Einerseits gilt die Bestellung des Verwalters spätestens seit Ernst H. Jäger als „Schicksalsfrage“ des Insolvenzverfahrens. Hängt doch für die Gläubiger daran maßgeblich die Quote, auf die sie noch hoffen dürfen. In Zeiten sinkender (profitabler) Insolvenzverfahren und auch deswegen stetig steigenden Konkurrenzdrucks wird die Bestellung für nicht wenige Verwalter mittlerweile selbst zur wirtschaftlichen Schicksalsfrage. Dementsprechend umkämpft sind die Kritierien, nach denen ein Verwalter zu bestellen ist. Die Gerichtspraxis hatte sich nach einer Grundsatzentscheidung des BVerfG aus dem Jahre 2006 mit sog. „Vorauswahllisten“ beholfen. Der BGH hat sich in einer Entscheidung aus dem Januar 2022 nun über bestimmte Aspekte dieser Vorauswahllisten ausgelassen. Die Implikationen der Entscheidung sollen nachfolgend kurz skizziert werden.
Nach § 56 InsO ist zum Insolvenzverwalter „eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen„. In der Gerichtspraxis hat sich dazu die Führung von sog. „Vorauswahllisten“ herausgebildet, die aus Bewerbern für das Amt zusammengestellt und für die Bestellung im konkreten Verfahren herangezogen wird. Das Insolvenzgericht Berlin hatte dazu eine Liste erstellt, die an Hand der Verfahrensart (mehr oder weniger als 20 Unternehmensinsolvenzen / nur Verbraucherinsolvenzen) und – basierend auf „allgemeinen“ und „verfahrensbezogenen“ Einzelmerkmalen – eine Gesamtbewertung an Hand einer Punktevergabe berechnete.
Der BGH hat dieses Punktesystem für rechtswidrig erklärt, weil schon die Basis der Punktevergabe, nämlich die vom einzelnen Bewerber schlussgerechneten Verfahren, keine Vergleichsgrundlage bilden könne. „Die Punktbewertung ermöglicht nur dann einen Vergleich zwischen den Bewerbern, wenn die Gesamtzahl der von einem einzelnen Bewerber schlussgerechneten Verfahren sich aus Verfahren zusammensetzt, die statistisch dem Durchschnitt aller Insolvenzverfahren entspricht oder wenn die Besonderheiten der von einem Bewerber bearbeiteten Verfahren berücksichtigt werden. Weder das eine noch das andere ist bei der Art der Vorauswahlliste des Antragsgegners gewährleistet.“ (s. Rz 85) Unabhängig davon könnte man sich zudem die Frage stellen, wie die jeweiligen Punkte vergeben werden und wie die Gewichtung der einzelnen Merkmale innerhalb des Punktesystems erfolgt.
Fazit: Die Frage ist nun, ob damit das System der Vorauswahllisten an sich „gestorben“ ist oder nur die konkret in Berlin ausgebildete Form. Die Diskussion läuft derzeit und dürfte angesichts des Projekts einer bundeseinheitlichen Vorauswahlliste (s. nur hier) noch an Schwung gewinnen. Wie oben skizziert, sieht der BGH zumindest ein Punktesystem, welches auf eigentlich nicht vergleichbaren Grundlagen beruht, als rechtswidrig an. Im Umkehrschluss sollte zumindest ein System, das auf den vorgenannten „allgemeinen“ und „verfahrensbezogenen“ Merkmalen besteht, nicht per se unzulässig sein. Derartige Systeme sind in Form von Kennzahlensystemen schon seit Jahren im Einsatz (s. beispielhaft den Bericht von Deloitte über die Tätigkeit von Rombach Rechtsanwälte Insolvenzverwalter, hier).
Dabei soll nicht verkannt werden, dass ein Kennzahlensystem – egal welcher Prägung – immer bestimmte individuelle Aspekte ausblenden wird und entsprechend Ungerechtigkeiten bei zukünftigen Verwalterbestellungen nicht fernliegend sind. Grundsätzlich könnte man diesen Einwand auch bei Bonussystemen in Wirtschaftsunternehmen vorbringen – diese Bonisysteme basieren ebenfalls auf Kennzahlensystemen. Gerechtigkeit auf Einzelfallebene kann in Unternehmen durch personalisierte Entscheidungen von Geschäftsführern oder Abteilungsleitern wieder hergestellt werden. Den Insolvenzgerichten kommt schon jetzt eine ähnliche Rolle bei der Verwalterbestellung zu. Auch sie müssen auf individueller Ebene ausgleichen. Dementsprechend dürften Kennzahlensysteme – ähnlich der Demokratie aus Sicht von Winston Churchill – zunächst zwar als die schlechteste aller Bewertungsformen erscheinen – abgesehen von allen anderen. Zudem, bieten den Vorteil der Vergleichbarkeit auch für die wirklichen „Kunden“ des Insolvenzverwalters – die Insolvenzgläubiger. Die können dann nämlich bestimmte Qualitäten der Verwalter erkennen und vergleichen.
BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04
BGH, Beschluss v. 13.01.2022 – IX AR(VZ) 1/20