Während es im letzten Monat noch schwer fiel, die Insolvenzzahlen zu bewerten (hier) ist in diesem Monat das „I-Wort“ in aller (Politiker-)Munde (Oder das „P-Wort“, um in der Habeck’schen Diktion zu bleiben). Wenn der Umfang des Materials, dass ich nachfolgend aufarbeite, ein Indiz für die Entwicklung in diesem Bereich ist, dann könnte uns tatsächlich ein heißer Herbst bevorstehen.
Destatis meldet für August 2022 einen Anstieg der beantragten Regelinsolvenzverfahren um 6,6% gegenüber dem Vormonat (hier), IWH gar einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen von 26%, allerdings im Vorjahresvergleich (hier). Ein Aufwärtstrend ist also deutlich erkennbar. Die Folgerung des IWH allerdings, das nunmehr von einem Anstieg der Unternehmensinsolvenzen von 25% im September und 30% im Oktober 2022 ausgeht, halte ich zunächst für mutig, denn „traditionell“ folgt die Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen keinem linearen Trend, sondern eher einem Zick-Zack-Muster (s. zur Bewertung dieses Musters bereits hier). Trifft die Prognose des IWH dagegen zu, würde dieses langfristige Muster durchbrechen, was als weiteres Indiz für eine tatsächliche Trendumkehr bei den Unternehmensinsolvenzen zu werten wäre.
Aktuelle Fälle
Alleine die Zunahme der prominenten Insolvenzfälle im Vergleich zum Vormonat stimmt bedenklich: Die Insolvenzen von Hakle (hier) und Görtz (hier) waren prominent in der Presse vertreten. Auch wenn diese Pleiten wohl nicht nur dem gegenwärtigen Energiepreisschock zuzuschreiben sind (s. zur Einordnung der Fälle hier), so dürfte dieser Umstand gleichwohl seinen Teil zur Insolvenz beigetragen haben. Bio-Märkte geraten inflationsbedingt unter Druck (hier), wie die Pleite von SuperBioMarkt zeigt (hier). An der Pleite des Automotive-Unternehmens Dr. Schneider (hier) zeigt sich auch, dass es zwar – wie im letzten Insolvenzreport beschrieben (erneut hier) – den OEMs und den Tier 1- Zulieferern vielleicht noch ganz gut gehen mag, aber dahinter sieht es schon wesentlich düsterer aus. Derweil versucht sich One Square Advisors an der Sanierung von Lichtmiete (hier) und Greenberg Traurig an der von Nuri (hier). Die Fälle sind an sich schon anspruchsvoll, das derzeit schwierige Marktumfeldes dürfte eine Sanierung zusätzlich erschweren. Gleichwohl würde ein Scheitern dieser Sanierung kein positives Licht auf den angeblich so hilfreichen Werkzeugkasten der Insolvenzverwalter werfen.
Fast noch bedrohlicher, als die aktuellen Insolvenzwelle wirken die „stillen“ Marktaustritte von Unternehmen aus Schlüsselindustrien, wie z.B. die angekündigten Werksschließungen des Autozulieferers Kostal aus dem Sauerland (hier) oder die Einstellung der Stahlproduktion in den Arcelor-Mittal-Werken in Hamburg und Bremen (hier). Es stellt sich die Frage, ob dies konkrete Zeichen einer Abwanderungs, bzw. Deindustrialisierungswelle (wie sie die WiWo hier befürchtet) sind, die auf Deutschland zurollt.
Die Finanzen der Kommunen dürften unter Druck geraten, wenn – eben häufig von Kommunen betriebene – Krankenhäuser (hier) und Stadtwerke (hier) auf Grund der explodierenden Energiekosten gleichzeitig in die Krise geraten. Eine Linderung der Not auf kommunaler Ebene wird entscheidend davon abhängen, wie gut es der Politik gelingt, die großen Energieversorger, wie Uniper (hier), VNG (hier) oder PCK Schwedt (hier) zu stabilisieren, ohne dass die Energiekosten ungebremst auf die (kommunalen) Unternehmen durchschlagen. Aber auch die Einstellung der Produktion des Dieselzusatzes AdBlue bei SKW Piesteritz (hier) angesichts des Gasmangels wäre eigentlich mehr als eine Randnotiz wert. Denn ohne AdBlue starten viele Dieselfahrzeuge – auch die für Logistik so wichtigen LKW (!) – erst gar nicht. Auf die als Folge der Energiekrise in die Krise taumelnden Branchen der Bäcker und Konditoren (hier), der Brauereien (hier) oder der chemischen Industrie (hier) will ich an dieser Stelle gar nicht näher eingehen. Die daraus resultierenden Probleme sind sozusagen selbsterklärend.
Prognosen
Angesichts der aktuellen Lage verwundert die starke Zunahme von Prognosen zur Insolvenzentwicklung nicht, noch weniger das Ergebnis – es wird allseits von steigenden Fallzahlen ausgegangen, wie die Studien von Kearny (hier), Atreus (hier), BakerTilly (hier) oder Falkensteg (hier). Einig ist man sich mithin, dass die „Ebbe vorbei ist“ (hier), eine Pleitewelle wird allerdings nicht erwartet (s. auch hier), eher geht man von einer Normalisierung des Insolvenzgeschehens auf das vor-Corona-Niveau aus (hier).
