Während sich die Medien noch mit den – frisch von Destatis (hier) gemeldeten – Zahlen für das erste (rezessive, s. hier) Quartal 2023 beschäftigen („Firmenpleiten steigen in der Rezession um ein Fünftel“ s. nur hier und hier), geht der IWH-Insolvenztrend „für die kommenden beiden Monate von stabilen Insolvenzzahlen“ aus (hier), also einer Stagnation der Zahlen auf nicht mehr ganz so niedrigem Niveau.
Tatsächlich ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im ersten Quartal 2023 um 18,2% im Vergleich zum Vorjahresquartal gestiegen. Zwar ist auch die Zahl der beantragten Regelinsolvenzverfahren (die auch Unternehmensinsolvenzen beinhalten) im Mai 2023 um 3,1% gestiegen, aber letzterer Anstieg kompensiert bei weitem nicht den Rückgang der Anträge um 14,1% im Vormonat (hier).
Aktuelle Fälle
Wie immer erlauben die Übersichten bei Finance (hier) und Juve (hier) einen guten Überblick über das aktuelle Fallgeschehen in diesem Bereich. Liest man diese Übersichten, weiß man z.B., dass Hallhuber ins „Chapter 22“ gegangen ist, aus dem Galeria Kaufhof gerade wieder entschlüpft („Chapter 33“ wann?), während der Schuhhändler Reno wohl vor dem Aus steht. Also nicht alles so Roger im Einzelhandel.
Mit dem Klinikum Bad Bramstedt schlüpft ein weiteres Krankenhaus unter den Schutzschirm (hier). Der aktuelle Krankenhaus Rating Report 2023 des RWI gibt zur Entwarnung keinen Anlass (hier): „Die wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser hat sich im Jahr 2021 wieder verschlechtert. 11 Prozent lagen im „roten Bereich“ mit erhöhter Insolvenzgefahr. Auch ihre Ertragslage hat sich negativ entwickelt, 32 Prozent der Kliniken schrieben auf Konzernebene einen Jahresverlust. Maßgeblich für die schlechtere wirtschaftliche Lage der Kliniken war der Rückgang der Ausgleichszahlungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie bei einem nach wie vor geringen Leistungsniveau der Krankenhäuser. Das deutsche Gesundheitswesen steht weiterhin vor großen Herausforderungen, für die es aktuell nicht gerüstet ist.“ Dementsprechend geht die Deutsche Krankenhausgesellschaft folgerichtig von einer Schließung von 20% der deutschen Krankenhäuser in den nächsten zehn Jahren aus (hier).
Blick ins Ausland
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in England und Wales im April 2023 fällt sowohl im Vergleich zum Vorjahr (um -15%) als auch im Vergleich zum Vormonat (um 31,8%, hier). Nachdem sich die Wirtschaft des Landes überraschend zu erholen scheint (hier), könnte tatsächlich bereits Ende des Jahres 2022 der „Peak Insolvency“ erklommen worden sein. Demgegenüber stieg die Zahl der Unternehmens-Insolvenzen in den USA über alle Verfahrensarten hinweg im Mai 2023 um jeweils deutlich mehr als 30% (hier, s. auch hier). Da werden doch nicht etwa Unternehmens-Zombies aus dem Markt gespült? Auch in der Schweiz, in der die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in den ersten fünf Monaten des Jahres um 17% stieg (hier), scheint die Insolvenzwelle noch nicht auf ihrem Peak angelangt zu sein.
Prognosen anderer
Nicht nur Capital fragt sich, „Wo bleibt die große Pleitewelle?“ (in Deutschland), hier. Zumindest nicht bei den Großinsolvenzen, die laut Falkensteg (hier) erneut stark einbrachen. Die WiWo klärt auf (hier).
Fazit: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt zwar im ersten Quartal, dürfte aber im zweiten Quartal wieder sinken (darauf deuten die derzeit wieder sehr dünnen Insolvenzreports hin, die ich jede Woche auswerte) – warum auch immer. Nach einem „stabilen“ Sommer (IWH) dürfte im Herbst allerdings auf Grund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein erneuter Anstieg der Insolvenzzahlen drohen: So fressen sich derzeit die Folgen der Inflation durch die deutsche Wirtschaft (s. dazu vertiefend hier): Zum einen steigen die Löhne und Gehälter nunmehr überproportional zur Inflationsrate an (wobei das Angebot der Lufthansa an seine Piloten von nunmehr 18% (hier) zwar atemberaubend ist, aber eine Ausnahme sein dürfte), gleichzeitig verschlechtern sich die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen – und die Kunden scheinen auch nicht mehr zu bezahlen: Laut Atradius-Zahlungsbarometer für Deutschland 2023 mussten deutsche Unternehmen in 2022 im Schnitt 8% ihrer Forderungen wegen (dauerhafter) Nichtzahlung ausbuchen, was einen Anstieg von 60% gegenüber dem Vorjahr ausmacht (hier). Auch setzt sich der Einbruch der Bautätigkeit ungebrochen fort – wie der Rückgang der Baugenehmigungen in Deutschland um fast ein Drittel im April 2023 belegt (hier). Angesichts der düsteren Prognosen nicht nur der OECD (hier) für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands erscheint folglich ein stagflationäres Szenario für 2023 nicht unwahrscheinlich. Dann aber dürfte folgerichtig die Zahl der Unternehmensinsolvenzen erneut zulegen. Tatsächlich spricht weiterhin einiges dafür, dass wir derzeit bei den Unternehmensinsolvenzen nur eine Atempause sehen – wie schon im letzten Monat angedeutet (erneut hier). Und die strukturellen Probleme gerade im Krankenhausbereich dürften uns noch weit mehr und länger beschäftigen, als uns allen lieb ist.