Es müssen ja nicht gleich die sog. „Panama-Papers“ oder die Dokumente zu „Luxemburg-Leaks“ sein, die dem Mitarbeiter – häufig ungewollt und eher zufällig – in den Schoß fallen. Wie aber soll sich ein Mitarbeiter verhalten, der Kenntnisse über Unregelmäßigkeiten im Unternehmen erlangt? Wie für Geschäftsführer, so gilt auch für den einfachen Angestellten, dass die Frage „Was geht mich das an?“ in solchen Fällen häufig eher deplatziert sein dürfte. Aus aktuellem Anlass deswegen nachfolgend einige Anmerkungen und Handreichungen zum „richtigen“ Verhalten bei Unregelmäßigkeiten im Unternehmen.
Zunächst gilt, dass Privatpersonen (also keine sog. „Berufsermittler“, wie etwa Polizisten) nicht verpflichtet sind, bereits begangene Straftaten anzuzeigen. Selbst bei einer geplanten Straftat muss sie die Ermittlungsbehörden nicht informieren – es sei denn, es handelt sich um gewisse, besonders schwerwiegende Taten nach § 138 StGB, wie etwa Landesverrat, Mord oder Raub. In derartigen Fällen müssen auch Privatpersonen Strafanzeige erstatten. Für nahe Angehörige des Täters sowie bestimmte Berufsgruppen, die gesetzlich zum Schweigen verpflichtet sind, wie Ärzte, Geistliche oder Anwälte, gilt über § 139 StGB sogar ein noch engerer Katalog von anzeigepflichtigen Straftaten.
Von dieser also nur höchst selten bestehenden Pflicht zur Anzeige von Straftaten ist im Bereich des Arbeitsrechts die Pflicht oder das Recht zum Tätigwerden bei Unregelmäßigkeiten zu unterscheiden. Der Arbeitnehmer hat nämlich im Rahmen seiner Loyalitätspflicht (s. näher dazu hier) gegenüber dem Unternehmen, für das er tätig ist, u. a. das Unternehmenseigentum zu schützen. Bei erkennbar drohendem Schaden für das Unternehmen wird hieraus eine Anzeige- und Schadensabwendungspflicht abgeleitet.
Ein in dieser Situation angemessenes Verhalten ist schon bei von Arbeitskollegen auf gleicher Hierarchieebene begangenen Unregelmäßigkeiten schwierig. Denn zum einen gilt „man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter“, sprich der Arbeitnehmer, der Missstände offenbart, läuft Gefahr, im Kollegenkreis als „Verräter“ zu gelten. Zum anderen drohen dem sich offenbarenden Mitarbeiter erhebliche Konsequenzen, wie Abmahnung, Kündigung oder gar ein Strafverfahren oder Schadenersatzforderungen, sollten sich die Anschuldigungen als unberechtigt erweisen.
Dieser Zwiespalt zwischen Loyalitätspflicht einerseits und potentiellen Konsequenzen eines sich im Nachhinein als unrichtig erweisenden Hinweises verstärkt sich, wenn der potentielle Übeltäter der eigene Vorgesetzte ist. Trifft der Verdacht zu, dürften entsprechende interne Hinweise im Zweifel nichts bringen – außer das Risiko, selber aus Vertuschungsgründen gekündigt zu werden. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahr 2011 kann der Arbeitnehmer in solchen Fällen auch direkt die Strafverfolgungsbehörden oder Medien einschalten, wenn er glaubt, dass interne Meldungen nichts bringen, und die Angelegenheit mutmaßlich von öffentlichem Interesse ist.
Nachdem der nationale und europäische Gesetzgeber erkannt hatten, dass dieser durch die Rechtsprechung gewährte Schutz potentieller Hinweisgeber (auch als sog. „Whistleblower“ bezeichnet) eher löchrig ist, haben sie getrennt voneinander zwei Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, die auch auf den Schutz von Whistleblowern ausgerichtet sein sollen. Allerdings stockt das deutsche Gesetzgebungsverfahren derzeit (s. zum aktuellen Stand hier), so dass nicht abschätzbar ist, wann das Gesetz in Kraft treten wird. Angesichts der Neuwahlen zum EU-Parlament im Mai 2019 ist auch fraglich, ob der Vorschlag der entsprechenden EU-Richtlinie noch rechtzeitig verabschiedet werden kann (s. zum aktuellen Stand hier).
Im Vorgriff auf die potentiellen Regelungen und angelehnt an die bisherige Rechtsprechung ist einem Arbeitnehmer, der Kenntnis von Unregelmäßigkeiten im Unternehmen erlangt, die Beachtung folgender Hinweise zu empfehlen:
- Zunächst sollte er versuchen, den Sachverhalt so weit wie möglich zu erfassen und etwaige Nachweise zu sichern – auch um nach Offenbarung nicht in Nachweisprobleme zu geraten.
- Danach sollte er, wenn es sich um einen Arbeitskollegen handelt, schon aus Fairness-Gründen abwägen, ob er den Kollegen mit seinen Annahmen konfrontiert.
- Ergibt die Abwägung, dass eine solche direkt Konfrontation nicht erfolgsversprechend erscheint, etwa, weil der Kollege schon bei früheren Vorfällen eher unkonstruktiv reagierte, oder führte eine Konfrontation mit dem ermittelten Sachverhalt nicht zum erforderlichen Einsehen und Kurswechsel, sollte der Vorgesetzte informiert werden.
- Erweist sich auch dieser Schritt als nicht erfolgversprechend oder erfolgreich, sollte die Geschäftsleitung entsprechend informiert werden.
- Scheitert auch dieser Schritt, sollten die Strafverfolgungsbehörden informiert werden (ggf. nach Hinzuziehung eines Anwalts). Erst wenn auch die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden scheitert, sollte die Presse informiert werden. Ein prominentes Beispiel für diese zwei letzten Schritte ist Harry Markopolos, einem Wirtschaftsprüfer, der offizielle Stellen über einen Zeitraum von neun Jahren erfolglos vor dem Schneeballsystem von Bernie Madoff warnte (näheres hier).
Gelangt man bei Abwägung all dieser Optionen zu der Auffassung, dass all die vorgenannten Schritte nicht erfolgversprechend sind, ist die letzte Möglichkeit – so keine Pflicht zur Stellung einer Strafanzeige besteht – das Unternehmen so schnell wie möglich zu verlassen. Allein die letzte Empfehlung verdeutlicht, wie sehr ein Mitarbeiter, der von Unregelmäßigkeiten Kenntnis erlangt, potentiell „zwischen den Stühlen“ sitzt. Aktuell aber sind befriedigendere Lösungen auch im Rahmen gesetzlicher Vorgaben (selbst wenn sie denn noch in Kraft treten) nicht ersichtlich.