„Pünktlich“ zur bevorstehenden Wirtschaftskrise (s. nur hier) erweitern die Obergerichte die Pflichten von Beratern im allgemeinen und Rechtsanwälten im Besonderen. Nachdem der IX. Zivilsenat mit einem Urteil aus dem Januar 2017 bereits die Haftung von Steuerberatern im Hinblick auf unterlassene Warnungen vor Insolvenzgründen verschärft hatte (s. vertiefend hier), wendet er sich nun den Anwälten und den von ihnen zu beachtenden Sorgfaltspflichten zu. Kurz danach hat das OLG Bamberg dann in ähnlicher Manier zu den Sorgfaltspflichten eines Sanierungsberaters geurteilt. Die zumeist stringenten Urteile ergänzen sich und sind wegweisend für die Beratungspraxis im Falle von Unternehmenskrisen.
Einbeziehung von (faktischen) Geschäftsleitern in den Schutzbereich des Mandatsvertrages
Während im vorgenannten Urteil des BGH aus dem Jahre 2017 der Steuerberater vom Insolvenzverwalter des Unternehmens wegen Verletzung seiner Pflichten aus dem vom Unternehmen erteilten Steuerberatungsauftrag (direkt) in Regress genommen werden konnte, betreffen die vom BGH und dem OLG Bamberg entschiedenen Fälle den Regress von (faktischen) Geschäftsführern des Unternehmens gegen den Berater. Dieser Personenkreis ist bei Mandatierung durch das Unternehmen nicht direkter Mandant des Beraters, hat also keine originären Regressansprüche gegen den Berater.
BGH und OLG Bamberg entschieden nun, dass der Geschäftsführer in den Schutzbereich einer allgemeinen „expliziten Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund“ (BGH, aaO, Rn. 14) gelangen kann, bzw. dass er „aufgrund § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. mit der Frage der Insolvenzreife der GmbH in gleicher Weise in Berührung [komme] wie die GmbH als Auftraggeber selbst, weshalb der Begutachtungsvertrag nach IDW S6 – Standard Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers“ entfalte. Die dogmatische Herleitung dieser Schutzbereichserstreckung auf die Geschäftsleiter des Unternehmens ist durchaus nachvollziehbar. Weniger nachvollziehbar erscheint die Erstreckung des Drittschutzes auf faktische Geschäftsführer – auch wenn der BGH in seiner kurzen diesbezüglichen Begründung (BGH, aaO, Rdn. 27) ausführt, dass der Rechtsberater mit dem Vorhandensein eines faktischen Geschäftsführers nicht ohne weiteres rechnen muss. Die Einbeziehung des faktischen Geschäftsführers in den Schutzbereich des Vertrags setze daher zusätzlich zumindest die Erkennbarkeit seiner Existenz für den Rechtsberater voraus. Denn die Rechtsfigur des faktischen Geschäftsführers wurde – wie der BGH auch ausführt – geschaffen, damit faktisch handelnde Personen sich ihrer Haftung nicht entziehen können. Warum diese dann in den Schutzbereich von Regeln aufgenommen werden, die für sich an geltendes Recht haltende Personen geschaffen wurden, erschließt sich zumindest nicht ohne weiteres.
Konkretisierung der Warnpflichten
Wenn ein Unternehmen den Berater mit der Beurteilung oder Bearbeitung einer Krisensituation betraut, folgt laut BGH (Rz. 22) aus der Beauftragung zunächst ein Näheverhältnis der Hauptleistung zu den nunmehr in § 1 StaRUG rechtsformübergreifend zusammengefassten Pflichten zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement, die wie die Insolvenzantragspflicht aus § 15a Abs. 1 InsO den Geschäftsleiter treffe. Treten während der Bearbeitung eines solchen Mandates die Voraussetzungen für die Hinweis und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund ein, soll sich der Schutz dieser (Neben-)Pflicht auf den (faktischen) Geschäftsführer erstrecken, weil die ihn treffende Insolvenzantragspflicht und die bei ihrer Missachtung drohenden Haftungsfolgen einen hinreichenden Bezug zur geschuldeten Hauptleistung aufweisen (arg ex contrario BGH, Rz. 21). Auf den Punkt gebracht trifft den „Berater“ im Rahmen einer Beauftragung zur Bearbeitung einer Krisensituation des Unternehmens die Pflicht, die (faktische) Geschäftsleitung auf die Möglichkeit des Vorliegens von Insolvenzgründen und die daraus resultierenden ggf. vorliegenden Antragspflichten hinzuweisen.
Der BGH schränkt den Pflichtenkreis in der Folge wieder etwas ein, indem er (Rz. 23) ausführt, dass „die Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund nur unter engen Voraussetzungen eingreift. Geschuldet sind Hinweis oder Warnung erst, wenn dem Berater der mögliche Insolvenzgrund bekannt wird, dieser für ihn offenkundig ist oder der Insolvenzgrund sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängt. Die bloße Erkennbarkeit reicht nicht aus. Ferner muss der Berater Grund zu der Annahme haben, dass sich der Geschäftsleiter nicht über den möglichen Insolvenzgrund und die daraus folgenden Handlungspflichten bewusst ist. Zudem erfordert die Hinweis- und Warnpflicht keine eigenständige Prüfung oder Ermittlung des Insolvenzgrundes.“ Auf Grund der bisherigen Tendenz des XI. Zivilsenats, die Nachweisführung für die entsprechenden Berater relativ hoch zu hängen (vgl. dazu die Ausführungen hier) dürfte es für Berater aber angezeigt sein, die Warnung eher früh, möglichst formell und unter Nachweis zu erteilen, dass der Geschäftsleiter sie aufgenommen und verstanden hat.
