Zwar ist die Zahl der beantragten Regelinsolvenzverfahren (die auch Insolvenzen von Unternehmen beinhalten) im Juni 2022 – wie im Vormonat prognostiziert (hier) wieder gesunken, nach der aktuellen Mitteilung von Destatis um immerhin -7,6% (hier). Schaut man sich die entsprechende Grafik an, ist der (leichte) grundsätzliche Aufwärtstrend damit aber nicht gebrochen. Demgegenüber geht der IWH-Insolvenztrend von einem leichten Rückgang der Unternehmensinsolvenzen gegenüber den Vormonaten aus (hier).
Vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland (hier) kann man über diese niedrigen Insolvenzzahlen eigntlich nur den Kopf schütteln und der gerade bei den Sentiment-Indizes teils noch zu beobachtende Optimismus (ähnlich positiv argumentierend das Handelsblatt, hier, s. dagegen Henrik Müller hier) erscheint eher fehl am Platz. Berücksichtigt man dazu die nur in Deutschland und nur etwas verlangsamte weitere Steigerung der Inflation (hier, die sich laut Handelsblatt auch noch „über Jahre“ fortsetzen soll, hier), wirken diese optimistischen Erwartungen dann völlig aus der Zeit gefallen. Auch wenn die vereinfachten Bezugsregelungen für Kurzarbeitergeld noch einmal bis Ende September 2022 verlängert wurden (hier), dürfte das den weiteren Abfall der deutschen Wirtschaftsleistung nur marginal bremsen. Tatsächlich gibt es ob des aktuellen Börsenabschwungs erste Zeichen einer Krise im deutschen Sparkassensektor (hier) und die WiWo vermeldet, dass Indexfonds (ETF) in einer fallenden Börse durchaus das Zeug zum Brandbeschleuniger hätten (hier).
Das eher düstere Bild, dass die Teilnehmer einer Distressed-Asset-Konferenz neulich von der weiteren Entwicklung zeichneten (hier, „Ruhe vor dem Sturm“) erscheint deswegen weitaus realistischer. Und korreliert zumindest mit der starken Steigerung von 79% bei Unternehmensinsolvenzen in England und Wales im Mai 2022 (hier, diese internationale Entwicklung zeichnet sich seit Monaten ab, s. zuletzt erneut hier). Auch vor dem Hintergrund der inflationsbedingt steigenden Real-Zinsen dürfte die Insolvenz-„Sonderkonjunktur“ der vergangenen Jahre in Deutschland somit wahrscheinlich ihrem Ende entgegen gehen – unabhängig von zwischenzeitlichen weiteren Schwankungen.
Gewohnt prägnant fasst das Finance Magazin die Restrukturierungsnews bezüglich einzelner Unternehmen zusammen: „Die insolvente Bahngesellschaft Abellio findet einen Käufer, Schur Flexibles gehört nun einem Eigentümerkonsortium und Corestate gerät weiter in Schieflage.“ (hier). Nicht unerwähnt sollte zudem der Debt-Equity-Swap beim krisengewohnten Automobilzulieferer Leoni bleiben (hier). Die skandinavische Flugline SAS geht in den USA ins Chapter 11 (hier). Derweil muss Leyensiefer ins (deutsche) „Chapter 22“ (hier). Und nicht nur in China scheint der Immobiliensektor unter Druck zu sein, denn in Berlin meldet Terragon Insolvenz an (hier), während Evan beim AG Düsseldorf ein StaRUG-Verfahren einleitete (hier). Derweil scheint bei der Restrukturierung von Ekosem eine Beratungsfirma nicht ganz so glücklich agiert zu haben (hier).
Fazit: Der aktuelle Abwärtstrend bei den Unternehmensinsolvenzen scheint die immer noch relativ optimistische Stimmung in der Wirtschaft zu bestätigen. Dagegen steht das mittlerweile durchweg pessimistische „Sentiment“ von Krisenspezialisten (s. auch die Insolvenzprognosen von Allianz Trade und Atreus (erneut hier). Angesichts des sich zusammenbrauenden „Perfekten Sturms“ (so z.B. Soros, hier), der in seinen Konturen bereits jetzt die Dimensionen der Finanzkrise in den Schatten stellt, scheint die letztere Haltung realistischer. Somit könnten sich Marktteilnehmer und Politiker letztendlich zu lange in der falschen Sicherheit niedriger Insolvenzzahlen wiegen. Das wäre fatal.