Wie schon im letzten Insolvenzreport im Dezember prophezeit – seit Anfang Januar „kreist der Hammer“ (hier), allerdings habe ich mit der bererits Mitte Januar erreichten „Schlagzahl“ dann doch nicht gerechnet. Aber zunächst mal zu den drögen Zahlen aus dem Dezember:
Nach Angaben von Destatis stieg die Zahl der Anträge auf Eröffnung eines Regelverfahrens (die auch die Unternehmensinsolvenzen beinhalten) im Dezember 2023 um weitere 12,3%. Der IWH-Insolvenztrend meldet derweil für Dezember eine Zunahme der Unternehmensinsolvenzen um ein knappes Viertel (beide Angaben im Vergleich zum Vorjahr); das war nicht nur der höchste Wert für einen Dezember seit Beginn der Datenerfassung im IWH-Insolvenztrend im Jahr 2016 überhaupt, die Zahlen lagen auch 24% über dem Durchschnitt der Vor-Corona-Jahre 2016 bis 2016. Zudem war das vierte Quartal 2023 das „insolvenzstärkste“ – normalerweise ist es das schwächste Quartal.
Diese Meldungen stimmen mit der vorläufigen Jahresauswertung der Creditreform überein (erneut hier), die bereits im Dezember von 18.100 Unternehmensinsolvenzen in Deutschland für 2023 ausgingen. Vielleicht sind es im Schlussspurt noch ein paar mehr geworden.
Aktuelle Fälle
Juve (hier) und Finance-Magazin (hier und aktuell hier) präsentieren wie immer einen guten Überblick über das aktuelle Insolvenzgeschehen. Und das hat es aktuell in sich: Nicht nur hat Galeria Karstadt Kaufhof erwartungsgemäß zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit Insolvenz angemeldet (hier und hier). Hektische Aktivitäten von Signa vor der Galeria-Insolvenz (hier) deuten das Ausmaß der tatsächlichen Krise an. Dementsprechend stellt sich auch die Frage, ob auch dieses Mal tatsächlich „aller guten Dinge drei“ sind, sprich noch einmal eine Sanierung des Warenhauskonzerns gelingen kann (kritisch hier). Auch bei der Signa-Gruppe tut sich viel: Während wird mit Tennispoint bereits die erste Signa-Gesellschaft von einem Investor übernommen wurde (hier), hat Sanierer Geiwitz die Gruppe schon wieder verlassen (hier). Und die ersten „lessons learnt“ gibt es auch schon (hier). Angesichts der Tatsache, dass der staatliche Rettungsfonds WSF durch die Galeria-Insolvenz wohl Euro 680 Mio. in den Wind schreiben darf (hier), sollte eine Lektion vielleicht sein, mit staatlichen Mitteln bei der Sanierung maroder Unternehmen nur sparsam umzugehen.
Aber auch jenseits von Signa und Galeria geht es rund: Mit Wormland (hier) und Bree (hier) mussten zwei weitere deutsche Traditionsmarken aus dem Bereich Mode / Einzelhandel die Reißleine ziehen, wenig verwunderlich angesichts eines Umsatzrückgangs im Einzelhandel um 3,1% im letzten Jahr (hier). Die vorgenannten reihen sich denn auch ein in eine illustre Reihe von Modeunternehmen, die 2023 Insolvenz beantragen mussten (hier). Bei Erfo dagegen führte ein Hackerangriff zur Insolvenz des Textilkonzerns (hier).
Die Immobilienpleite in diesem Monat wird Ihnen präsentiert von der Omega AG (hier) – immerhin 5.500 Wohn- und Gewerbeeinheiten. Nach dem Ende von „Easy Money“ kreist der Hammer aber auch bei den bislang erfolgsverwöhnten deutschen Startups (hier), die in 2023 eine Rekordzahl von Insolvenzen lieferten – und in 2024 soll es nicht besser werden.
Selbst wenn Unternehmen nicht Insolvenz anmelden, heißt das nicht, dass es keine Probleme gäbe: So stellt Uvex seine Helm-Produktion in Deutschland ein (hier). Und mit Speira (hier) und HAL (hier) beenden weitere deutsche Aluminium-Hersteller ihre Produktion in Deutschland. Mit RW Silicium droht ferner Deutschlands einzigem Silizium-Hersteller das Aus (hier) – keine guten Nachrichten für die Chip-Produktion aus Deutschland. BMW verlegt derweil die Produktion von Verbrenner-Autos nach Großbritannien, China und Österreich, während im Münchner Stammwerk ab 2027 nur noch E-Autos vom Band laufen sollen (hier). Angesichts der Bauernproteste im Land wurde zudem bekannt, dass die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe seit 2020 um 7.800 zurückgegangen ist (hier – „Höfesterben geht weiter“ die plakative Schlagzeile.
Andere Unternehmen, wie das IT- und Software-Unternehmen Softline (hier) oder das Start-up Spark (hier) versuchen, sich über ein StaRUG-Verfahren zu retten (oder Gesellschafter auszubooten?).
