Nicht nur, dass die Zahl der Regelinsolvenzen im August 2023 laut Destatis um 13,8% im Vorjahresvergleich stieg, die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nahm im 1. Halbjahr 2023 sogar um über 20% im Vergleich zum Vorjahr zu. Der gegenüber Destatis etwas schnellere IWH-Insolvenztrend meldet zwar einen leichten Rückgang der Unternehmensinsolvenzen von 2% im August – allerdings nur im Vergleich zum Vormonat. Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen demnach um 40% (ja, richtig gelesen, um vierzig (!) Prozent).
Aktuelle Fälle
Einen wie immer guten Überblick über die aktuelle Fall-Lage bringen Juve (hier) und das Finance-Magazin (hier). Die Automotive-Fälle des Monats betreffen zum einen den Werdohler Alufelgenproduzent Superior Industries Production Germany (SPG), der sich in ein Schutzschirmverfahren flüchtete (hier). Der Felgenhersteller hat als ATS (hier) und Uniwheels (hier) schon einige Krisen hinter sich (s. auch hier). Mal schaun, wie es diesmal ausgeht. Zum anderen hat es den auch nicht ganz unbekannten Automobilzubehör-Produzenten Kamei erwischt (hier). Nach Madeleine im letzten Monat mussten aktuell auch die Versandhändler Klingel und Deerberg Insolvenz anmelden (hier). Auch Tchibo steckt tief in der Krise des Einzelhandels (hier) – aber noch wird fleißig saniert. Die Immobilienentwickler-Pleiten des Monats werden heuer geliefert von der Gerch Group (hier und hier) und dem Entwickler des Ku’damm-Prestigeprojekts „Fürst“ (hier). Die Pleite des Spielzeugerstellers Haba zeigt die Tücken auf, die mit der Umstellung von IT-Systemen einher gehen können (hier). Aber auch der Telefonhersteller Gigaset musste Insolvenz anmelden (hier). Dass unentdeckte, systematische Kriminalität ein Unternehmen in die Krise stürze kann, belegt anschaulich Aurubis (hier). Dass es aber auch in diesen schwierigen Zeiten noch Zeichen der Hoffnung geben kann, belegt der nunmehr von den Gläubigern akzeptierte Insolvenzplan für P&C (hier), aber auch die ersten Sanierungsschritte bei Social Chain (hier), wobei man aber auch nicht übersehen sollte, dass in beiden Fällen die Eigentümer noch einmal oder schon jetzt nicht unerheblich Gelder einschießen mussten.
Blick ins Ausland
England verzeichnete im Juli 2023 einen starken Anstieg der Zwangsliquidation von Unternehmen um 81% (hier, im Vorjahresvergleich). Während die Sanierung von Wilko (Wilkinson) vorerst gescheitert ist (hier), legt Tupperware einen Restrukturierungsplan vor (hier). Derweil scheinen einige Gemeinden im Vereinigten Königreich insolvent zu sein (hier).
Der Anstieg der Anträge auf ein Chapter 11-Verfahren in den USA ist schon fulminant – während im ganzen Jahr 2022 103 derartige Anträge gestellt wurden, waren es im ersten Halbjahr 2023 bereits 100, wobei der potentielle Schaden für die Gläubiger sich fast halbiert hat (hier).
Während aus der Schweiz noch keine aktuellen Zahlen vorliegen, meldet Österreich einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen um 10% in den ersten neun Monaten von 2023 (gegenüber dem Vorjahr), wobei der Anstieg gegenüber dem Vor-Corona-Jahr nur 2,6% beträgt (hier). Nach wie vor wird in Österreich keine Insolvenzwelle gesehen.
Prognosen anderer
Nachdem das IWH in den letzten Monaten eher von wieder zurückgehenden Fallzahlen ausging, schließt es nun angesichts steil steigender Frühindikatoren stark steigende Fallzahlen im 3. Quartal nicht mehr aus (erneut hier). Auch der Anstieg der Großinsolvenzen um 37%, den Falkensteg vermeldet (hier), passt in das sich abzeichnende Bild. Die aktuelle Roland Berger-Restrukturierungsstudie liegt derzeit exklusiv nur der WiWo vor (hier), so dass die Auswertung noch auf sich warten lässt, aber die WiWo lässt schon raus, dass auch die befragten 650 Experten wohl eher schwarz sehen.
Fazit: Zieht man nur den Vormonatsvergleich des IWH für August zu Rate, dann hatte der IWH durchaus Recht mit seiner Prognose im Juni, als er „für die kommenden beiden Monate von stabilen Insolvenzzahlen“ ausging (hier), die Vergleiche mit den jeweiligen Vorjahreszahlen zeichnen alleine auf Grund der Steilheit des Anstiegs der Fallzahlen allerdings schon ein ganz anderes Bild – nämlich das einer beginnenden „Insolvency Wall“. Dementsprechend sind die eher zurückhaltenden Prognosen der vergangenen Monate tatsächlich schon jetzt – wie von mir hier bezweifelt – Makulatur. Und angesichts der rezessiven Tendenzen der deutschen Wirtschaft (hier) und der nicht wirklich sinkenden Inflation (hier) dürfte die Zahl der Unternehmensinsolvenzen weiter steigen.
Dazu beitragen dürften auch etliche verschärfte Rahmenbedingungen: So dürfte sich die Entwicklung am Immobilienmarkt auch auf Grund von Bewertungsvorschriften noch verschärfen (hier). Zu diesem Umstand addieren sich generell steigende Refinanzierungskosten – wie man an den steigenden Zinsen für Bundesanleihen sehen kann (hier). Wenn dann schon die Platzierung einer Anleihe für den Pharmakonzern Sartorius mit einem Zinssatz von 4,3% bis 4,9% als Erfolg gefeiert wird (hier), dann ahnt man, was auf einen normalen Mittelständler zukommen wird. Einzig der Umstand, dass es dann wohl endlich auch die Unternehmens-Zombies aus dem System spülen dürfte (hier), gibt einem ein bisschen Hoffnung.