Wie in den Vormonaten (s. zuletzt hier), so verkünden Destatis und IWH auch für den November wieder steigende Insolvenzzahlen – mit einer kleinen Einschränkung: Laut Destatis stieg die Zahl der angemeldeten Regelinsolvenzen (die auch die Unternehmensinsolvenzen beinhalten) im November um weitere 18,8% im Vergleich zum Vorjahr. Nach dem IWH-Insolvenztrend für selben Zeitraum stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen um 21%, nahm allerdings im Vormonatsvergleich um 6% ab.
Das IWH sieht diesen „überraschenden“ Rückgang im Monatsvergleich derzeit als vorübergehend an und geht von einem weiteren Anstieg in den Folgemonaten aus.
Aktuelle Fälle
Wie immer gewähren Juve (hier) und Finance-Magazin (hier und aktuell hier) einen guten Überblick über das aktuelle Insolvenzgeschehen. Zu Recht weist Finance darauf hin, dass die Pleite des Benko-Imperiums Signa „mehr als nur ein Husten“ sein dürfte, die Frage ist halt nur, wie stark die Grippe der deutschen und österreichischen Volkswirtschaft werden wird. Neben der österreichischen (hier) und der deutschen Holding (hier, bemerkenswert, dass entgegen § 22a InsO kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt wurde, hier) befinden sich auch bereits mehrere operative Töchter in der Insolvenz, so die Signa Financial Services GmbH und die SIGNA REM Germany Rent GmbH (hier) oder auch Sport Scheck (hier). Die Folgen für den krisengeplagten Galeria Karstadt Konzern sind noch nicht absehbar, die eigentlich von Signa im Rahmen der letzten Sanierung in Insolvenz zugesagte Finanzspritze von Euro 200 Mio. (hier) dürfte jedenfalls mehr als fraglich sein.
Angesichts der Pleite von Signa ist die Insolvenz von WeWork Deutschland (hier) etwas in den Hintergrund gerückt. Zu Unrecht, denn auch diese Insolvenz wird den Immobilienmarkt in Deutschland ordentlich durchschütteln. Die sog. „Effenberg-Bank“ (VR Bank Thüringen) hat sich wohl etwas an Krediten für Fußball-Vereine verhoben und benötigt jetzt selber einen Schutzschirm (hier). Vorbote für Probleme bei Banken und Profi-Vereinen? Mit Tchibo (hier) und ZF (hier) sind zwei weitere deutsche Traditionsunternehmen in die Krise geraten. Krisen-erprobte Automobilzulieferer lassen es gar nicht erst so weit kommen: So schließt Michelin seine LKW-Reifenwerke in Deutschland (hier) – dürfte eines der vielen Unternehmen sein, die (still) liquidiert werden und deswegen medial weniger Aufmerksamkeit erzielen. Aber auch Bosch kündigt 1.500 Mitarbeitern in Deutschland (hier).
Blick ins Ausland
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in England und Wales ist entgegen vorheriger Erwartungen auch im Oktober gestiegen und zwar um weiter 17,6%. Derweil hat die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Österreich bereits nach elf Monaten in 2023 den Fünf-Jahres-Rekord geknackt (hier). In der Schweiz stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 um 12%, allerdings beschleunigte sich der Trend im Oktober mit einer Zunahme von 20%.
Prognosen anderer
Traditionell ist das Jahresende die Zeit der zusammenfassenden Rückblick und Ausblicke – 2023 ist da nicht anders: Falkensteg (hier) beschäftigt sich mit den steigenden Zahlen an Großinsolvenzen, Allianz Trade (hier) weist in ihrer Untersuchung auf die stark steigenden Insolvenzzahlen in wichtigen Exportmärkten Deutschlands hin – was wohl auch zu Folgeinsolvenzen in Deutschland führen dürfte. Derweil geht Creditreform (hier) in einer ersten Schätzung von 18.100 Unternehmensinsolvenzen in Deutschland für 2023 aus. Das wären immer noch gut 700 weniger als im Vor-Corona-Jahr 2019, aber auch ein Anstieg um 23,5% gegenüber dem Vorjahr. Wie der IWH so geht auch Creditreform von weiter steigenden Insolvenzzahlen aus. CRIF (hier) dagegen geht von „lediglich“ 17.900 Unternehmensinsolvenzen in 2023 aus, führt aber für 2024 wie folgt aus: „Die Prognose für das Gesamtjahr 2024 liegt derzeit bei bis zu 20.000 Firmeninsolvenzen. Der Durchschnitt seit 1999 beträgt knapp 26.200 Firmeninsolvenzen pro Jahr, wobei im bisherigen Rekordjahr 2003 die Zahl bei 39.320 lag.“
Fazit: Herrschte im Dezember letzten Jahres noch „heiteres Rätselraten“ über die weitere Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen (hier), so hat sich in diesem Jahr die Trendwende bei den Unternehmensinsolvenzen endgültig manifestiert und es ist absehbar, dass auch in 2024 die Zahl der Unternehmensinsolvenzen weiter deutlich steigen wird. Laut IWH-Insolvenztrend lag die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im November erneut 10% über dem November-Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, also vor der Corona-Pandemie. Im Jahr 2016 wurden statistisch noch über 21.000 Unternehmensinsolvenzen ausgewiesen (hier). Vor diesem Hintergrund erscheint die Schätzung von CRIF, dass in 2014 bis zu 20.000 Unternehmensinsolvenzen möglich sein, nicht unplausibel. Der Verweis von CRIF auf das Rekordjahr 2003 mit über 39.000 Insolvenzen oder der des VID auf 2009 (hier), als über 33.000 Unternehmen Insolvenz anmelden mussten, sollen zwar suggerieren, dass Deutschland eben keine Insolvenzwelle treffe. Dabei hat zumindest der VID damit aber die Bezugsgröße im Vergleich zu den Vormonaten gewechselt, als er die jeweiligen Anstiege noch in Relation zur Vor-Corona-Zeit setzte (s. nur hier). Diese stetige Relativierung der Insolvenzentwicklung erinnert ein bisschen an die Negierung der Inflationsentwicklung im Spätsommer 2021 (s. meine damalige Kommentierung hier). Hoffen wir, dass auf diese Beruhigungsversuche angesichts der prognostizierten wirtschaftlichen Entwicklung (s. dazu Creditreform hier, Deutsche Bank hier) in 2024 nicht ein ähnlich hektisches Flügelschlagen der Experten und Politik zur Abwehr einer „Insolvenzwelle“ folgt, wie ab 2022 zur Bekämpfung der Inflation. Denn nach CRIF sind alleine knapp 15.000 Gastronomieunternehmen insolvenzgefährdet (hier). Die ab 1. Januar 2024 wieder geltende Mehrwertsteuer von 19% dürfte nicht wenigen davon wirtschaftlich das Genick brechen. Angesichts des prognostizierten mauen Weihnachtsgeschäfts (hier) dürfte es auch im Einzelhandel vermehrt zu Insolvenzen kommen – selbst wenn es Galeria Karstadt nicht treffen sollte. Dementsprechend gehe ich von weiterhin mehr oder minder stark steigenden Insolvenzzahlen aus, vielleicht mit einer kleinen Delle im Dezember. Aber ab Januar 2024 dürfte tatsächlich der Insolvenz-Hammer kreisen. Das wird sich dann spätestens in meiner Februar-Meldung abbilden.