Alle sprechen von Sanierung, ich also auch. In meiner kleinen Reihe von vertiefenden Artikeln zum SanInsFoG im Allgemeinen und dem StaRUG im Besonderen (s. schon hier und hier) beschäftige ich mich nachfolgend mit dem Aspekt, welche „Sanierungstiefe“ das StaRUG eigentlich vorgibt (mit einem kleinen, aber für die zukünftige Rechtsprechung zum StaRUG wichtigen, Seitenblick auf die InsO).
Die (umgangssprachlich formulierte) Frage der „Sanierungstiefe“ dient der Klärung, welchen Status ein Krisen-Unternehmen eigentlich erreichen muss, um in den Augen von Rechtsprechung und Literatur als „saniert“ zu gelten. Der BGH belässt es bei der nebulösen Aussage, dass eine „nachhaltige Beseitigung der Krisenursachen“ vorliegen müsse (BGH, Urt. v. 12.05.2016 – IX ZR 65/14, Rz. 43). Dieses Erfordernis lässt sich grafisch einfach an Hand der sog. „Krisenverlaufskurve“ ableiten:
Demnach muss die „Krisenverlaufskurve“ sozusagen „rückwärts“ wieder abgearbeitet werden, sprich, die Insolvenz, die Liquiditäts- und Ergebniskrise müssen beseitigt und strategische Fehlentwicklungen (Stichwort: „Geschäftsmodell“) korrigiert worden sein, um eine Sanierung als abgeschlossen betrachten zu können. Auch wenn die Formulierungen nicht immer einheitlich sind, gilt in der Fachliteratur die Sanierung eines Unternehmens allgemein als abgeschlossen, wenn das Krisen-Unternehmen wieder „rentabel“ bzw. „wettbewerbsfähig“ ist. Der „Sanierungsstandard“ des IDW (S6) definiert die „Sanierungsfähigkeit“ eines Unternehmens zweistufig: Auf einer ersten Stufe muss die Fortführungsfähigkeit gesichert werden und erst auf einer zweiten Stufe die „Wettbewerbsfähigkeit“ (IDW S 6, Rz 24 ff.). Unter Verweis auf das vorgenannte BGH-Urteil fordert der IDW dafür eine „Wiederherstellung der Rentabilität der unternehmerischen Tätigkeit als Voraussetzung, aus eigener Kraft im Wettbewerb bestehen zu können.“
Welche „Sanierungstiefe“ verlangt nun das StaRUG? Die Regelung des § 14 StaRUG fordert, dass die „Bestandsfähigkeit des Schuldners“ wieder hergestellt wird. Während die Begründung des Regierungsentwurfes zu diesem Merkmal keine vertieften Aussagen trifft, geht der Referentenentwurf augenscheinlich noch von einem Gleichlauf von (insolvenzrechtlicher) „Fortbestehensprognose“ und „Bestandsfähigkeit“ aus (s. Ref-E, S. 159). Die Fortbestehensprognose verlangt aber nach herrschender Ansicht wohl gerade nicht eine (Wieder-)Herstellung der Ertragsfähigkeit des Unternehmens (s. dazu die beigefügt Auszug aus dem Münchner Kommentar), auch wenn die Rechtsprechung immer wieder von „nachhaltigen Sanierungsmaßnahmen spricht. Vielmehr ist sie „eine reine Zahlungsfähigkeitsprognose (IDW S 11, Rz. 59; anders z.B. AG Hamburg, Beschl. v. 2.12.2011, 67c IN 421/11, der eine „positive Ertragsfähigkeitsprognose“ konstituiert).
Dementsprechend ist es eigentlich nicht erforderlich, dass die Maßnahmen eines StaRUG-Restrukturierungsplanes auf die nachhaltige betriebswirtschaftliche Sanierung eines Unternehmensträgers unter Abarbeitung der vollständigen Krisenverlaufskurve gerichtet sind. Lediglich die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit für die nächsten zwölf Monate (bzw. 24 Monate, da ja nach § 14 StaRUG auch die drohende Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO (neu) „durch den Plan beseitigt werden kann“) ist damit auf Grund der Gesetzesmaterialen erforderlich.
Und das ist nicht nur – wie oben dargestellt – gegenüber der außergerichtlichen Sanierung eine „geringere“ Sanierungstiefe, sondern möglicherweise auch gegenüber den Anforderungen, die an einen Insolvenzplan gestellt werden. Denn zumindest nach dem entsprechenden Standard für Insolvenzpläne (IDW S2, s. dort Rz. 31) muss der Insolvenzplan den Anforderungen des IDW S6 im Hinblick auf die Wiederherstellung einer nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit genügen. Allerdings ist es ständige Rechtsprechung des BGH, dass dem Insolvenzgericht im Rahmen des § 231 InsO eine Prüfung verwehrt sei, ob der Plan wirtschaftlich zweckmäßig gestaltet ist und ob er voraussichtlich Erfolg haben wird (s. nur BGH, Beschl. vom 7.5.2015 – IX ZB 75/14). Eine darüber hinausgehende Prüfung der materiellen Fortführungsfähigkeit der Gesellschaft begegnet – so der BGH in einem eigentlich die Prüfungskompetenz des Registergerichts betreffenden Entscheidung (BGH, Beschl. vom 8.4.2020 – II ZB 3/19) unter Verweis auf den damaligen RegE der InsO (dort S. 90) – durchgreifenden systematischen Bedenken. Die Prüfung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht finde jedenfalls dort ihre Grenzen, wo sie die Entscheidungskompetenz der Gläubigerversammlung beschneidet. Deswegen ist dem Insolvenzgericht eine Prüfung, ob der Plan wirtschaftlich zweckmäßig gestaltet ist und ob er voraussichtlich Erfolg haben wird, verwehrt.
Fazit: Angesichts der (beabsichtigten) Parallelität des Restrukturierungsplans nach dem StaRUG mit dem Insolvenzplan der InsO steht zu Erwarten, dass der BGH auch bei Restrukturierungsplänen die „Sanierungstiefe“ des Plans, sprich die Entscheidung, ob das Unternehmen tatsächlich auf eine nachhaltige Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet werden muss, bei den über den jeweiligen Plan entscheidenden Gläubigern belassen wird.
Natürlich dürften die zukünftigen Restrukturierungen unter dem StaRUG – schon vor dem Hintergrund der hier zitierten IDW Standards – gleichwohl jenseits dieses Horizontes entsprechende Prognosen zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit treffen. Man will ja nicht so enden, wie Kettler – liquidiert in der dritten Insolvenz (s. nur hier). Aber auch der geübte Sanierer springt nur so hoch, wie ihm das Stöckchen gehalten wird. Von daher ist schon die Hinnahme einer geringeren „Sanierungstiefe“ durch den Gesetzgeber unglücklich, die der BGH ja nur befolgt. Ob damit in der Folge nicht schlicht „Zombie-Unternehmen“ am Leben gehalten werden, dürften die Folgejahre nach Corona zeigen.
Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22. Dezember 2020 (BGBl 2020, Teil I, S. 3256)
RegE eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (mit ausführlicher Begründung des Gesetzesvorhabens)
Ref-E: Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG (mit ausführlicher Begründung des Gesetzesvorhabens)