Ausgerechnet mit Vorschlägen einer enttäuschten EU-Kommission könnte die Diskussion über die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens in Deutschland unerwartet neuen Schwung bekommen.
Bereits der Koalitionsvertrag aus dem Jahre 2009 sah die Schaffung eines vor der Insolvenz greifenden „Reorganisationsverfahrens“ vor (S. 18). Nachdem zunächst tatsächlich die Schaffung eines „vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens in der Fachwelt (s. hierzu auch Beissenhirtz, ZInsO 2011, 57) und in der Politik (z.B. im Rahmen eines gemeinsamen Kolloquiums des BMWi / BMJ) diskutiert wurde, schwenkte die Diskussion dann recht zügig um – hin zu einer Modifizierung bestimmter Ansätze der InsO durch das ESUG. Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren verschwand in der Versenkung.
Schaut man allerdings auf die wichtigsten „Kennziffern“ des ESUG – Zahlungsquote für die Gläubiger, Anzahl der Eigenverwaltungen, Anzahl der Insolvenzplanverfahren – so lassen die erhofften Erfolge der Reform (zumindest noch) auf sich warten: Zwar liegt die Deckungsquote im Rahmen von Insolvenzplanverfahren mittlerweile (je nach Untersuchung) zwischen 11 % und 14 % (im Regelverfahren lediglich bei die 5 %) – aber die Zahl der durch einen Insolvenzplan sanierten Unternehmen liegt immer noch bei rund zwei Prozent (s. hierzu die Insolvenzstatistik von Schultze & Braun). Auch die Anzahl der Eigenverwaltungen stagniert im Durchschnitt bei 2,7 % (s. BCG-Studie, S. 14) aller Verfahren. Viel eklatanter ist aber, dass bis zu 40 % aller in Eigenverwaltung begonnen Verfahren dann doch in das sog. „Regelverfahren“, also ein Verfahren unter Leitung eines Insolvenzverwalters überführt werden. Schon letzteres spricht nicht gerade für eine Stärkung der Sanierungskultur in Deutschland und damit für einen Erfolg des ESUG.
Dementsprechend mehrten sich in letzter Zeit kritische Stimmen zum ESUG (s. INDAT-Report 6/2013 oder Eidenmüller). Unerwartete Schützenhilfe für einen erneuten Antritt für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren könnte nun ausgerechnet von der Europäischen Union kommen. Die Kommission äußert sich in einer am 30. September 2015 veröffentlichten Auswertung zunächst enttäuscht über die nur teilweise Umsetzung ihrer im Jahre 2014 ausgegebenen Empfehlungen für einen „präventiven Restrukturierungsrahmen“ zur Vermeidung von Insolvenzen. Als Konsequenz kündigt sie im Rahmen eines „Aktionsplans zur Verwirklichung einer Kapitalmarktunion“ die EU-weite Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens durch einen (für die Mitgliedsstaaten bindenden!) Legislativentwurf im vierten Quartal 2016 an (s.hier, S. 25).
Da der Legislativentwurf höchstwahrscheinlich auf den in 2014 ausgegebenen Empfehlungen beruhen wird, nachfolgend eine kurze Zusammenfassung der zentralen Punkte:
- Die Einleitung des Verfahrens soll möglich sein, „sobald offensichtlich ist, dass die Möglichkeit einer Insolvenz besteht.“
- Wesentliche Entscheidungen, wie der Zustimmung zu einem Restrukturierungsplan oder einem Moratorium, soll ein Gericht am Verfahren beteiligt werden. Grundsätzlich soll aber der Schuldner die Kontrolle über „sein“ Unternehmen behalten.
- Ein „Beauftragter“ zur Wahrnehmung der Rechte bestimmter Gläubiger oder ein „Moderator“ für die Begleitung der Restrukturierungsverhandlungen soll nur einzelfallbezogen und nur durch gerichtlichen Beschluss bestellt werden.
- Auf Antrag des Schuldners kann ein Gericht ein Moratorium für vier bis zwölf Monate verfügen.
Wenn man für die Bewertung (jeglicher Sanierungen und Sanierungsverfahren) die Äußerung des früheren Bundeswirtschaftsministers Brüderle zu Grunde legt, so muss eine Sanierung „früh, schnell und still“ erfolgen. ESUG-Verfahren sind im Regelfall schon nicht still und auch nicht schnell – wie aktuell der Fall Kettler zeigt. Die Frage ist, ob ein weiteres formelles Verfahren mit den vorgenannten Eckpunkten diese Kriterien erfüllen wird. Unabhängig von verfassungsrechtlichen Zweifeln (ist der Eingriff in verfassungsrechtlich garantierte Gläubigerrechte außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens möglich?) kommt es bei Sanierungen eher auf ein funktionierendes Geschäftsmodell und ein betriebswirtschaftlich sinnvolles Sanierungskonzept denn auf ein bestimmtes Verfahren an (s. hierzu auch CIC-Findings 2/2016). Zwar mag ein zusätzliches Sanierungsverfahren auch wieder die Sanierungschancen verbessern – schon auf Grund der bisherigen Erfahrungen ist davon auszugehen, dass diese Verbesserungen nur in Großverfahren zum Tragen kommen werden. Ferner wird abzuwarten bleiben, inwieweit eine solche Reform lediglich zu einer „Ausweitung der Kampfzone“ für Insolvenzverwalter – und damit wiederum zu einem Insolvenzverfahren führen wird. (BZ)
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