Dass auf die vormalige Ebbe zumindest kurzfristig nicht gleich eine Welle folgt, wird allerdings maßgeblich von der Effektivität der von der Politik eingeleiteten Gegenmaßnahmen abhängen. Derzeit orientiert sich die Politik dabei an den Maßnahmen, zu der sie auch zu Hochzeiten von Corona gegriffen hat: So hat Bundesarbeitsminister Heil angesichts der befürchteten Winter-Rezession bereits die erneute Verlängerung des vereinfachten Zugangs zum Kurzarbeitergeld angekündigt (hier) und die Bundesregierung plant eine erneute Verkürzung des Prognosezeitraums beim Tatbestand der Überschuldung nach § 19 InsO von zwölf auf nur noch vier Monate (hier), um der aktuellen Unberechenbarkeit auf den Märkten Rechnung zu tragen. Gleichhzeitig wird – zur Vermeidung von Insolvenzen – wieder fleißig verstaatlicht, nur dass die Objekte staatlicher Begierde nicht, wie bei der Finanzkrise, Commerzbank oder Hypo Real Estate, oder, wie bei Corona, Lufthansa, heißen, sondern Uniper (hier).
Sprich, die Gießkanne wird wieder herausgeholt – keiner wird zurückgelassen, wie der Bundeskanzler immer so schön erklärt. Dabei verstellen die zuvor genannten Krisenfälle möglicherweise den Blick darauf, dass es selbst in dieser Krise durchaus Gewinner gibt: So dürfte zumindest für 15 der 40 DAX-Unternehmen 2022 ein (weiteres!) Rekordjahr werden (hier), alleine der im DAX notierte Henkel-Konzern erhöhte jüngst seine Wachstumsprognose für 2022 auf 7,5% (hier). Auch sollte nicht vergessen werden, dass die DAX-Konzerne in diesem Jahr Rekord-Dividenden ausgeschüttet haben (hier). Zumindest die brauchen keine Hilfen.
Der Blick ins Ausland zeigt allerdings, dass man nicht zu viel Hoffnung auf die Krisengewinner setzen sollte, denn dort rollt die Insolvenzwelle auch im August 2022 teils ungebremst über das Land, wie die Zunahme der Unternehmensinsolvenzen in England und Wales um 43% (hier) oder in der Schweiz um 37% (hier, jeweils im Vorjahresvergleich) anschaulich belegt. Und es wird sich noch zeigen müssen, ob das von der neuen britischen Premier-Ministerin Truss angekündigte Hilfspaket im Volumen von GBP 197 Mrd. (hier) tatsächlich zumindest die Insolvenzwogen glätten kann.
Fazit: Angesichts der obigen Ausführungen mutet die Schlagzeile der Welt – „Inflationswelle oder Massenpleite – ein Szenario wird Deutschland erwischen“ (hier), schon fast optimistisch an. Denn auch ein Szenario, bei dem man das „oder“ durch ein „und“ ersetzt, erscheint nicht unmöglich, vielleicht nicht einmal unwahrscheinlich. Mittlerweile hat mit der Inflation nämlich ein weiterer – bei Corona noch nicht wirkender – „Player“ das Spielfeld betreten (s. aktuell dazu hier). Während die Hilfspakete zu Corona-Zeiten zumindest bezüglich der Inflationsentwicklung auf ein ceteris paribus Szenario trafen, könnten die jetzigen Hilfen damit sogar als Brandbeschleuniger der Inflation wirken. Dass eine galoppierende Inflation zumindest zunächst nicht unbedingt zu gleichfalls steigenden Insolvenzzahlen führen muss, zeigt ein Blick auf die Verhältnisse in der Weimarer Republik 1923 (hier).
Politik und Zentralbanken können vielleicht mit Hilfspaketen ein letztes Mal eine Pleitewelle verhindern, allerdings wohl nur zum Preis einer stark steigenden Inflation. Der erneute Blick ins Ausland zeigt aber, dass selbst das kein Automatismus ist: Schaut man sich die Schweiz an, so hat sie augenscheinlich den Weg gewählt, eine Pleitewelle als Preis für eine relative Preisstabilität hinzunehmen (die Inflationsrate in der Schweiz beträgt aktuell 3,5%, hier). Demgegenüber erlebt das Vereinigte Königreich gerade Inflationswelle UND Massenpleiten (die Inflationsrate in England und Wales liegt aktuell bei 9,9% (s. erneut hier). Sprich, die Engländer haben zumindest bis jetzt das oben genannte „oder“ durch ein „und“ ersetzt.
Angesichts der jüngsten IWH-Zahlen und Prognosen würde es mich also nicht überraschen, wenn Deutschland den selben Weg geht, wie England, zumal mit dem Wissen um die EZB-Politik, die geneigt ist, finanzschwachen Ländern, wie Italien, beständig unter die Arme zu greifen. Augenscheinlich setzt auch die deutsche Politik erneut auf dieses „bewährte“ Mittel und dürfte – wie die obigen Ausführungen zeigen – die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern der Krise dadurch im Zweifel noch verschärfen. Den oben genannten Krisengewinnern dürften nämlich unzählige (und schon deswegen gesichtslose) Mittelständler gegenüber stehen, die – ebenfalls wie zu Corona-Zeiten – still aus dem Markt ausscheiden werden, etwa, weil sie schlicht keinen Strom mehr bekommen (hier und hier). Sprich, vielleicht fehlt uns sogar eine Insolvenzwelle als Krisenindikator dafür, dass sich Deutschland gerade in rasender Geschwindigkeit de-industrialisiert. Der etwas unglückliche Auftritt von Herrn Habeck bei Frau Maischberger am 6. September 2022 (s. zugespitzte Kommentierung seiner Aussage bei Bild hier) weist in diese Richtung. Und das wäre noch viel gefährlicher, als eine Pleitewelle je sein könnte.
Bonmot: „Hätte doch nur jemand #Hakle und #Görtz rechtzeitig gesagt, dass es gar nicht nötig ist Insolvenz anzumelden. Es hätte vollkommen gereicht einfach aufzuhören zu verkaufen.“ – Miss Schniggi, via Twitter, hier