Derweil verklagt Wirecard-Insolvenzverwalter Jaffé EY auf Euro 1,5 MILLIARDEN Euro (hier) und ein Münsteraner Rechtspfleger wird auf Schadenersatz verklagt (hier), weil er die Insolvenzquote seit Jahren nicht ausschüttet.
Blick ins Ausland
Der Blick über die Grenze könnte den Deutschen einen kleinen Trost spenden: So deuten die ersten Schätzungen darauf hin, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in England und Wales in 2023 ein seit 1993 nicht mehr gesehenes Rekord-Niveau erreichen wird (hier). Die Unternehmensinsolvenzen in den USA haben in 2023 scheinbar um 72% (!) zugelegt (hier). Nach vorläufigen Schätzungen stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Österreich im Jahre 2023 um 13% (hier). Nur in der Schweiz sank die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im letzten Jahr wohl um -1% (hier). Treue Leser meines Postings wissen aber auch, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in den hier betrachteten Ländern bereits in 2022 stieg – so gesehen sprich einiges dafür, dass die Schweiz die Welle hinter sich hat und die USA gerade ihren „Peak“ erreicht. Wenn diese Schätzung zutrifft und Deutschland einen ähnlichen Weg gehen sollte, wie diese Staaten, dann ist „noch viel Raum nach oben“, um es mal blumig zu umschreiben.
Prognosen anderer
Dementsprechend düster nehmen sich die Insolvenzprognosen derzeit aus: so hält selbst das Dauer-optimistische Handelsblatt einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen von 30% nicht für fernliegend (hier). Falkensteg schließt sich dem an und geht gar von einem Anstieg um ein Drittel aus (hier). Auch die weit überwiegende Zahl der für das von Finance/SMP herausgegebene 23. Restrukturierungsbarometer befragten Experten gehen für die nächste Zeit von einer (stark) steigenden Zahl von Restrukturierungsfällen aus (hier).
Fazit: Der Blick auf die aktuellen Fälle in diesem Monat veranschaulicht nachdrücklicher, als der auf die nackten Zahlen, wie sehr der Hammer tatsächlich kreist. Beängstigend. Und leider sind derzeit keine Zeichen für eine Besserung in Sicht. So schrumpfte das deutsche BIP laut vorläufigen Angaben von Destatis im Jahr 2023 um -0,3%, hier. Und es dürfte auch 2024 nicht besser werden, wenn das IW Köln (hier, -0,5%) das IMK (hier, -0,3%) bereits jetzt explizit eine weitere Rezession für Deutschland im Jahr 2024 prognostizieren. Nicht umsonst habe ich bei meiner traditionellen „Jahresprophezeiung“ (hier) einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf knapp unter sieben Prozent prognostiziert. Denn die jetzt laufende Welle wird auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zeitigen – bzw. zeitigt jetzt schon, wie ein Blick auf die aktuellen Meldungen zur Kurzarbeit offenbart (hier). Denn der sprichwörtliche „Motor“ der deutschen Wirtschaft, eben Automotive dürfte (hier) ebenso, wie die Gründerszene (hier) als Generator für Innovation und Arbeitsplätze ausfallen.
Angesichts dieses eher düsteren Standes und noch düsteren Ausblicks am Ende der Futterkette der deutschen Wirtschaft mutet die Diskussion darüber, ob wir nun eine Insolvenz“welle“ (kommen) sehen oder nicht wie die Diskussion um des Kaisers Bart an. Aber seis drum, nachfolgend mein Versuch, diese Diskussion vielleicht mal zu einem Abschluss zu bringen: Nach Angaben von CRIF (hier) beträgt der „Durchschnitt seit 1999 knapp 26.200 Firmeninsolvenzen pro Jahr, wobei im bisherigen Rekordjahr 2003 die Zahl bei 39.320 lag.“ Nach Schätzungen von Creditreform gab es in 2023 einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen auf über 18.000 oder 23% mehr im Vergleich zum Jahr 2022. Damit würde die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in 2023 noch rund 8.000 unter dem langjährigen Durchschnitt liegen. Legt man diesen Maßstab an, kann man tatsächlich noch nicht von einer Welle reden. Legt man nun eine Steigerung wie 2023 auch für 2024 zu Grunde (was nach einem Blick ins Ausland zumindest statistisch nicht überproportional erscheint), würden in diesem Jahr 22.140 Unternehmen den Gang zum Insolvenzrichter antreten, rund 4.000 mehr als in 2023 und 8.000 mehr, als in 2021. Relativ zu 2021 gesehen darf man dann wohl getrost von einer „Welle“ sprechen.
Ich selber hoffe, dass es bei den prognostizierten 4.000 mehr Insolvenzen in diesem Jahr bleibt und es nicht 6.000 oder mehr werden, wie Falkensteg und das Handelsblatt prognostizieren. Und ich hoffe, dass es uns Sanierern gelingt, möglichst viele Unternehmen davon nachhaltig zu retten.