. Behauptet der Mieter, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, muss er darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er sich um mögliche Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat. Gelingt ihm dies nicht, muss er sich so behandeln lassen, als hätte er die staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten […]. Wendet hingegen der Vermieter ein, dass die vom Mieter behaupteten Verluste nicht auf der COVID-19-Pandemie beruhen, trifft ihn hierfür die Darlegungs- und Beweislast.“
Bei der nunmehr geforderten Beweisführung sollen aber „staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden […], außer Betracht“ bleiben, „weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht.“ Auch sei eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters nicht erforderlich (Rz. 59). Der BGH – und das schreibt er in Rz. 64 auch – verlangt Feststellungen zu den „konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen“ der jeweiligen (pandemiebedingten) Geschäftsschließung. Letztlich hätte sich das Berufungsgericht, so der BGH (ebenfalls Rz. 64 a.E.), die Frage stellen müssen, ob der durch die Geschäftsschließung entstandene Umsatzrückgang tatsächlich so erheblich war, dass der Beklagten die vollständige Zahlung der Miete für den streitgegenständlichen Zeitraum unzumutbar war.
Angesichts der „Begründungsvielfalt“ dieser Entscheidung stellt sich für den Praktiker nicht nur die Frage, wie er (jetzt im Nachhinein) nachweisen soll, dass der Mieter in Bezug auf staatliche Corona-Hilfen nicht anspruchsberechtigt war, wenn dieser vielleicht in der damaligen Situation nur durch seinen Steuerberater ein kurzes telefonisches „Nein“ erhalten hatte. Denn man darf nicht vergessen, dass die Steuerberater gerade am Anfang der Pandemie derartige Prüfungen regelrecht am Fließband durchgeführt haben. Auch ist der Interpretationsspielraum weit geöffnet, wenn auf der einen Seite die „konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen“ der pandemiebedingten Geschäftsschließung nicht so weit gehen müssen, dass eine Existenzgefährdung drohte, aber andererseits eine (vollständige) Zahlung der Miete unzumutbar gewesen sein soll. Was ist „unzumutbar“, aber unterhalb einer Existenzgefährdung?
Fazit: Die BGH-Entscheidung hat zweifellos das Manko der Vorinstanz aufgedeckt, die sich offensichtlich zu wenig mit etwaigen staatlichen Ausgleichszahlungen zugunsten des Mieters auseinandergesetzt hat. Die weitergehenden Anforderungen an die Nachweispflicht dürften aber – gerade in Anbetracht der Sondersituation der Pandemie – den Bogen bei weitem überspannen. Es bleibt abzuwarten, ob auf Grund des Siechtums des Einzelhandels in der Pandemie, durch das ein großer Flächenleerstand droht, tatsächlich noch eine Prozesswelle in diesem Zusammenhang droht. Aber einen Gefallen hat der BGH der Rechtspraxis mit dieser Entscheidung nicht getan. Man darf dementsprechend gespannt sein auf etwaige Folgeurteile des BGH, in denen es dann (wie häufig in solchen Fällen) in etwa heißen könnte: „An den Nachweis der Unzumutbarkeit sind keine allzu großen Anforderungen zu stellen.“
Unabhängig von den Unzulänglichkeiten der Entscheidung sollten Geschäftsleiter von Einzelhandelsunternehmen sich bei noch offenen Prozessen in diesem Bereich schnellstmöglich über die Erfolgsaussichten ihres vormaligen Mietkürzungsverlangens vor dem Hintergrund dieser Entscheidung klar werden und dementsprechend ggf. ihre Unternehmensplanung anpassen.