Nachdem ich mich im letzten Monat ob teilweise fehlendem Zahlenmaterial nur in heiterem Rätselraten üben konnte (hier), kristallisiert sich mit Beginn des neuen Jahres ganz vorsichtig ein Trend zu tatsächlich höheren (Unternehmens-)Insolvenzen heraus. Allerdings nur ein sehr moderater.
So meldet Destatis nicht nur einen Anstieg von 3,1% der beantragten Insolvenzverfahren, sondern auch einen Anstieg der (eröffneten) Unternehmensinsolvenzen um 17,9% im Vergleich zum Vorjahr (hier). Damit liegt Destatis auf einer Linie mit dem IWH-Insolvenztrend, der mit 879 Unternehmensinsolvenzen nicht nur einen (weiteren) Anstieg um 23% (im Vorjahresgleich) meldet, sondern auch gleich den Jahreshöchststand an Insolvenzen von Unternehmen überhaupt. Unabhängig von Korrekturen der Zahlen aus den Vormonaten (vgl. dazu meinen Post aus dem November, hier), die Destatis liefert, muss auch ich meinen Optimismus – bzw. Pessimismus, je nach Perspektive – korrigieren, wonach ich keinen Trend zu einem auch nur nennenswerten Anstieg der Unternehmensinsolvenzen erkennen könnte. Denn sowohl die aktuellen Zahlen, als auch die vom IWH prognostizierte weitere Entwicklung deutet darauf hin, dass Deutschland Ende 2022 möglicherweise doch einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen in der auch von Creditreform geschätzten Höhe von 4% verzeichnen wird – und dass sich dieser Trend im gerade anlaufenden Jahre zunächst fortsetzen wird. Das wäre dann der erste Anstieg der Unternehmensinsolvenzen seit 2010.
Aktuelle Fälle
Wie gewohnt, liefern Finance (hier) und Juve (hier) einen guten Überblick über die heißesten Nachrichten aus der „Szene“. Dass nach dem corona-bedingten Fahrrad-Boom mit Prophete ein deutsche Fahrrad-Produzent den Gang zum Insolvenzrichter antreten muss, verwundert nicht so sehr, aber, dass es möglicherweise wegen eines Hackerangriffs unausweichlich wurde (hier), schon. Für noch höher gezogene Augenbrauen sorgt angesichts des zumindest medialen Elektro-Antrieb-Hypes die Insolvenz des Ladesäulenherstellers Compleo Charging Solutions (hier). Passt dazu, dass Varta ja derzeit auch nicht ganz rund zu laufen scheint (erneut hier). Derweil gibt es einen Käufer für den insolventen Automobilzulieferer Borgers (hier) und auch bei Galeria Kaufhof scheint sich der (nächste) Sanierungsschnitt herauszukristallisieren (hier, kritische Töne hier).
Glaubt man der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dann rollt zumindest die Krankenhaus-Insolvenzwelle an (hier). Und tatsächlich mehren sich die Meldungen über Kliniken in der Krise: Nachdem im Dezember schon Diako in die Insolvenz musste (erneut hier), muss nun die Curata-Gruppe restrukturiert werden (hier), während die Paracelsus-Klinik Bad Ems den Klinikbetrieb wegen Personalmangel (!) komplett einstellt (hier). Die nächsten Monate werden zeigen, ob es tatsächlich Einzelfälle waren, oder doch mehr Welle dahinter steckt, als in den Vorjahren. Denn seit Einführung der Fallpauschalen-Regelung im Jahre 2004 wird ein großes Kliniksterben prophezeit. Aber nun scheint das System tatsächlich an seine Grenzen zu stoßen (hier). Angesichts der immer noch hohen Energiepreise wird teilweise auch eine Welle von Zahlungsausfällen bei Stadtwerken befürchtet (hier). Ob daraus jetzt auch eine Pleitewelle von Stadtwerken folgt, wird man sehen, derzeit stützen die Kommunen ihre Stadtwerke scheinbar zum Teil mit Millionenkrediten.
Blick ins Ausland
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in England und Wales ist im Dezember 2022 um weitere 32% im Vergleich zum Vorjahr und sogar um 76% im Vergleich zu Dezember 2019 gestiegen, dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie (hier). Auch haben nach ersten umfassenden Schätzungen im abgelaufenen Jahr 50% mehr Einzelhandelsgeschäfte in England und Wales ihre Pforten endgültig geschlossen, als im Vorjahr (hier). Und das, obwohl die Wirtschaft im November, wenn auch mit 0,1% nur leicht, gewachsen war (hier). Dementsprechend düster lesen sich die Insolvenzprognosen für das gerade angelaufene Jahr (hier). Obwohl auch die Unternehmensinsolvenzen in der Schweiz im Dezember 2022 um weitere 23% anstiegen, wird dort nicht von einer Insolvenzwelle gesprochen, weil die Gesamtzahlen immer noch (weit) unter dem langjährigen Durchschnitt liegen (hier). Zu Österreich berichtet der KSV, dass die Unternehmensinsolvenzen in 2022 insgesamt um 57% zugelegt hätten.
Prognosen anderer
Der VID sieht „trotz leichter Steigerung der Unternehmensinsolvenzen keine Insolvenzwelle“ (hier, vertiefend hier). Falkensteg vermeldet für 2022 einen Anstieg der Großinsolvenzen um ein Drittel – was allerdings auch nur auf das Vorcorona führt (hier). Für 2023 erwartet Falkensteg einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen, aber keinen weiteren großen Anstieg der Großeinsolvenzen.
Fazit: Krise? Welche Krise? Möchte man in Anlehnung an den berühmten Platten-Titel von Supertramp fragen. Denn während im Ausland teils riesige Insolvenzwellen übers Land ziehen, herrscht in Deutschland – zumindest insolvenztechnisch – eitel Sonnenschein. Selbst rezessionstechnisch werden die Töne moderater. So erwartet etwa die Bundesbank nur einen „milden Abschwung“ und schon wieder steigende Wachstumszahlen im zweiten Halbjahr 2023 (hier). Bis dahin dürften die diversen Rettungspakete der Bundesregierung die meisten Unternehmensschiffe über Wasser halten. Und im Aufschwung dürfte auch keiner mehr zurückgelassen werden. Lediglich die Baubranche, die laut Destatis (oben) schon jetzt „führend“ in Sachen Insolvenzanmeldungen ist, dürfte angesichts sich abzeichnender weiter zurückgehender Bautätigkeit (s. hier) ihren Vorsprung über das Jahr weiter ausbauen.