Unternehmensinsolvenzen im März 2023 – jetzt ist die Trendwende amtlich…

… allerdings zunächst nur für 2022, als nämlich 14.590 Unternehmen in Deutschland in die Insolvenz fielen, wie Destatis heute meldete (hier). Das entspricht einem Anstieg von 4,3% gegenüber dem Vorjahreswert, in dem mit 13.933 Fällen der niedrigsten Wert seit Einführung der Insolvenzordnung 1999 registriert wurde. Zunächst geht mein zerknirschtes Kudos an Creditreform raus, die diese Steigerung tatsächlich fast punktgenau vorausgesagt haben (und ich hier für „etwas abgehoben“ hielt).

Und die Trendwende verfestigt sich zumindest im Februar 2023: So stieg laut Destatis die Zahl der beantragten Regelinsolvenzverfahren (die auch Unternehmensinsolvenzen beinhalten) im Februar 2023 um 10,8%, laut IWH-Insolvenztrend stieg die Zahl der eröffneten Insolvenzverfahren über Unternehmen im selben Zeitraum um 7% im Vergleich zum Vormonat und um 19% im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Aktuelle Fälle

Finance (hier) und Juve (hier) liefern den gewohnt guten Überblick über das aktuell durchaus umtriebige Marktgeschehen: So geht es jetzt im Mode-Einzelhandel Schlag auf Schlag: Nach TK Fashion (hier) hat jetzt auch Peek & Cloppenburg (hier) einen Insolvenzantrag, äh Antrag auf „Schutzschirmverfahren,“ gestellt – und gleich erst mal die Führung geschasst (hier). Fraglich ist angesichts des massiven Stellenabbaus bei Galeria Kaufhof (hier), ob die Angestellten die erneute Insolvenz tatsächlich als „Neuanfang begreifen“, wie es sich die ARGE Insolvenz- und Sanierungsrecht generell im Einzelhandel wünscht (hier) – zumal der Neustart aus der Insolvenz wohl mittlerweile immer seltener gelingt (hier). Die strukturellen Veränderungen im Einzelhandel zeichnet das Manager-Magazin hier sehr gut nach, während die WiWo den Absturz von Galeria Kaufhof auch grafisch hier ansprechend aufarbeitet. Aber nicht nur der stationäre Einzelhandel, sondern auch der Online-Handel schwächelt, wie die Krise des ehemaligen deutschen Vorzeige-Startups Zalando zeigt (hier).

Doch auch im Pflegeheim-Sektor steigt die Schlagzahl: So hat sich nach Convivo (s. dazu und zu weiteren Fällen bereits hier) mit der Hansa-Gruppe jüngst der nächste Betreiber in ein Schutzschirmverfahren gerettet (hier). Grund für die wohl systemische Krise der Pflegeheimbetreiber sind insgesamt immens gestiegene Kosten (hier und hier). Die Kostenbelastung dürfte zu einem nicht geringen Teil aus der Personalnot der Betreiber herrühren (hier), der sie zum Einsatz von – gegenüber normalen Angestellten wesentlich teureren – Leiharbeitskräften treibt (hier). Von daher dürfte die Schätzung, dass sich zwei Drittel der Pflegedienste in existentieller Not befinden (erneut hier), zumindest nicht weit von der Realität entfernt sein. Ob allerdings der von der Diakonie geforderte Maßnahmen-Dreiklang von Beitragserhöhung, Steuerzuschuss und Erhöhung der Einnahmenbasis der Pflegeversicherung (hier) schon angesichts der aktuellen Inflationsrate (hier) wirklich zu einer nachhaltigen Stabilisierung des Sektors führen kann, darf getrost bezweifelt werden.

Möglicherweise weist die PPP-Vereinbarung zwischen dem privaten Klinikbetreiber Asklepios und dem Land Hessen zur Sicherung der Finanzierung des Uniklinikums Gießen Marburg (hier) nicht nur den Weg zu einer Reform im ebenfalls in einer systemischen Krise befindlichen Klinik-Bereich (hier), sondern auch für den Pflegesektor, wer weiß.

Auch wenn es trotz jahrelanger entsprechender Prognosen (auch von mir hier) immer noch nicht zu einem „perfekten Sturm“ bei den Automobilzulieferern gereicht hat (hier), dürfte Atradius in der Kunst des Understatements glänzen, wenn sie angesichts eines drohenden Verbrennerverbots  in der EU ab dem Jahre 2035 (s. hier) lediglich titelt: „Die Autobranche wird sich merklich verändern“ (hier). Diese „merkliche Veränderung“ spüren die Mitarbeiter von Frimo wohl gerade selber (hier), sie dürften damit aber nicht mehr lange allein stehen, wenn Schaeffler („Unsere nächsten Werke bauen wir in Amerika“, hier) und VW („Wir werden keine neuen Elektrofabriken in Europa bauen“, hier) deutlich zu verstehen geben, dass Sie Deutschland den Rücken kehren werden.

Nachdem zunächst Bäckereien unter den hohen Energiepreisen litten (hier), scheint es jetzt – trotz sinkender Spotmarktpreise (hier) – die Brauereien zu erwischen (hier, s. auch hier).

