Was wie eine Binse daherkommt, muss auch in diesen Zeiten nicht falsch sein. Nachdem Destatis diesen Monat scheinbar keine Lust dazu hatte, aktuelle Zahlen zu Unternehmensinsolvenzen zu melden (s. hier, letzte Meldung vom 11. Februar 2021), mir aber einige Faktoren auffielen, die gegen eine mögliche Fortsetzung des „Insolvenz-Downhill-Biken“ (s. zuletzt hier) und für eine zumindest mittelfristige „Trendumkehr“ sprechen, nutze ich die Gelegenheit, diese mal zu Bildschirm zu bringen.
Schaut man auf die Wirtschaftsdaten aus dem Februar 2021 (hier, auf englisch), den langsamen, aber stetigen Anstieg der Exporte (hier) sowie den aktuellen Anstieg des IFO-Geschäftsklimaindex für März 2021 (hier) scheint sich die deutsche Wirtschaft im Spätwinter 2021 zumindest zu stabilisieren. Auch wenn die Impfkampagne mehr als „ruckelt“, so dürfte die Pandemie selbst in Deutschland spätestens zum vierten Quartal hin auf Grund fortschreitender Durchimpfung der Bevölkerung auf dem Rückzug sein. Spätestens dann dürften Nachholeffekte das Wirtschaftswachstum treiben. So weit so gut. „Wir“ müssen also nur noch bis zum Herbst durchhalten, dann wird alles gut, oder?
Vielleicht. Aber zumindest, was Insolvenzen angeht, dürfte das Ende der abfallenden Kurve in diesem Jahr erreicht werden. Vielleicht schon im Mai/Juni, spätestens aber im Oktober / November 2021. Nachfolgend will ich mal die Faktoren auflisten, die für eine Trendumkehr sprechen:
1. Ungleiche Verteilung. Während die obigen Zahlen und Trends für die Gesamtwirtschaft sprechen, sind Aufschwung und Niedergang durchaus ungleich verteilt. Während exportabhängige produzierende Unternehmen von der schnellen Durchimpfung und wirtschaftlichen Erholung in wichtigen Wirtschaftszentren der Welt profitieren, was sich beispielhaft an der deutschen Automobilindustrie zeigt (hier), leidet der stationäre deutsche Einzelhandel an den Folgen der lockdownbedingten Schließungen, die wohl auch nur zum Teil durch die verschiedenen Überbrückungsgelder des Bundes ausgeglichen werden (hier). Sprich, Einzelhandel (außer Lebensmittel), soweit er nicht online aufgestellt ist, Gastronomie, Kinos und Veranstaltungsbranche stehen jetzt schon mit dem Rücken zur Wand und fürchten nicht ohne Grund um ihre Existenz (hier).
2. Lockdown 3.0 droht. Je nachdem, wie „hart“ dieser Lockdown von der Politik festgelegt wird, dürfte es zu einer Verlängerung des Leidens der oben genannten Bereiche (Einzelhandel, Gastro, etc.) kommen, bis hin zu einem Rückfall auch der (exportgetriebenen) Industrie, wenn es zu Stilllegungen der Produktion kommen sollte. Angesichts der (zum Teil wohl immer noch schleppenden) Auszahlung der bisherigen Überbrückungshilfen (hier) steht zu befürchten, dass in einem neuerlichen Lockdown die (nur noch dünne) Finanzdecke zahlreicher Mittelständler reißen wird (s. auch sogleich unten).
3. Verschuldung steigt. Bereits vor der Pandemie stieg die Unternehmensverschuldung auf Grund des „billigen“ Geldes an, in der Pandemie sie dann explodierte förmlich, da viele der Hilfsprogramme der Bundesregierung sich schlicht in der Vergabe von Krediten erschöpften (s. hier). Damit dürfte gerade in vielen mittelständischen Unternehmen das seit der Finanzkrise gestärkte Eigenkapital (s. hier) wieder deutlich abgeschmolzen sein. Dieses Kapital wird für die Investitionen in einem sich verstetigenden Aufschwung fehlen.
4. Schutzschirm für WKV läuft aus / Vorkasse nimmt zu. Der bislang von der Bundesregierung aufgespannte Schutzschirm zur Rückdeckung der Warenkreditversicherer (WKV) läuft (bislang) zum Ende des ersten Halbjahres 2021 aus (hier). Bereits jetzt scheinen einige Unternehmen auf Vorkasse umzustellen (hier). Gerade in den von der Krise übermäßig getroffenen Branchen dürften diese Entwicklungen zu einem weiteren Abschmelzen dringend gebotener Liquidität führen.
5. Zahlungsausfälle in Gewerbemietverhältnissen. Die Bundesregierung hat versucht, mit einer Vermutungsregelung zur Geschäftsgrundlage von gewerblichen Miet- und Pachtverhältnissen die Verteilung des Mietausfalls in Folge der Pandemie zwischen Mieter und Vermieter „gerecht“ zu regeln (s. dazu näher hier). Der (ungewollte) Effekt dieser Regelung könnte aber sein, dass zum einen die von Zwangsschließungen im Rahmen des Lockdowns betroffenen Gewerbemieter, also vor allen Dingen Einzelhändler, nicht entscheidend von ihren Verbindlichkeiten befreit werden – also ihr Insolvenzrisiko nach wie vor steigt. Zum anderen aber kann die – ggf. gerichtlich durchgesetzte – Mietminderung in der Folge kreditfinanzierte Immobiliengesellschaften in Notlage bringen. Es ist derzeit nicht absehbar, ob die Effekte dieser Rechtsetzung nur Einzelfälle oder einen größeren Bereich der Immobilienwirtschaft betreffen. Wenn es aber mehr als nur ein paar Einzelfälle sind, dann dürfte sich hier ein Dominoeffekt abzeichnen.
