Mit Wirkung zum 26. Juni 2017 ist die neue Europäische Insolvenzordnung als Verordnung Nr. 848/2015 („EuInsVO“) in Kraft getreten; sie löst damit die seit dem 31. Mai 2000 geltende Verordnung (EG) 1346/2000 ab und gilt in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme von Dänemark.
Die Neufassung erfolgte nicht nur aus Gründen der Klarheit, sondern auch um eine noch effizientere Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzen zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wurde u.a. der Anwendungsbereich der Verordnung erweitert (vgl. Art. 1 EuInsVO) und ergänzende Regelungen zur internationalen Zuständigkeit und insbesondere eine Definition des sog. COMI („Center of Main Interest“; Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen) eingefügt (vgl. Art. 3 EuInsVO).
Obwohl Ziel bereits der ursprünglichen Verordnung aus dem Jahre 2000 die Verhinderung des sog. „forum shopping“, also der (missbräuchlichen) Verlegung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen vor Insolvenzantragstellung war, wurde gerade die Regelung des Art. 3 EuInsVO durchaus kreativ für Sitzverlegung von Unternehmen genutzt (Stichwort: „Migration“). Durch die Neufassung der Norm wird der COMI nunmehr – unter Heranziehung der vom EuGH insbesondere in der Eurofood-Entscheidung gebildeten Kriterien – legal definiert („Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist.“).
Durch die Neuregelung soll der missbräuchliche COMI-Shift einer Gesellschaft auch dadurch verhindert werden, dass die vorgenannte Vermutungsregel dann nicht gelten soll, wenn „der Sitz in einem Zeitraum von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedsstaat verlegt wurde“. Es bleibt abzuwarten, ob diese Regelung tatsächlich nennenswerte Auswirkungen haben wird, da bereits jetzt erste Diskussionen zu ihrer Umgehung geführt werden. Allerdings legt die Verordnung nunmehr auch ausdrücklich fest, dass die Insolvenzgerichte ihre internationale Zuständigkeit von Amts wegen prüfen müssen. Ferner kann die Eröffnungszuständigkeit nunmehr von Gläubigern angefochten werden.
Ein weiterer Schwerpunkt der Neuregelung ist der Umgang mit Konzerninsolvenzen (vgl. Art. 56 ff. EuInsVO). Ziel des hierzu neu eingeführten Kapitels V der Verordnung ist die effiziente Abwicklung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaften, die einer Unternehmensgruppe angehören (vgl. Erwägungsgrund Nr. 52). Neben der Einführung eines sog. Koordinationsverfahrens (vgl. Art. 61 EuInsVO) sollen hierzu die Einführung verschiedener Vorschriften über Kommunikations- und Kooperationspflichten von Verwaltern und Gerichten beitragen. Eine Zusammenfassung der Insolvenzmassen (sog. „materielle Konsolidierung“) wird es auch nach der Neuregelung genau so wenig geben, wie einen einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand. Auch wenn das gerade neu eingeführte deutsche Konzerninsolvenzrecht auch nicht konsequent für eine Konsolidierung entschieden hat, so ermöglicht es zumindest einen Konzerninsolvenzgerichtsstand (vgl. dazu auch hier).
Auch muss – um die Sanierungschancen von Unternehmen zu erhöhen – ein Sekundärverfahren nun nicht mehr zwangsläufig als Liquidationsverfahren betrieben werden. Dabei versucht die Verordnung auch, unliebsame Sekundärverfahren insgesamt zu verhindern, indem der Insolvenzverwalters des Hauptverfahrens ermächtigt wird, lokalen Gläubigern zuzusichern, dass ihre Rechte gewahrt bleiben (vgl. Art. 36 EuInsVO; sog. „virtuelles“ oder „synthetisches“ Sekundärinsolvenzverfahren).
Neu geschaffen wurden schließlich Regelungen zur Einrichtung eines europaweit vernetzten Insolvenzregisters (vgl. Art. 24 ff. EuInsVO) und zur internationalen Standardisierung der Forderungsanmeldung (vgl. Art. 54 EuInsVO). Schließlich wurde mit der Regelung des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO eine bislang bestehende Lücke in Bezug auf die internationale Zuständigkeit für sog. Annexentscheidungen geschlossen. Diese – insbesondere Insolvenzanfechtungsklagen – wichtige Frage wird nun in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung zu dieser Frage dahingehend beantwortet, dass für „alle Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen“ die Gerichte des Eröffnungsstaates zuständig sind. Die damit einhergehende Beeinträchtigung der Verteidigungsmöglichkeit eines Anfechtungsgegners wird insoweit in Kauf genommen.
Die Verordnung findet auf solche Insolvenzverfahren Anwendung, die nach dem 26. Juni 2017 eröffnet werden. Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem am 27. April 2017 verabschiedeten Gesetz zur Durchführung der Vorordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren flankierende deutsche Regelungen erlassen, die dazu dienen, die jeweiligen Verweise der Verordnung in das nationale Recht umzusetzen.
Die Neuregelung des europäischen Insolvenzrechts siebzehn Jahre nach ihrer ursprünglichen Kodifikation erscheint schon angesichts der zwischenzeitlichen Erkenntnisse aus diversen Verfahren auch vor dem Europäischen Gerichtshof sinnvoll und richtig. Die Verordnung hat dementsprechend viele dieser Erkenntnisse aufgenommen, gleichzeitig aber mit den Regelungen zum internationalen Konzerninsolvenzrecht durchaus strittiges Neuland betreten. Es bleibt abzuwarten, wie sich gerade diese komplexen Regelungen in der Praxis bewähren werden. Insgesamt steht aber sowieso zu erwarten (oder zu befürchten), dass im Zuge des Austritts Großbritanniens aus der EU die Bestrebungen, das Internationale Insolvenzrecht zur Sanierung von Unternehmensgruppen zu nutzen, abnehmen werden.
Verordnung (EU) 2015/848 v. 20. Mai 2015
Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren, BT-Drucks. 18/10823