Wie der aktuelle Fall Clariant zeigt (s. dazu hier und hier) sind Hinweisgeber (engl. „Whistleblower“) wichtig, um Fehlentwicklungen in Organisationen aufzudecken und so größeren Schaden abzuwenden (s. zur Thematik bereits ausführlich hier). Der deutsche Gesetzgeber trägt dieser Relevanz noch nicht ausreichend Rechnung – hat er doch die Umsetzungsfrist der entsprechenden EU-Richtlinie Ende letzten Jahres unverrichteter Dinge verstreichen lassen. Unternehmen sollten sich gleichwohl – schon angesichts eines von der EU-Kommission bereits angestrengten Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland – schon jetzt auf das kommende Gesetz einstellen. Der nachfolgende Artikel beleuchtet kurz die Hintergründe und zeigt erste Handlungsmöglichkeiten auf.
Stand des Gesetzgebungsverfahrens
Zwar hat der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Verabschiedung des „Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG)“ bereits partiell Regelungen zum Schutz von Whistleblowern ins deutsche Recht eingeführt (s. dazu näher hier). Allerdings konnte sich die bis Dezember 2021 regierende Große Koalition intern nicht auf die eigentlich bis zum 17. Dezember 2021 erforderliche Umsetzung der Europäischen Whistleblower-Richtlinie (WBR) einigen. Auch die seit Dezember 2021 regierende sog. „Ampelkoalition“ hat sich zwar in ihrem Koalitionsvertrag die Umsetzung der WBR zum Ziel gesetzt (hier, Rz 3737), ist aber scheinbar bislang noch nicht entsprechend tätig geworden. Deswegen hat die EU-Kommission am 27. Januar 2022 ein entsprechendes Vertragsverletzungsverfahren auch gegen Deutschland eingeleitet (hier). Angesichts des Charakters der EU-Regelung, nämlich einer Richtlinie, stellt sich die Frage einer unmittelbaren Anwendung trotz Nichtumsetzung.
Unmittelbare Wirkung?
Denn zum einen sind die nationalen Gesetze nach Ablauf der Umsetzungsfrist im Lichte der jeweilige Richtlinie auszulegen, sog. „richtlinienkonforme Auslegung“. Im Fall von Whistleblowern könnte dies bedeuten, dass z.B. bestimmte Strafvorschriften gegen sie nicht anwendbar sind. Ferner können Richtlinien der EU nach Ablauf ihrer Umsetzungsfrist zumindest dann eine unmittelbare Wirkung entfalten und damit auch ohne nationales Umsetzungsgesetz anwendbar sein, wenn die jeweiligen Bestimmungen so klar und eindeutig sind, dass sie keiner weiteren Konkretisierung durch eine nationale Gesetzgebung bedürfen. Als sog. „vertikale“ unmittelbare Wirkung ist diese gegenüber Behörden und Unternehmen in Staatshand anerkannt. Eine „horizontale“ Direktwirkung, also eine Wirkung zwischen Personen des Privatrechts wird demgegenüber abgelehnt (s. näher dazu hier). Erst recht nicht werden sich staatliche Stellen nicht gegenüber Unternehmen auf eine wie auch immer geartete horizontale Wirkung berufen können. Im Endeffekt dürfte der Fall praxisrelevant sein, in dem ein Whistleblower in einem deutschen Unternehmen Nachteile erfährt, vor denen er bei einer rechtzeitigen Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht geschützt wäre, und der deswegen Schadenersatzforderungen gegen Deutschland erhebt.
Erste Empfehlungen
Gleichwohl sollten sich Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern (vgl. § 12 Abs. 2 RefE) bereits jetzt – an Hand der Richtlinie und des Referenten-Entwurf des deutschen Gesetzes (s. unten) – Gedanken über die konkreten Folgerungen aus einem zukünftigen Gesetz machen. Denn zum einen wird der deutsche Gesetzgeber den Unternehmen bereits auf Grund seines eigenen Verzuges nur einen kurzen Zeitraum bis zur Umsetzung zubilligen. Zum anderen weist die Thematik auch Schnittstellen zu anderen Gesetzen auf (vgl. z.B. § 8 Abs. 1 S. 2 LkSG).
Zentraler Punkt bei der (zukünftigen) Umsetzung der Regelungen eines entsprechenden Gesetzes ist die Etablierung eines internen Meldesystems (vgl. §§ 12 ff. RefE), an das sich die Hinweisgeber in „mündlicher oder in Textform“ (sprich per Brief, Fax, mail oder telefonisch) wenden können, ohne den Verlust ihrer Anonymität oder Repressalien befürchten zu müssen. Ein solche „internes Meldesystem“ kann dabei nach jetzigem Stand der Gesetzgebung durch einen „Dritten“ dem Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, also z.B. auch durch Anwaltskanzleien oder entsprechende andere Dienstleister betrieben werden. Der RefE sieht (beruhend auf der Richtlinie) in den §§ 19 ff. ferner die Errichtung sog. „externer“ Meldestellen beim Bund, den Ländern und bei der BAFin vor. Zwar ist kein Rangverhältnis zwischen internen und externen Meldestellen vorgesehen, aber implizit soll durch die Schaffung externer Meldestellen der Druck auf die Unternehmen erhöht werden, „attraktive“ interne Meldestellen anzubieten. Ein weiterer Grund für Unternehmen, sich möglichst zügig mit den Vorarbeiten zu beschäftigen. Denn im eingangs genannten Fall Clariant dürfte das Management froh sein, dass die Hinweisgeber interne Meldesysteme genutzt haben.