6. Zinsen und Inflation steigen – Geld wird (wieder) teurer. Vorgeblich getrieben durch erhöhte Energiepreise steigt die Inflationsrate in Deutschland seit Jahresbeginn (hier). Zumindest mittelfristig dürften aber auch Lieferengpässe bei wichtigen Rohstoffen und Vorprodukten (z.B. bei Halbleitern (hier)) nicht erst auf Grund der (mittlerweile beendeten) Blockierung des Suezkanals (hier) die Preise treiben. Der Boom nach Abflauen der Pandemie dürfte die Inflation weiter treiben. Mittlerweile steigen zudem (noch ziemlich unbemerkt von der breiteren Öffentlichkeit) die Zinsen. So ist der Zinssatz für zehnjährige US-Staatsanleihen von 0,53% Ende Juli 2020 auf über 1,70% Ende März 2021 gestiegen (hier). Und unabhängig davon, zu welchem Szenario dieses Inflations/Zinsgemisch letztendlich führt (Reflation, Stagflation, Deflation, s. hier), „Geld“, sprich Kredite, dürften schon jetzt teurer werden, unmerklich zunächst, aber schnell steigend.
7. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht endet (nicht?). Die aktuell gültige Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (s. dazu näher hier) endet nach derzeitigem Stand Ende April 2021. Eigentlich kann man sich den Hinweis sparen, dass diese Aussetzung nicht allgemein gilt, sondern nur (noch) für bestimmte Unternehmen, die einen Anspruch auf Überbrückungshilfe haben. Denn die seit Beginn der Pandemie ins Bodenlose fallende Zahl von Insolvenzen (s. bei mir nur hier) belegen, dass sich Geschäftsführer zu großen Teilen schlicht nicht mehr um diese Pflicht scheren. Ob nun tatsächlich 25.000 Unternehmen schlicht durch die staatlichen Hilfeleistungen am Leben gehalten werden, wie jüngst von Creditreform behauptet (hier), weniger oder gar noch mehr, ist dabei schon fast zweitrangig. Es ist schlicht undenkbar, dass es KEINEN Rückstau nicht angemeldeter Insolvenzen gibt. Und irgendwann wird hier die „Handbremse“ gelöst werden. Die Frage ist, ob die Bundesregierung – vielleicht im Angesicht des dritten Lockdowns? – die Bremse in Form der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem 30. April 2021 noch einmal anzieht – oder ob sie dem wirtschaftlichen Bereinigungsprozess seinen Lauf lässt. Wenn sie die Aussetzung der Antragspflicht nicht weiter verlängert, wird spätestens im zweiten Halbjahr 2021 die Zahl der Unternehmensinsolvenzen signifikant steigen. Die Bundesregierung wird aber die Aussetzung der Antragspflicht auch nicht über die Bundestagswahlen hinaus verlängern. Je nach Dauer des „Interregnums“ nach der Wahl könnte sich dann eine (bis dahin aufgestaute) Insolvenzwelle Bahn brechen.
Fazit: Die Bundesregierung ging bereits in einer Antwort auf eine Anfrage Ende Januar 2021 davon aus, dass die Unternehmensinsolvenzen „um eine vierstellige, gegebenenfalls sogar niedrige fünfstellige Zahl“ ansteigen könnte. Wie die Bundesregierung im Satz danach zu der Einschätzung kommt, dass bei einem Plus von 10.000 oder mehr Insolvenzen „keine massive Insolvenzwelle in der Breite der Realwirtschaft“ zu erwarten sein soll (s. hier), bleibt ein Rätsel. Denn, was wäre ein Anstieg der Unternehmensinsolvenzen um 50% gegenüber dem Vorjahr anderes, als eine Welle (s. zu den (moderateren) Schätzungen des BMWi hier)?
Egal, wie groß die Welle nun anschwillt, so viel ist klar: die Trendwende dürfte kommen, entweder ab Jahresmitte oder im vierten Quartal 2021. Diese zu verhindern dürfte – angesichts der vorgenannten Faktoren, die diese Trendwende befeuern – schwer sein, sinnvoll wäre es sowieso nicht. Die Frage ist, ob die deutsche Insolvenz- und Restrukturierungsszene – SanInsFoG hin, StaRUG her – tatsächlich auf eine auch nur mittelgroße Welle eingerichtet sind. Wahrscheinlich ja, weil bei einem Großteil der kommenden Insolvenzen jede Hilfe zu spät kommen wird, sprich, für viele (Zombie-)Unternehmen dürfte jede (Sanierungs-) Hilfe zu spät kommen. Und Liquidationen haben selten Zeitdruck. Eine andere Frage ist, ob es in der Folge – etwa durch strauchelnde Immobilienentwickler – zu einem Dominoeffekt kommen könnte, der weitere Wellen auslöst. Aber das ist Stoff für einen anderen Artikel.