Für den mit der Erstellung einer Sanierungsbegutachtung nach IDW S6-Standard beauftragten Unternehmensberater gehört es nach dem OLG Bamberg (Leitsatz) zu den Kernanforderungen an den Gutachter, in einer Form auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen, die geeignet ist, die verantwortlichen Personen zur Einleitung der insolvenzrechtlich erforderlichen (Eil-)Maßnahmen anzuhalten. Dies ergibt sich – worauf das OLG Bamberg in RZ. 22 zu Recht hinweist – bereits aus den Regularien des IDW S6-Standards selbst.
Für die Berufsgruppen der Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ist diese Pflicht außerhalb einer konkreten Krisensituation zudem nunmehr in § 102 StaRUG festgeschrieben, soweit sie mit der Erstellung des Jahresabschlusses der Gesellschaft beauftragt sind. Insoweit betrifft schon die Warnpflicht selber eine Nebenpflicht, denn die Hauptpflicht besteht ja in der Erstellung des Jahresabschlusses.
Das OLG Bamberg weist zudem darauf hin, dass „ein Sanierungsberater mit spezifischen Fachkenntnissen bei umfassender Beauftragung nach IDW S6-Standard ein besonderes Vertrauen in Anspruch [nimmt], wie es wirtschaftsprüfenden Professionen mit besonderem gesetzlich geregelten Haftungsregime entgegengebracht wird. Eine klauselmäßige Beschränkung dessen Haftung für eine Verletzung der zentralen Hauptpflichten auf grobe Fahrlässigkeit neben einer höhenmäßigen Beschränkung benachteiligt den Auftraggeber unbillig und ist wegen Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben gem. § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB unwirksam.“ (Leitsatz)
Fazit: Für alle beratend tätigen Berufsgruppen – Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater – dürfte nunmehr gelten, dass sie im Rahmen einer Mandatierung zur „Beurteilung oder Bearbeitung einer [wirtschaftlichen] Krisensituation“ (Hauptleistung) die drittschützende Nebenpflicht trifft, „in einer Form auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit [oder Überschuldung] hinzuweisen, die geeignet ist, die verantwortlichen Personen zur Einleitung der insolvenzrechtlich erforderlichen (Eil-)Maßnahmen anzuhalten.“ Eine Beschränkung der Haftung für eine fehlende Beratung dürfte nur in den vom OLG Bamberg aufgezeigten Grenzen möglich sein.
Klar ist ferner, dass sich Warnpflichten auf jeden Fall ergeben, wenn Indizien für das Vorliegen von Insolvenzgründen vorliegen. Die Krux des BGH-Urteils liegt allerdings darin, dass er es in Bezug auf andere Anlässe, die eine Warnung erfordern könnten, bei der folgenden, mehr als sibyllinischen Ausführung belässt (Rz. 22):
„Ob Haftungsfolgen aus der Verletzung von Pflichten zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement wie die Folgen einer Missachtung der Insolvenzantragspflicht im Fremdinteresse angeordnet sind und sich deshalb ein Drittschutz auch insoweit ergeben kann, muss nicht entschieden werden. Das erforderliche Näheverhältnis besteht jedenfalls im Blick auf die Insolvenzantragspflicht, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Krise der Gesellschaft regelmäßig in Betracht zu ziehen ist.“
Der BGH verweist in Bezug auf die „Verletzung von Pflichten zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement“ selber explizit auf die nunmehr in § 1 StaRUG rechtsformübergreifend statuierte Pflicht zur Implementierung eines Risikofrüherkennungssystems (s. dazu näher hier). Folglich kann nicht ausgeschlossen werden, dass Berater, deren Hauptpflicht sich gerade auf Risikoaspekte des Unternehmens bezieht (Compliance?) möglicherweise eine Nebenpflicht trifft, zu warnen, wenn sie erkennen, dass ein Risikofrüherkennungssystem im Unternehmen nicht oder nicht in adäquater Form vorhanden ist.
Entgegen der Ansicht einiger Kommentierungen zu dieser Entscheidung (s. z.B. hier) dürfte es für die Beurteilung, ob der (Neben-)Pflichtenkreis zur Insolvenzwarnung eröffnet ist, dagegen nicht darauf ankommen, dass der jeweilige Berater „regelmäßig“ berät. Denn sowohl BGH als auch OLG Bamberg stellen auf die (jeweilige) Hauptleistung ab. Liegt die etwa in der regelmäßigen Durchsetzung von Forderungen des Mandanten (etwa auf Zahlung von Kaufpreisen nach Abschluss von Kaufverträgen im Einzelhandel), so dürfte alleine aus der Regelmäßigkeit der Mandatierung zunächst keine Warnpflicht folgen (s. dazu auch beim BGH-Urt. Rz. 21). Vor dem Hintergrund der – auch hier wieder ersichtlichen – beständigen Erweiterung der Sorgfalts- und damit Haftungspflichten durch die Rechtsprechung sollte aber auch ein „regelmäßig“ tätiger Berater schon aus Gründen des Selbstschutzes – eben – regelmäßig den wirtschaftlichen Status seines Mandanten prüfen („KYC“, näheres hier) und eine Warnung vor etwaigen Risiken, die er dabei erkennt, ist ihm durch den BGH ja nicht verboten worden.
Mandanten sollten sich mithin nicht allzu sehr wundern, wenn sie demnächst von ihren („regelmäßigen“) Beratern ausgefeilte Warnschreiben erhalten.
BGH, Ur. v. 29.06.2023 – IX ZR 56/22
OLG Bamberg, Urt. v. 31.7.2023 – 2 U 38/22