In meiner losen Folge zu Möglichkeiten der Unternehmensfinanzierung widme ich mich – nach Sale and Lease Back (hier) und den Corona-Hilfen (hier) – diesmal dem seit der letzten Finanzkrise wieder aus der Versenkung geholten sog. Schuldscheindarlehen. Gerade in der aktuellen Corona-Krise „saugen“ sich einige Unternehmen augenscheinlich mit Hilfe dieses Instruments mit Liquidität voll: So nahm Bosch bis Juni 2020 Kredite im Volumen von Euro 2 Mrd. im Wege der Platzierung eines Schuldscheindarlehens auf (hier) und noch im April 2020 hat der Automobilzulieferer Schaeffler Schuldscheine im Volumen von Euro 350 Mio. emittiert (hier).
1. Grundlagen
Aus rechtlicher Sicht stellt der in § 344 Abs. 2 HGB genannte, aber nicht weiter erläuterte, „Schuldschein“ den Darlehensvertrag (§ 488 BGB) des Kaufmanns dar. Der Schuldschein ist keine Schuldverschreibung (Anleihe) im Sinne der §§ 793 ff. BGB und auch kein sonstiges (fungibles) Wertpapier, sondern stellt lediglich eine Beweisurkunde nach § 371 BGB dar. Im Gegensatz zum Konsortialkreditvertrag, bei dem mehrere Finanzinstitute einen Darlehensvertrag mit dem Kreditnehmer abschließen, werden bei der Emission von Schuldscheindarlehen eine Reihe von gleichlautenden einzelnen Darlehensverträgen an die Kreditgeber ausgegeben. Die Standardisierung der Kreditverträge, dem nicht erforderlichen Rating und den gegenüber anderen Finanzierungsarten vergleichsweise niedrigen Kosten machen das Schuldscheindarlehen für Unternehmen interessant. Auch erweitert die Möglichkeit, Schuldscheine an Nichtbanken, also institutionelle Anleger, wie Pensionsfonds und Versicherungen, zu emittieren, den Kreis der potentiellen Kreditgeber.
Mit dem Beginn der letzten Finanzkrise hat das bis dato eher im Dornröschen-Schlaf weilende Schuldscheindarlehen schlagartig an Attraktivität gewonnen, schlicht, weil in der Krise die „normalen“ Finanzierungskanäle, wie etwa Anleiheemissionen, verschlossen waren. Seit der Finanzkrise wuchs das Emissionsvolumen stetig und lag Ende 2019 bei rund Euro 27 Mrd. (hier).
2. Schuldscheindarlehen in der Krise
Dem Vorteil der relativ einfachen Emission der Schuldscheine stehen in der Krise des Emittenten mannigfaltige Probleme gegenüber, die häufig bei der Vergabe nicht bedacht werden: So steht der Emittent in der Krise einer Vielzahl von Gläubigern gegenüber, die, im Gegensatz z.B. bei einem Konsortialkredit, untereinander in keinem Rechtsverhältnis stehen. Somit sind Vertragsanpassungen zur Sanierung der Gesellschaft, (etwa Stundungen oder Zinssenkungen) nur mit Zustimmung jedes einzelnen Schuldscheingläubigers möglich.
Regelmäßig sind Schuldscheindarlehen nicht mit Sicherheiten unterlegt, so dass auf der anderen Seite dem jeweiligen Gläubiger gegenüber dem Krisenunternehmen im Zweifel nur die Drohung mit der außerordentlichen Kündigung bleibt, um den Darlehensnehmer zu zwingen, zielgerichtete Restrukturierungsschritte einzuleiten.
Neben den gesetzlichen Gründen zur außerordentlichen Kündigung, die jedem Darlehensgeber aus §§ 490, 314 BGB zustehen, sehen die konkreten Schuldscheinbedingungen oftmals weitere Kündigungsgründe vor, so etwa bei Nichteinhaltung der vereinbarten Finanzkennzahlen („Covenants“), dem Verstoß gegen Vertragspflichten (z. B. gegen eine Negativerklärung) oder bei Eintritt eines sog. cross default; letzterer Kündigungsgrund erlaubt es, den Kredit außerordentlich zu kündigen, wenn Gläubiger des Darlehensnehmers, oder – soweit vereinbart – eines Mitglieds der Unternehmensgruppe, dem der Darlehensnehmer angehört, unter anderen Finanzierungsinstrumenten zur Kündigung berechtigt sind.
Anders als bei Konsortialkreditverträgen entscheidet jeder Schuldscheingläubiger allein über die Ausübung seines Kündigungsrechts. Das kann zur Folge haben, dass einzelne Investoren damit drohen können, ihr Kündigungsrecht auszuüben und den auf sie entfallenden Nominalbetrag sofort und in voller Höhe zzgl. Zinsen und etwaiger Nebenforderungen geltend zu machen. Dies ist insbesondere dann risikoreich, wenn das Entstehen eines solchen Kündigungsrechts bzw. der Ausspruch der Kündigung dazu führt, dass aufgrund der Wirkungen der oben genannten Cross Default-Klauseln bzw. Drittfälligkeitsklauseln (sog. cross acceleration) Kündigungsrechte bezüglich anderer Finanzierungsinstrumenten des Schuldners entstehen.
Die Kündigung aus wichtigem Grund ist stets nur innerhalb einer angemessenen Frist ab Kenntnis des Kündigungsgrunds zulässig. Erfolgt eine Kündigung verspätet, kann sie gegen § 242 BGB verstoßen. Auch kann eine (außerordentliche) Kündigung eine missbräuchliche Rechtsausübung darstellen, insbesondere eine Kündigung zur Unzeit. Diese Einschränkung des Kündigungsrechts ist als vertragliche Nebenpflicht bzw. als Treuepflicht für alle Arten von Verträgen in den §§ 627 Abs. 2, 671 Abs. 2, 675 Abs. 1 und 723 Abs. 2 BGB festgeschrieben. Eine Kündigung zur Unzeit liegt vor, wenn diese aus »heiterem Himmel« erfolgt, d. h. ohne Vorwarnung und ohne dem Darlehensnehmer ggf. die Möglichkeit zur Refinanzierung zu geben oder wenn durch die Kündigung ein Sanierungskonzept gefährdet wird, obwohl die Sanierung nicht aussichtslos ist.
3. Fazit – Vom Ende her denken
Auf Grund der hier geschilderten Probleme beider Seiten – also sowohl des Emittenten, als auch der Kreditgeber im Rahmen eines Schuldscheindarlehens – sollte schon bei der Auflegung des Schuldscheins die Krisenlage antizipiert und versucht werden, bestimmte Mechanismen in den Vertrag einzubauen, die die Handlungsfähigkeit in der Krise erhalten. So kann man – in Anlehnung an die Bestimmungen des SchVerschrG – daran denken, z.B, schon die Möglichkeit eines „gemeinsamen Vertreters“ der Schuldscheininhaber vorzusehen, um die Abstimmung in der Restrukturierung zu erleichtern.