Blick ins Ausland

Der Blick ins Ausland zeigt zunächst das gewohnte Bild: In England & Wales steigen die Unternehmensinsolvenzen – etwas abgemildert – weiter an, diesmal um 17%,  in Österreich geht die Kurve dagegen steil – die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nahm im Februar um 42% zu (jeweils im Jahresvergleich), für die Schweiz liegen leider keine aktuellen Zahlen vor. Auch der weiter schweifende Blick ins Ausland verheißt angesichts der Pleite der Silicon Valley Bank in den USA (SVB, s. dazu hier und hier) und der Krise der Credit Suisse (hier) nichts Gutes, könnte sich hier doch eine Finanzkrise 2.0 anbahnen.

Prognosen anderer

Falkensteg lässt in seinem aktuellen Insolvenzreport noch einmal das Jahr 2022 Revue passieren und verweist u.a. auf die um 64% gestiegene Zahl von Großinsolvenzen (hier). Der Kreditversicherer Allianz Trade erwartet derweil für Deutschland eine deutlich steigende Zahl von Unternehmensinsolvenzen, nämlich um 15% (hier). Dies dürfte auch im abnehmenden Einfluss staatlicher Hilfsprogramme auf Unternehmensinsolvenzen begründet liegen, worauf der VID zu Recht hinweist (hier).

Fazit

Einen Anstieg im Vorjahresvergleich hatte es zuletzt während der Finanzmarktkrise im Jahr 2009 gegeben (+11,6 % gegenüber 2008). Seitdem ging die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Jahresvergleich stets zurück.“ (Destatis, erneut hier). Mit diesen dürren Worten fasst Destatis die Trendwende bei Unternehmensinsolvenzen nach zwölf (12 !) Jahren zusammen. Zum einen erfolgt die Trendwende allerdings auf einem historisch niedrigen Niveau, die Zunahme um ganze 657 Fälle im Jahre 2022 belegt dies. Im Jahre 2004 mit seinen fast 40.000 Unternehmensinsolvenzen wäre eine derartige Schwankung noch als Rundungsfehler abgetan worden. Vor diesem Hintergrund ist denn auch die Prognose der Allianz-Trade, wonach die Unternehmensinsolvenzen in diesem Jahr um 15% steigen werden, „relativ“ zu sehen – würde die Gesamtzahl der Unternehmensinsolvenzen in 2023 doch „nur“ um 2.188 Fälle auf 16.778 steigen. Damit wäre bei weitem noch nicht das Vor-Corona-Niveau aus dem Jahre 2019 erreicht, als 18.749 Unternehmen in die Insolvenz fielen. Verstehen Sie mich nicht falsch – zum einen stehen hinter jedem Insolvenzfall menschliche Tragödien, zum anderen dürfte die steigende Zahl von Insolvenzen die Stimmung in der Wirtschaft drücken. Aber die aktuellen wie auch die prognostizierten  Zahlen sind weit von einer „Welle“ entfernt und dürften die seit Corona vermehrt das Wirtschaftssystem aussaugende Unternehmenszombies (s. zuletzt die Studie von Kearny hier) bei Weitem nicht „ausschwemmen“. 

Gleichwohl scheint die Prognose eines weiteren – jetzt zweistelligen – Anstiegs der Insolvenzzahlen in 2023 derzeit gerechtfertigt: Allgemein dürfte den Unternehmen die Inflation (s. erneut hier) bzw. potentielle Leitzinserhöhungen zu ihrer Bekämpfung Sorgen machen: So schätzt der Focus hier die Folgen ab, sollte sich der Leitzins der EZB tatsächlich im Sommer bei 4,5% einpendeln (tatsächlich hat die EZB den Leitzins gestern um weitere 0,5% auf bis zu 3,5% angehoben (hier)). Spoiler: nicht sehr schön. Die Bauzinsen sind jedenfalls jetzt schon bei 4% (hier). Wohl nicht nur für Unternehmen „schrauben die Banken ihre Finanzierungskriterien für die Vergabe neuer Kredite weiter hoch“ (hier). Sprich, es dürfte über das Jahr gesehen, nicht nur teurer werden, an Kredite zu kommen, sondern auch schwerer. Das dürfte sich tatsächlich „positiv“ auf die Zahl der Unternehmensinsolvenzen auswirken.

Würden sich zu diesen „Sowieso-Faktoren“ noch eine aus den Bankenkrisen der letzten Woche (s. näher hier) folgende Finanzkrise 2.0 gesellen, könnte die Prognose sogar übertroffen werden: Trifft die (andere) Prognose der Allianz Trade, wonach die Energiepreise für deutsche Unternehmen im letzten Jahr um 40% gestiegen seien, die Auswirkungen aber wohl erst 2023 voll zum Tragen kommen (hier), zu, dürften sich die oben genannte Krise bei Bäckereien und Brauereien im Jahresverlauf eher noch verschärfe. Bricht sich die Lohn-Preis-Spirale weiter Bahn, wie die jüngst vereinbarte Tariferhöhung bei der Post von durchschnittlich 11,5% (hier) andeutet, dann dürfte das zudem Auswirkungen auch auf den in der Krise befindlichen Klinik- und Pflegesektor haben. Und bei Automotive und Retail hängt der Haussegen ja nicht erst seit dem aktuellen Anstieg der Inflationsrate (s. erneut hier) schief – was sich ja bereits zu Beginn dieses Jahres in erhöhten Insolvenzzahlen in diesen Branchen niederschlug.

Dementsprechend könnte sich in 2023 die Trendwende bei den Unternehmensinsolvenzen fortsetzen. Ob daraus langfristig auch eine (positive) „Zeitenwende“ für die deutsche Volkswirtschaft folgt, bleibt abzuwarten.

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