Derzeit „überbieten“ sich Destatis und IWH quasi in den Zahlen: So ist laut Destatis die Zahl der Regelinsolvenzen (die auch die Unternehmensinsolvenzen beinhalten) im März zwar „nur“ um 12,3% gestiegen, allerdings ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Januar um 27,6% gestiegen, was die damaligen Zahlen des IWH (+40%, hier, für Januar) nicht in der vollen Dramatik, aber doch im Trend bestätigt. Nach dem aktuellen IWH-Insolvenztrend stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im März um 35% und liegt damit 30% über dem März-Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, also vor der Corona-Pandemie (Daten grundsätzlich jeweils im Vorjahresvergleich). Ein neuer Rekordwert, aber das IWH ist auch in froher „Hoffnung, dass die Insolvenzzahlen ab Mai wieder leicht zurückgehen könnten„.
Aktuelle Fälle
Angesichts der Vielzahl der Krisenmeldungen verliert man leicht den Überblick und auch meine nachfolgende Übersicht ist weit davon entfernt auch nur den Hauch einer Vollständigkeit anzunehmen: Wie immer liefern Juve (hier) und Finance-Magazin (hier) einen guten Überblick über das aktuelle Geschehen in Krise, Sanierung und Insolvenz:
So meldete der Matratzenhersteller Breckle meldet Insolvenz an (hier), genauso wie der Spezialist für effiziente Wasserstoffanlagen Hoeller Electrolyzer, an dem auch Rolls Royce beteiligt ist (hier). Neben den Insolvenzmeldungen beunruhigen auch die vermehrten Meldungen über bekannte Unternehmen in der Krise: So muss die bekannte Meyer Werft muss wegen finanzieller Schieflage einen Sanierer an Bord holen (hier), der Batterieproduzent Varta, der schon im letzten Jahr schwächelte (s. bei mir hier), kommt aus der Krise einfach nicht raus (hier). Nach Angaben von Textilwirtschaft steht der Modekonzern Esprit „mit dem Rücken zur Wand“ (hier). Aber auch der Telekom-Konkurrent Vodafone scheint nicht mehr so richtig rund zu laufen (hier, hier und hier). Dass die in solchen Fällen häufig erforderlichen (Finanz-)Restrukturierungen auch ohne formelle Verfahren auskommen, zeigt Hersteller von Aufzugteilen Wittur (hier).
Zahlreiche Unternehmen ziehen aber auch die Notbremse bevor überhaupt (formelle) Sanierungsmaßnahmen erforderlich werden. So verlegt TDK seine Produktion nach Asien (hier). Nachdem BASF im abgelaufenen Jahr überall Gewinn gemacht hat, nur nicht in Deutschland, werden weitere Stellen in Deutschland gestrichen (hier). Auch der Porzellanhersteller Rosenthal muss auf Grund der „wirtschaftlich angespannten Lage“ Stellen streichen (hier). Und EY scheint sich durch den eigenen Umbau schon für die Schadenersatzforderungen aus dem Wirecard-Verfahren zu wappnen (hier). Fraglich ist, ob der Verkauf der Galeria Karstadt Kaufhof Kaufhäuser an ein Investorenkonsortium (hier) ein Befreiungsschlag oder die Grundsteinlegung für eine erneute Insolvenz ist. Wir werden es erfahren.
Prognosen anderer
Laut des 24. Restrukturierungsbarometers von Finance/SMP (hier) kristallisiert sich – wenig überraschend – der Immobiliensektor als Krisenbranche Nr. 1 in Deutschland heraus (s. auch Kommentar Finance hier). Nach dem aktuellen Deloitte Restructuring Report (hier) erwarten – ebenfalls wenig überraschend – 90% der befragten Berater in nächster Zeit mehr Restrukturierungsfälle – insbesondere im Immobilien- und Automobilzuliefererbereich und im Handel. Aber auch im Gesundheitsbereich, wo Krankenhäuser im Fokus stehen. Allianz-Trade schließlich erwartet für 2024 in vier von fünf Ländern einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen (für Deutschland im Schnitt +13% (!), S. 12) über das Vor-Corona-Niveau (hier, hier und hier). Erst in 2025 soll ein gewisses Plateau erreicht werden.
Blick ins Ausland
In England und Wales stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Februar 2024 um 17% (hier). in den USA stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im März, am stärksten die Zahl der Anträge auf ein Sanierungsverfahren nach Chapter 11, nämlich um 43% (!) (hier). Zwar ist in der Schweiz die Zahl der Unternehmensinsolvenzen auch 2023 gestiegen (hier), aber gegenüber den Vorjahren deutlich weniger. Die Schweiz scheint also den Peak-Insolvenz hinter sich zu haben. Österreich dagegen verzeichnet mit einem Anstieg der Unternehmensinsolvenzen alleine im ersten Quartal 2024 um satte 27% (hier) einen seit der Finanzkrise nicht mehr gemessenen Wert.
Fazit: Die bange Frage, die auch die Wahlkämpfer der Parteien in absehbarer Zeit beschäftigen dürfte, ist, ob die Rekordzuwächse bei Unternehmensinsolvenzen tatsächlich demnächst ihren Höhepunkt erreichen werden – was das IWH ja andeutet. Ich habe da so meine Zweifel. Insbesondere sollte man auch nicht ein Abfallen der monatlichen Steigerungsraten mit einem SINKEN der Zahlen verwechseln. Schon ohne vertiefte mathematische Kenntnisse sollte jedem klar sein, dass bei einem vorherigen (starken) Anstieg des Basiswertes selbst ein geringerer PROZENTUALER Anstieg durchaus zu einer ABSOLUT größeren Zahl führen wird. Sprich, selbst wenn wir ab April „nur noch“ Anstiege der Zahl der Unternehmensinsolvenzen im einstelligen Bereichen haben sollten, so dürfte die Gesamtzahl am Ende des Jahres die Vor-Corona-Zeit locker übertreffen.
Im Gegensatz zu manch anderen Auguren (aber im Einklang mit Deloitte und Allianz-Trade) sehe ich auf nahe bis mittlere Sicht tatsächlich kein Licht am Ende des Tunnels – und zwar nicht erst seit der drohenden Eskalation im Nahen Osten seit dem Wochenende: So wird die Kredithürde gerade für kriselnde Automobilzulieferer immer höher gelegt (hier). Im Krankenhaussektor haben die Krankenkassen derweil „entdeckt“, dass bei Insolvenz Insolvenzgeld fließt – und zahlen die Pflegeanteile dementsprechend nicht mehr aus (hier). Diese Beispiele belegen, dass Restrukturierungen / Sanierungen in diesen – bereits jetzt chronisch – krisengeplagten Branchen immer schwieriger werden.
Im Zweifel benötigen wir in Deutschland aber auch dieses reinigende Gewitter, auf das ich persönlich seit 2008 warte – schon um die Zombies (aktuell hier) in der deutschen Unternehmenslandschaft ihrer kreativen Zerstörung zuzuführen.